Archiv


Der lange Marsch in die Informationsgesellschaft

Anfang Dezember stellt die Bundesregierung ihr Programm "Informationsgesellschaft 2006" vor. Kernpunkte sind dabei unter anderem die digitale Signatur, die umfassende Anbindung der Bundesbürger an das Datennetz und das Angebot von Verwaltungsdienstleistungen via Internet. In der vergangenen Woche trafen sich in Berlin Vertreter aus Forschung, Wirtschaft und Politik, um zu erörtern welche Hürden überdies zu überwinden sind, um Deutschland in eine Wissens- und Informationsgesellschaft zu wandeln.

Wolfgang Neuhaus |
    Informationsgesellschaft, postindustrielle Gesellschaft, telematische oder die Internet-Gesellschaft – an Begriffen ist wahrlich kein Mangel, um gesellschaftliche Prozesse zu beschreiben, die einhergehen mit dem raschen technologischen Wandel der letzten Jahrzehnte. Der Begriff der Informationsgesellschaft existiert seit dreißig Jahren und gebar damals die verheißungsvolle Vision, dass die Gesellschaft von der Produktion und Verteilung von Informationen leben könne, während die Industrieproduktion, die Bearbeitung von Materie in Schwellenländer verlegt würde. Das geschah wohlgemerkt zu einer Zeit, als es Großrechner mit den ersten Bildschirmarbeitsplätzen gab. Diese Vision hat sich nicht realisiert. Aber wie sieht es heute in der Bundesrepublik aus? 43,7 Prozent aller Privathaushalte waren laut eines Berichts der Europäischen Kommission im Juni 2003 online. Im Jahr zuvor setzten 71 Prozent der Unternehmen Computer ein. Sieben Prozent der mittelständischen Firmen wickeln komplette Geschäftsprozesse mit Kunden über das Internet ab. Doch repräsentieren solche Zahlen überhaupt den Bestand einer Informationsgesellschaft oder zeigen sie nicht vielmehr die Informationalisierung der Industriegesellschaft? Darüber wurde bei der Tagung "Informationsgesellschaft 2003" in Berlin heftig diskutiert.

    Viele berufliche Tätigkeiten in allen ökonomischen Bereichen der Landwirtschaft, der Industrieproduktion oder der Dienstleistungen werden heute computergestützt ausgeführt. Man kann zwei wichtige Argumente anführen für einen Qualitätssprung, ohne dass man gleich eine ganz neue Gesellschaft beschwören muss. Da ist zum einen die zunehmende Erzeugung immaterieller Güter wie Software und Daten, begleitet von der Digitalisierung vieler Produkte der Medienindustrie wie Musik, Film oder Text. Diese Produkte sind jetzt leichter verfügbar – so über das Internet. Das andere Argument ist die damit teilweise zusammen fallende Verwissenschaftlichung der Produktion und die immer schnellere Umsetzung von Forschungsergebnissen in neue Produkte. Zur Sprache kamen des weiteren die sozialen Probleme der Informationsgesellschaft. Kritisiert wurde – wieder einmal - der fehlende Internetzugang für sozial Schwächere, die nicht vorhandene Chancengleichheit. Herbert Kubicek ist Professor für angewandte Informatik in Bremen und wissenschaftlicher Direktor der Stiftung "Digitale Chancen", obgleich er diesem Begriff nicht viel abgewinnen kann:
    Das fehlt mir heute auch bei dieser ganzen Diskussion um digitale Chancen, dass nicht immer wirklich klar ist, worum es eigentlich geht. Weil die Anzahl der Leute, die in einer Umfrage sagen, sie hätten Internetzugang, kann ja wirklich nicht das letzte Ziel sein, sondern in welchem Zusammenhang ist denn welche Nutzung des Internets für wen und wie wichtig.

    Kubicek hält den Begriff der Informationsgesellschaft für nicht brauchbar - er sei nur ein Reizwort, wie geschaffen für neue Investititons- und Ausstattungsprogramme, und suggeriere, dass man mit Technik allein soziale Probleme lösen könne. Was nämlich auf den ersten Blick wie eine Leistung aussieht im Umgang mit neuen Technologien, kann sich bei näherem Betrachten als sozial bedingtes Wissensdefizit entlarven.

    Manche sagen, es ist ja ein Generationenproblem. Die Jugendlichen haben da überhaupt keine Berührungsängste und sind genial. Aber auf die Frage, woher die Informationen im Internet kommen, haben in England sechzig Prozent der Jugendlichen gesagt – von Microsoft. Eine Informationsquelle einzuschätzen auf ihre Glaubwürdigkeit, auf ihren Aussagegehalt, da tun sich die Jungen teilweise natürlich schwerer als die Alten. Wir verwechseln zu sehr die technischen Fertigkeiten mit der inhaltlichen Informationskompetenz.

    Die Frage bleibt, wie man den Jugendlichen diese Kompetenz vermitteln kann. Bildungsbenachteiligte, ob nun Schulabbrecher oder Ausländer, verbessern nicht ihre Chancen auf einen Arbeitsplatz, wenn sie am Computer im Jugendheim ein bisschen chatten. Wenn die Nutzung menschlicher Bildungsressourcen in Zukunft zentral für die Bundesrepublik sein wird, kann man sich das Zurückbleiben einer beträchtlichen Anzahl von Jugendlichen nicht leisten, so Kubicek. Das Konzept einer Informationsgesellschaft der nächsten Generation muss demzufolge verstärkt die sozialen Zusammenhänge berücksichtigen – statt einer digitalen also besser die soziale Integration. Und die schlechte Nachricht in Zeiten leerer öffentlicher Kassen - das geht nur mit einer aufwändigen Betreuung, die mehr kosten wird als die Technik selbst.