Donnerstag, 16. Mai 2024

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Fiston Mwanza Mujila: „Tanz der Teufel“
Bitter-süße Hymne auf Zaire

„Tanz der Teufel“ des österreichisch-kongolesischen Schriftstellers Fiston Mwanza Mujila ist ein rauschhafter, aber auch gewalttätiger Roman aus Afrika, geschrieben in einem musikalischen Sound. Eine herrliche Kakophonie unterschiedlicher Stimmen, die sich gegenseitig ins Wort fallen.

Von Dirk Fuhrig | 12.04.2022
Fiston Mwanza Mujila und sein neuer Roman „Tanz der Teufel"
Fiston Mwanza Mujila und sein neuer Roman „Tanz der Teufel" (Foto: © Richard Haufe-Ahmels, Buchcover: Paul Zsolnay Verlag)
Es ist eng, stickig und schwitzig in dieser Kneipe am Stadtrand von Lumumbashi, ganz im Süden von Zaire. In den Nächten brodelt es, DJs legen auf, billige Drogen heben die Stimmung.
„Im Mambo de la fête wurde sieben Tage ohne Unterbrechung der Tanz der Teufel getanzt: ein Fuß nach links, ein Fuß nach rechts, dabei mit dem Po kreisen, ein Grinsen im Gesicht, die Arme ausgestreckt und die Hände geöffnet, als würde man Geld in die Luft werfen. Alle waren glücklich und wollten ihr Glück teilen.“

Gravitationszentrum Tanzlokal

Das „Mambo de la fête“ ist Kneipe, Kaschemme, Tanzlokal - und das Gravitationszentrum dieses Romans. Hier begegnen sich Minenarbeiter und Glücksritter, überwiegend ärmliche Gäste, die tagsüber ums Überleben auf den Straßen kämpfen. Das persönliche Elend wird in dem Club weggetanzt - aber es werden auch historische Ereignisse gefeiert, wie der Sieg über die Diktatur im Jahr 1997:
„Die Einwohner kamen aus ihren Verstecken und beglückwünschten sich gegenseitig, als wären sie es selbst gewesen, die Mobutos Armee geschlagen hatten.“
Der Gewaltherrscher mit der Leopardenmütze hatte den Menschen in Zaire über drei Jahrzehnte hinweg mit harter Hand den Atem genommen - und vor allem sich selbst an den Diamantenvorkommen bereichert.

Heiter und komisch

All das - die Kolonialzeit und anschließende Diktatur, Ausbeutung, Bürgerkrieg und Verelendung - schwingt mit in diesem Roman, dessen Grundstimmung jedoch vor allem heiter und oft komisch ist. Mujila lässt die unterschiedlichsten Typen auftreten: verwegene Straßenjungen, Kindersoldaten, Rabauken, Bürgerkriegsflüchtlinge, idealistische Freiheitskämpfer - und immer wieder den heimtückischen „Monsieur Guillaume“ vom omnipräsenten Geheimdienst. Mitten drin der skurrile Schriftsteller Franz Baumgartner, als einziger Weißer misstrauisch beäugt von den Einheimischen.
„Franz und die Sehnsucht nach dem weißen Blatt“ lautet die Überschrift des 24. der 54 Kapitel:
„Auch nachdem er das Thema seines Romans geändert hatte, wurde er das Gefühl nicht los, festzustecken. (…) Für ihn war ein Roman in erster Linie ein Satz. Er taxierte jeden Satz wie ein Ophtalmologe, der die Augen seiner Patienten untersucht. (…) Hundert Sätze in erbärmlichem Zustand, hingekritzelt in seiner Kammer zu den Klängen einer Sinfonie des Stöhnens oder im Mambo zum Tanz des Teufels“. 

Literarische Musikalität

Man mag in diesem höchst ironisch gezeichneten österreichischen Abenteurer ein Alter Ego des Schriftstellers Fiston Mwanza Mujila sehen, der seit vielen Jahren in Graz lebt. Mujila verknüpft europäische Erzähltradition mit literarischer Musikalität - wie er in einem Interview im Deutschlandfunk Kultur erläutert hat:
„Ich schreibe wie ein Musiker. Ich glaube, dass ich von afrikanischen mündlichen Kulturen inspiriert bin. In Afrika gehören die Musik und die Geräusche zur Architektur. Überall ist es oft laut, es gibt Musik, es gibt Kirchen. Die Stadt lebt. Deshalb finde ich es wichtig, eine musikalische Welt zu bauen, um zu beschreiben die Realität.“

Bitter-süße Hymne auf Zaire

Mujilas Text ist eine herrliche Kakophonie unterschiedlicher Stimmen, die sich gegenseitig ins Wort fallen: Das macht den Roman sehr gesprächig, dynamisch, unvorhersehbar - und eben herrlich witzig. Figuren tauchen leitmotivisch immer wieder auf. Etwa die so genannte „Madonna der Minen von Cafunfo“, eine charismatische Seelentrösterin aller Geschundenen und Beladenen:
„Tshiamuena war eine Grande Dame, eine außergewöhnliche Erscheinung, eine Mutter für viele von uns, eine Königin, eine Frau der Macht. (…)  Sie hatte nicht die Statur einer Opernsängerin, die Klasse einer Miss World oder das herrische Auftreten einer Herzogin, aber sie überwältigte und hypnotisierte uns, sobald sich unsere Blicke trafen. Man musste sie nur ansehen und wurde von einem epileptischen Anfall gepackt. Wir Zairer - größtenteils nach 1960 geboren – brachen in Tränen aus, wenn wir nur ein Schwätzchen mit ihr hielten.“
Afrikanische Mythen, Gottheiten, mündliche Erzähltraditionen verbindet Mujila in einem drängenden Rhythmus zu diesem kunstvoll gewobenen Text. Schon sein erfolgreicher Roman „Tram 83“, der 2017 mit dem Internationalen Literaturpreis des Berliner Hauses der Kulturen der Welt ausgezeichnet wurde,  spielte in und um eine Musikkneipe. „Tanz der Teufel“ ist eine Variation dieses Themas, aber verschlungener und einfallsreicher, sprachlich noch ausgefeilter. Auf jeden Fall amüsant und pointiert zu lesen - eine bitter-süße Hymne auf das Lebensgefühl in Fiston Mwanza Mujilas geschundener Heimat Zaire.
Fiston Mwanza Mujila: „Tanz der Teufel“
Aus dem Französischen von Katharina Meyer und Lena Müller
Zsolnay-Verlag, Wien.
282 Seiten, 25 Euro.