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Der Mann als Trottel

Carmen in der Inszenierung von Sebastian Baumgarten hatte Premiere in der Komischen Oper in Berlin. Zu seiner letzten Produktionen war das Publikum in Scharen herbeigeströmt. Nicht minder bei "Carmen".

Von Georg-Friedrich Kühn | 28.11.2011
    Knall auf Fall beginnt's: Licht aus, Musik an. Auf dem zur Ouvertüre mit einer Leinwand verhängten Vorhang liest man Sinnsprüche aus dem Leben eines Toreros wie: Nicht zweifeln im Augenblick des Tötens, goldene Stierkampfregel. Oder: Der Stier bittet im End-Stadium des Kampfes förmlich um seinen Tod.

    Wenn die Bühne sich dann öffnet, blickt man auf eine durch Brand zerstörte Bankfiliale vor einer ausgehöhlten Wohnwaben-Kulisse. Schutt türmt sich davor. Aus einem noch intakten Rollladentor strömen später die Arbeiterinnen der Zigarettenfabrik, lagern sich zu einer Art Voodoo-Zeremonie für die Habanera mit Carmen als sexgeilem Tod.

    Nach seinem Absturz mit "Tannhäuser" bei den Bayreuther Festspielen versucht Regisseur Sebastian Baumgarten an der Berliner Komischen Oper mit "Carmen" wieder näher am Stoff zu bleiben. Er versteht die viel gespielte und auch für Werbezwecke viel missbrauchte Opéra Comique Bizets als Spielmaterial, dessen Schichten er freilegen will.

    Die den Männern mit ihrem Freiheitswillen Angstmachende Carmen zeigt er nicht nur als hexenhafte Voodoo-Priesterin, sondern vor allem als todesverachtende, mutige Frau. Micaela, der Gegenentwurf von Weiblichkeit, kommt heran gerollt wie eine Marienstatue im wasserblauen Umhang mit Heiligenschein.

    Don José, der zwischen den beiden Frauen stehende kleine Soldat vom Dorf, ist der Einzige, der sich seine menschlichen, männlichen Gefühle bewahrt hat in der von Zerstörung gezeichneten Großstadt. Im Bühnenportal hängt ein übermaltes Plakat des Films "Biutiful", den der Mexikanische Regisseur Alejandro Gonzáles Iñárritu über einen krebskranken Mann aus dem Migrantenviertel von Barcelona gedreht hat.

    Regisseur Baumgarten, Bühnenbildner Thilo Reuther und Kostümbildnerin Ellen Hofmann zeigen ein Kunst-Spanien mit einem Leutnant Zuniga als Knall-Charge, einem Escamillo als Goldkettchen-Halbganove, der seinen Stierkampf ins Kino verlegt hat, und einem José, der am Ende erst in Montur eines Schwerbehinderten vor dem Kino-Portal streunt und dann wie besessen auf Carmen einsticht.

    Gespielt wird die ursprüngliche Fassung mit allerdings von Baumgarten bearbeiteten Dialogen, die auch Sprachfetzen in Spanisch und Englisch mit einschließen. Als Einschübe erleben wir zudem eine - allerdings mindestens einmal zu oft - Flamenco tanzende Manuela, Ana Manjibar. Leutnant Zunigo, alias Jens Larsen, darf auch schon mal à la Nietzsche zur Peitsche greifen, wenn er zum Weibe geht. Die Schmuggler kommen als Demonstranten mit Gerippen von Marx und Lenin auf die Bühne.

    Mit solchen Scherzen hält Baumgarten das Publikum bei Laune. Tiefer allerdings dringt das nicht. Immerhin gesungen wird zumindest von den beiden Hauptdarstellern sehr gut. Stella Doufexis ist eine zart nuancierende Carmen, die von Thomas Stache choreografisch allerdings besser geführt sein könnte. Timothy Richards gibt einen Don José mit Sentiment auch in der Stimme.

    Im Graben steht der in Bulgarien geborene Yordan Kamdzhalov. Er lässt es ordentlich krachen. Die Zwischentöne liegen ihm weniger. Das Publikum spendete am Ende freundlichen aber eher knappen Beifall. Es ist Baumgartens vierte Arbeit an dem Haus und vorläufig auch seine Letzte. Er sei Berlin-"müde" bekundete er, will lieber beim abwandernden Intendanten Homoki in Zürich und vielleicht in Stuttgart arbeiten.