Marie Claire Lukas:
"metrolit ist, ganz grob gesagt, ein Verlag für Popkultur, ein Verlag, der neue und ungewöhnliche Dinge machen möchte und sich auch so ein bisschen von der Masse der Verlage abheben möchte in allem, was er tut. Angefangen von der Vorschau bis hin zu den Büchern."
Es ist früher Abend, und in den hellen Räumen des metrolit-Verlags über den Dächern von Berlin-Kreuzberg wird noch gearbeitet. Auf den Tischen türmen sich Druckfahnen, Bücher und Briefe. Eine Lektorin sitzt an ihrem Schreibtisch in der Ecke und ist mit Korrekturen an einem Manuskript beschäftigt – man merkt gleich, dass die Macher von metrolit keine Rücksicht auf übliche Feierabendzeiten nehmen. Doch spürt man auch die Begeisterung aller Beteiligten für das ungewöhnliche Projekt – auch bei Marie Claire Lukas, die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist:
"Also, wir sind ein kleines Team und wir haben eine Mammutaufgabe vor uns, aber ich glaube, wir machen das alle mit so viel Elan und Lust, dass es funktioniert."
Die Kunst des Bleistiftanspitzens
Den Anfang dieser Mammutaufgabe hat metrolit gut gestemmt: Das erste Programm des Berliner Verlags war ein Erfolg. In nahezu allen Buchhandlungen konnte man Bücher von metrolit finden, auch die Medien wurden auf die ungewöhnlichen Publikationen aufmerksam. Sachbücher, Belletristik, illustrierte Romane und Graphic Novels gehören zum Veröffentlichungsspektrum des metrolit-Verlags. Und bereits mit ihrem ersten Programm haben die Verlagsmacher bewiesen, dass es ihnen durchaus ernst ist mit ihrem Anliegen, Neues und Ungewöhnliches zu entdecken, Leichtes und Schweres zugleich zu zeigen. So erschien im Frühjahr beispielsweise ein Essaybuch, das sich allein der Kunst des Bleistiftanspitzens widmete, außerdem eine Graphic Novel über die Jugend des amerikanischen Serienmörders Jeffrey Dahmer. Ungewöhnliche Themen in ungewöhnlicher Aufmachung, die sich an ein spezielles Publikum wenden – das ist die eine Seite der Philosophie von "metrolit".
Peter Graf:
"Aber immer auch mit der Öffnung hin zum Populären, also, ein Verlag in der Größe kann nur existieren, wenn es auch Stoffe gibt, die halt für ein großes Publikum geeignet sind. Und diesen Spagat, wenn man das so nennen will, den müssen wir halt vollbringen."
Etwa vierzig Titel pro Jahr will metrolit publizieren – und bewegt sich somit von vornherein nicht in der Riege der kleinen jungen Verlage. Die Macher bringen langjährige Erfahrung aus dem Verlagsgeschäft mit und sind von Hanser, Eichborn oder blumenbar zu metrolit gekommen. Peter Graf, einer der Gesellschafter, hat vorher den Züricher Verlag "Walde und Graf" gegründet und aufgebaut, dessen Bücher bei metrolit auch weiterhin unter diesem Label firmieren. Ihm ist wichtig, was man beim Blick auf die metrolit-Titel sofort spürt: dass sich die Bücher absetzen sollen, wenn man sie neben vielen Titeln anderer Verlage sieht. Sie sind mit Liebe zum Detail gestaltet und aufwendig hergestellt. Damit will der Verlag explizit kein Gegenprogramm zum E-Book starten, dem sich die Macher gar nicht grundsätzlich verweigern. Eher hat man das Gefühl, es mit einer neu entdeckten Art von Buchliebhaberei zu tun zu haben, die dem Zeitgeist entspricht. So, wie man seine Musikalben eben heutzutage gern als fein ausgestattetes Vinyl kauft, um sich die Musik später auch noch digital auf den Rechner zu laden.
Peter Graf:
"Es ist auf jeden Fall eine sehr bewusste Entscheidung. Wir probieren, keine bibliophilen Bücher zu machen im Sinne von teuer, aber wir probieren mit den Möglichkeiten, die wir da auch finanziell haben, mit Ausstattungsmerkmalen zu arbeiten, die besonders sind und die physische Qualität des gedruckten Buches herauszuarbeiten."
metrolit hat sich mit seinem Auftreten und dem ersten Programm abgesetzt von vielen anderen Verlagen – doch das wiederum brachte nicht nur Vorteile mit sich: Buchhandel und Vertrieb mussten vom ehrgeizigen Konzept überzeugt werden. Allein schon für die bunte und umfangreiche Verlagsvorschau, die in Form eines Magazins erscheint, muss man Zeit investieren – einfaches Durchblättern durch einige Spitzentitel reicht dafür nicht. Hinzu kommt, dass der klassische Buchhändler andere Themen gewohnt ist. Deshalb, so Peter Graf, hat man bei metrolit auch keine Scheu davor, einen gut gemachten Krimi zu veröffentlichen oder leichtere Literatur – um dem Ruf eines sperrigen Verlags mit lauter Nischenveröffentlichungen vorzubeugen.
Peter Graf:
"Man muss dagegen arbeiten und gleichzeitig das Besondere herausarbeiten und herausschälen, das ist sozusagen das, was wir da jeden Tag probieren müssen."
Wenig deutsche Gegenwartsliteraten
Blättert man durch die ersten beiden Programme von metrolit, dann fällt auf, dass die deutsche Gegenwartsliteratur verhältnismäßig selten vertreten ist. Da gab es im Frühjahr zum Beispiel den Roman "Grimms Erben" von Florian Weber, dem Schlagzeuger der Band "Sportfreunde Stiller", da gibt es in diesem Herbst einen Band mit Erzählungen von Naomi Schenck mit dem Titel "Kann ich mal Ihre Wohnung sehen?" – aber eine große Zahl deutschsprachiger Gegenwartsautoren sucht man vergebens. Noch. Denn metrolit will dieses Segment nach und nach ausbauen – um Ruhe zu haben für Entdeckungen, die den Verlag langfristig bereichern.
Peter Graf:
"Was sind die Stoffe, was sind die Themen, was sind die Autorinnen und Autoren, die in unseren Verlag, die zu uns passen? Und das braucht Zeit. Wir können aber nicht sozusagen auf alle Programmbereiche ausweiten und denken, naja, jetzt machen wir mal so langsam, also, wir sind da schon unter einem Riesendruck und müssen auch andere Bücher zeitgleich etablieren, die Umsatz bringen und die eine Relevanz haben und die verkäuflich sind. Aber gerade diesen Bereich, den kann man nicht aus dem Boden stampfen, das ist einfach nicht möglich."
Immer wieder ist man von den metrolit-Ideen überrascht – auf den allerersten Blick denkt man vielleicht noch an die klassische Popverlagsgründung, wie sie zur Hauptstadt der Gegenwart passt und wie man sie schon oft erlebt hat. Doch ist es bei metrolit der zweite Blick, der das subtile Konzept und die feinfühlige Programmgestaltung offenbart, bei der Gegensätze erwünscht sind. So steht eine "Schule der Trunkenheit" im aktuellen Programm neben einer Biografie des amerikanischen Tattoo-Künstlers und Designers Ed Hardy, gibt es eine Graphic Novel über die Ereignisse des 17. Juni ebenso wie ein Sachbuch über das Berliner Nachtleben. Ein weiterer Titel steht exemplarisch für die Philosophie des Hauses: "Blutsbrüder" von Ernst Haffner. Im Grunde entspricht es voll und ganz dem Klischee eines popkulturellen Verlags, im Jahr 2013 einen Hauptstadt-Roman zu veröffentlichen. Besonders, wenn die Geschichte durchweg von jungen Protagonisten bevölkert wird. Nur: Sie ist schon viele Jahrzehnte alt.
Peter Graf:
"Das ist jetzt kein hippes Buch, das irgendwie den Zeitgeist aufhängt, sondern das ist ein Roman, der 1932 erschienen ist, in Berlin spielt und sich eigentlich mit der Jugendsubkultur der damaligen Zeit beschäftigt. Ein Roman, der vergessen und verloren war bis anhin."
Ein Buch aus den Zeiten der Krise, das von den Nazis verbrannt wurde und dessen Autor zur Zeit der NS-Diktatur spurlos verschwand – ein Roman über Jugendliche, die aus Fürsorgeeinrichtungen ausbrechen und im Berlin der Dreißiger landen, wo sie obdachlos werden und sich als Kleinkriminelle oder Prostituierte verdingen. Mit "Blutsbrüder" entdeckt metrolit somit nicht nur ein längst vergessenes Buch wieder – der Verlag ist zugleich nah am Puls der Zeit, weil das Thema in europäischen Krisenzeiten aktueller denn je ist. Sollten die metrolit-Macher es schaffen, die unglaubliche Vielfalt und das Niveau des Programms zu halten, dann könnte sich das ehrgeizige Ziel erfüllen, das man zwischen den Zeilen immer wieder herauslesen kann: Der zeitgenössische Hauptstadtverlag schlechthin zu werden. Oder wie Marie Claire Lukas es auf der Homepage des Verlags zuversichtlich formuliert: "metrolit ist für mich mit Sicherheit bald eine Berliner Institution".