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Der Musiker Memphis Slim
Ein Botschafter des Blues

Memphis Slim war ein Virtuose am Klavier, der sich durch seine Kunst des Boogie-Woogie-Spiels von Chicago aus eine riesige Fangemeinde schuf. Zusammen mit dem Bassisten Willie Dixon wurde er dann zu einem Botschafter des Blues, der gerade auch in Europa viele Fans hatte. Heute vor 100 Jahren wurde er als John Chatman Jr. geboren.

Von Karl Lippegaus | 03.09.2015
    Der Blues-Musiker Memphis Slim in der NDR-Talkshow im September 1984.
    Der Blues-Musiker Memphis Slim in der NDR-Talkshow im September 1984. (imago/teutopress)
    Anfang der 50er-Jahre hatte der Bluesmusiker Memphis Slim einen ausgefallenen Job. Er begleitete am Klavier einen Professor der Universität von Chicago bei Vorträgen zur Geschichte von Blues und Jazz. "Ich bin 'Der Schlanke aus Memphis' für die Männer und 'Der Zermürber' für die Frauen."
    Der lange Slim war ein fleißiger Mann: Allein zwischen Frühjahr 1959 und Oktober 1961 nahm er 25 Langspielplatten auf. Es konnte passieren, dass er in einem Blues seine Adresse in Memphis durchgab, damit ihn die Plattenfirmen kontaktierten. Sein Stil verwies auf eine Ära vor dem Zweiten Weltkrieg, als diese Musik noch nicht so rau und elektrisch klang: Barrelhouse Piano und Boogie Woogie prägten seinen Stil, aber Slim ging auch immer mit der Zeit.
    Slims Vater Peter Chatman war Amateurmusiker und besaß einige Juke Joint-Lokale. Sein einziger Sohn John wurde am 3. September 1915 in Memphis geboren. Mit sieben oder acht Jahren schon setzte er sich ans Klavier und mit sechzehn trat er bereits an der Beale Street in Memphis als Entertainer auf. Seine Zuhörer waren eine raue Kundschaft, aus den Arbeitercamps und von den Farmen im Mississippi-Delta. Acht Jahre lang tingelte John, der sich zu Ehren des Vaters wie dieser Peter Chatman nannte, durch den Süden.
    Klavier spielen für Fisch-Sandwiches und etwas Whisky
    "Eines Nachts fuhr ich nach Baton Rouge in Louisiana. Als es dunkel wurde, schlug ich mich zu Fuß durch. Plötzlich hörte ich ein Klavier. So schnell konntest du gar nicht gehen, wie dieses Klavier hämmerte. Man kommt ´rein, setzt sich dazu, alle sind am Feiern, und dann frage ich den Klavierspieler: 'Darf ich auch mal, Kumpel?' – Der Mann ist schon müde und reichlich blau und so lege ich los. Allen fällt auf, es ist anders, und dann kommen die Girls und sogar ein paar von den Kerlen. Und sie geben dir 10 Cents oder einen Vierteldollar, und dann kriegst du ein paar Fisch-Sandwiches und etwas Whisky. Und dann bist du wieder weg – auf und davon in eine andere Stadt."
    Irgendwann legte er sich den Spitznamen Memphis Slim zu - in Anspielung auf seine Körpergröße (1,95!) und die schlanke Figur. Er hatte dünne, extrem lange Finger; wie große dürre Stangenbohnen tanzten sie über die Klaviertasten.
    In den frühen 30er Jahren begannen die Jukeboxes mehr und mehr die Live-Musik zu ersetzen. Mit Tausenden von anderen schwarzen Jugendlichen machte Memphis Slim sich während der Zeit der großen Wirtschaftskrise, The Great Depression genannt, auf nach Norden, als "Hobo" auf Güterzügen. 1937 traf er in Chicago ein.
    1962 in Frankreich niedergelassen
    "Zu jener Zeit arbeitete ich mit Big Bill Broonzy. Sein Pianist Joshua Altheimer war Anfang 1940 gestorben und Big Bill bat mich, für ihn beziehungsweise mit ihm zu spielen. Ich wollte eigentlich nicht, denn ich brauchte wirklich nicht für das bisschen Geld zu spielen, das sie damals bezahlten. Mir ging's gut, denn ich verkaufte Bootleg-Whisky und anderes."
    Ab 1959, als traditionelle Musik populär wurde, trat Slim im Duo mit dem Bassisten und Sänger Willie Dixon vor einem weißen Publikum auf - an Colleges und Universitäten, in den Cafés von Greenwich Village und bei großen Folkfestivals. 1960 kam das Duo zum ersten Mal nach Europa - die Reaktionen waren enthusiastisch.
    1962 ließ Memphis Slim sich in Frankreich nieder und lebte fortan am Bois de Boulogne in Paris. In den verbleibenden 26 Jahren seines Lebens kam Slim nur selten zurück in die USA. Zwei Jahre vor seinem Tod bekam Memphis Slim vom französischen Kulturminister den Orden "Des Arts et des Lettres" verliehen. Der US-Senat erklärte ihn zum "Good-Will-Botschafter". Gestorben ist er am 24. Februar 1988 in Paris, sein Grab liegt in Memphis, Tennessee, wo seine Blues-Mission begonnen hatte.