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Der NATO-Luftangriff

Durak: In den "Informationen am Morgen" nun am Telefon für uns Klaus-Peter Klaiber, Chef der politischen Abteilung der NATO und beigeordneter Generalsekretär im Range eines Botschafters. Guten Morgen Herr Klaiber!

    Klaiber: Guten Morgen Frau Durak.

    Durak: Zum ersten Male in der 50jährigen Geschichte der NATO hat die Allianz einen Angriff auf einen souveränen Staat gewagt. Gehen wir auf eine neue Entwicklung in Europa zu?

    Klaiber: Die neue Entwicklung in Europa ist natürlich da. Wir erleben zum allerersten Male einen Konflikt, der sich innerhalb eines Staates vollzieht und wo tausende und abertausende Menschen ums Leben kommen und tausende und abertausende Flüchtlinge nicht in der Lage sind, zu Hause zu leben und in Frieden zu leben. Das ist in der Tat eine völlig neue Situation.

    Durak: Wie geht es weiter aus der Sicht der NATO, heute morgen, übermorgen? Haben Sie Informationen, die Sie uns geben können?

    Klaiber: Die Informationen haben Sie natürlich aus der Presse. Die NATO hat ihre ersten Luftschläge gegen militärische Ziele in der letzten Nacht geführt. Ich nehme an, daß heute während des Tages nun die Militärs und die politische Leitung die Ergebnisse dieser Aktion überprüfen wird. Natürlich warten wir auf ein Signal aus Belgrad, das da heißt, wir werden jetzt die Forderung der internationalen Gemeinschaft erfüllen und an den Verhandlungstisch zurückkehren und vernünftig einen Vertrag ausarbeiten. Auf dieses Signal hoffen wir!

    Durak: Herr Klaiber, Sie sind, wie gesagt, Chef der politischen Abteilung der NATO. Das heißt, zu Ihrem Aufgabengebiet wird es gehören, sich Gedanken über die politischen Folgen von militärischen Aktionen auch zu machen. Wie groß ist die Gefahr, daß sich die Konfrontation mit Russland über Serbien extrem ausweitet?

    Klaiber: Also das ist in der Tat ein sehr wichtiger Punkt, über den wir uns Gedanken machen müssen, denn wir haben ja in den letzten eineinhalb Jahren eine sehr vernünftige neue strategische Beziehung zwischen der NATO und Russland etabliert und uns über alle kritischen sicherheitspolitischen Fragen unterhalten. Nun in dieser Frage des Kosovo konnten wir keine einheitliche Linie finden, jedenfalls nicht was die Nutzung militärischer Mittel anlangt, und deshalb könnte ich mir schon vorstellen, daß eine Athmosphärische Störung dieser Beziehung die Folge ist. Wir hoffen nur, daß das nicht allzu lange sein wird, denn letztlich ist es im Interesse Russlands und der NATO, daß wir für den Aufbau einer vernünftigen Sicherheitsarchitektur in Europa zusammenarbeiten.

    Durak: Mazedonien, Griechenland, Bulgarien, Italien seien in Gefahr, hieß es im Vorfeld. Kann die NATO, will die NATO Schutz gewährleisten? Wie könnte der Schutz aussehen, Herr Klaiber?

    Klaiber: Es ist ja so, daß einer der Hauptgründe, weshalb die NATO sich zu diesem Vorgehen entschlossen hat, die Tatsache ist, daß wir befürchten mußten, daß dieser Konflikt auf andere regionale Länder überschwappt. Deshalb ist es klar, falls der Herr Milosevic auf die Idee kommt, diesen Konflikt auszuweiten in die Regionen Mazedoniens, Bulgariens und so weiter, daß die NATO dann nicht dastehen und nichts tun würde. Das ist gar keine Frage, daß wir dort natürlich in die Pflicht genommen würden.

    Durak: Was bedeutet es, in die Pflicht genommen zu werden? Bedeutet es daß, was wir uns vorher schon überlegt haben, daß die NATO dann erstmals ja in einen richtigen Krieg eintritt?

    Klaiber: Ich hoffe, daß das nicht der Fall sein wird. Ausschließen kann man natürlich bei solchen Entwicklungen nichts. Wir hoffen im Gegenteil, daß durch die fortgesetzten Luftschläge, so sie kommen, so sie notwendig sind, die jugoslawische Regierung wirklich einlenkt und versucht, eine politische Lösung zu finden. Das ist ganz klar. Wir hoffen nicht, daß sich eine solche Ausweitung entwickelt.

    Durak: Aus Russland kommt das Wort vom "zweiten Vietnam", diesmal in Europa. Ist das wirklich ganz auszuschließen?

    Klaiber: Nein, das sehen wir anders. Wir sind der Meinung, wenn es uns gelingt, in den nächsten Tagen die Luftverteidigung der jugoslawischen Regierung auszuschalten, ihre Kommunikationsmittel, dann wird es für Herrn Milosevic sehr schwer werden, seine brutalen Angriffe gegen die UCK mit schrecklichen menschlichen Folgen fortzusetzen. Das ist eines der hauptmilitärischen Ziele. Wir nehmen an, daß parallel daneben natürlich immer wieder Versuche unternommen werden, den politischen Dialog fortzuführen und ihn endlich zum Einlenken zu bringen, daß er sich den Forderungen der internationalen Staatengemeinschaft anpaßt.

    Durak: Für uns gesehen in der Nacht gab es die Tagung des UNO-Sicherheitsrates in New York. Vorher hatte sich UNO-Generalsekretär Kofi Annan recht besorgt gezeigt und darauf verwiesen, daß das Gewaltpotential eigentlich bei der UNO liegen sollte. Man könnte es auch so formulieren: Die UNO ist im Augenblick eigentlich entwaffnet, ihrer Mittel beraubt. Ist das eine gesunde Entwicklung?

    Klaiber: Ich habe die Erklärung von UN-Generalsekretär Annan gehört und ich finde, er hat vollkommen Recht, wenn er sagt, die Hauptrolle bei der Bewahrung des Friedens in der Welt liegt bei den Vereinten Nationen. Und es wäre auch der NATO sehr lieb gewesen, wenn für diese Aktion ein Sicherheitsratsmandat verfügbar gewesen wäre. Nur ist es ja so: Die russische Föderation hat von Anfang an gesagt, sie würde einer solchen Resolution nie zustimmen. Damit war klar, daß der Sicherheitsrat handlungsunfähig war, während die westlichen Staaten alle der Meinung waren, in diesem Ausnahmefall, bei diesen hohen menschlichen Verlusten und Tragödien muß die internationale Staatengemeinschaft handeln.

    Durak: Das was jetzt mit dem Sicherheitsrat und dem Veto Russlands in einer solchen ernsten Situation passiert ist, kann uns ja immer wieder passieren. Ist der Sicherheitsrat reformbedürftig?

    Klaiber: Das ist eine Frage, die Sie nicht an mich richten müssen. Ich persönlich würde nur folgendes sagen: Es ist natürlich so, daß auch das internationale Recht nicht ein statisches Gebilde ist, sondern sich mit der Zeit entwickelt. Wenn Sie sehen, wie sehr das humanitäre Völkerrecht sich in den letzten 20 Jahren entwickelt hat und welche Dimensionen es angenommen hat, dann sieht man, daß vielleicht einige Formulierungen der Charta der Vereinigten Staaten nicht mehr so aktuell sind, wie sie es sein müßten.

    Durak: Die NATO und also auch Sie müssen ja mit UNO-Entscheidungen umgehen. Deshalb eben doch diese Frage an Sie, Herr

    Klaiber: Halten Sie also die Vorwürfe, daß die Luftschläge völkerrechtlich nicht durch UNO-Mandat richtig abgesichert sind, für teilweise berechtigt?

    Klaiber: Nein, so würde ich es nicht formulieren. Sie sind nicht durch ein UNO-Mandat gerechtfertigt, aber sie sind gerechtfertigt durch das Völkerrecht und sie werden im Geiste der Charta der Vereinten Nationen durchgeführt.

    Durak: Klaus-Peter Klaiber, Chef der politischen Abteilung der NATO und beigeordneter Generalsekretär. Herzlichen Dank, Herr Klaiber, für dieses Gespräch.