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Der neue Fall von Dengler im ZDF
NSU ohne Rassismus und Terror

Das ZDF hat den Krimi-Bestseller "Die schützende Hand" von Wolfgang Schorlau zum NSU verfilmt. Nur: Während es in der Romanvorlage vor Verschwörungstheorien nur so wimmelt, kommen in der Verfilmung Rechtsextremismus, Rassismus und Terror kaum vor.

Von Philipp Schnee | 06.11.2017
    "Dengler - Die schützende Hand": Dengler (Ronald Zehrfeld) und Marius Brauer (Tom Wlaschiha) stehen in einer alten Fabrikhalle vor einem geöffneten Waffenkoffer. Brauer hantiert mit einem Gewehr.
    Dengler (Ronald Zehrfeld), Marius Brauer (Tom Wlaschiha) (ZDF/ Julia Terjung)
    "Ein Auftraggeber will, dass ich rausfinde, wie Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu Tode kamen. Die beiden ..." - "Die beiden Nazis vom NSU? Die haben sich doch selber getötet?" - "Diese Geschichte soll ich überprüfen." - "Hä? Wieso?"
    Ja, wieso eigentlich? Privatdetektiv Georg Dengler, in wuchtig männlicher Manier gespielt von Ronald Zehrfeld, und seine Partnerin Olga Iliescu (Birgit Minichmayr) begeben sich auf Spurensuche. Krimi-Bestsellerautor Wolfgang Schorlau legt die Fährte. "Literarische Ermittlungen" hatte Schorlau zum NSU angekündigt. Und ausgiebig recherchiert. Aus diesen Recherchen ist das Buch "Die schützende Hand" entstanden. In Schorlaus Krimi-Plot hängt alles mit allem zusammen: NSU und NSA, BND und CIA, RAF-Attentate, die paramilitärische Geheimeinheit Gladio, amerikanische Diplomatie, internationale Steuerpolitik, der Fall Edathy und zu guter Letzt noch das Kanzleramt.
    "Willkommen im Reich der Verschwörungstheoretiker."
    "Dengler - Die schützende Hand": Olga (Birgit Minichmayr) sitzt nachdenklich an einem improvisierten Schreibtisch. Hinter ihr ist eine Wand mit zahlreichen Tatortfotos, Karten und anderen Schriftstücken zu sehen.
    Olga (Birgit Minichmayr) versucht, aus den widersprüchlichen Informationen schlau zu werden (ZDF/ Julia Terjung)
    In der ZDF-Verfilmung bleibt für die kühnsten und absurdesten Anspielungen Schorlaus zum Glück keine Zeit - ein wesentlicher Aspekt der Geschichte wurde allerdings übernommen. Dengler ist überzeugt:
    "Sie haben keine Bank überfallen, sie haben auch kein Feuer gelegt. Es ist alles ganz anders gelaufen."
    Der Ermittler vermutet, die Terroristen wurden von staatlichen Behörden ermordet, um zu verschleiern, wie tief Verfassungsschützer und andere Sicherheitsbehörden in den NSU verstrickt sind. Und deshalb stellt er mit seiner Freundin und gesuchten Hackerin Olga Iliescu und dem Erfurter Polizisten Marius Brauer akribisch den vermeintlichen Tathergang, der zum Tod der beiden Terroristen führte, nach:
    "Wo ist ein Kilogramm Hirnmasse geblieben?"
    Verschwörungstheorien statt Aufarbeitung
    Das Grundproblem der Romanvorlage aber bleibt:
    "Das ist das Nagelbombenattentat in der Keupstraße in Köln. Aber darum geht es nicht. Wir konzentrieren uns auf das Ende der Terroristen."
    Der tatsächliche Fall des NSU bietet reichlich Stoff für Filme. Man könnte die rassistischen und voreingenommen Ermittlungen thematisieren, von Verfassungsschutzmitarbeitern berichten, die an Tatorten zur Tat-Zeit waren. Oder von V-Männern im unmittelbaren Umfeld der Täter. Stattdessen löffelt das ZDF die Verschwörungssuppe Schorlaus und befördert damit auch die von rechtsextremen Kreisen popularisierte These eines behördlichen Mords an Böhnhardt und Mundlos.
    "Dengler - Die schützende Hand": Olga (Birgit Minichmayr) sitzt an einem improvisierten Schreibtisch und arbeitet an ihrem Laptop. Dengler (Ronald Zehrfeld) steht neben ihr und lädt seine Pistole. An der Wand im Hintergrund sind zahlreiche Tatortfotos und andere Schriftstücke angepinnt.
    Können Olga (Birgit Minichmayr) und Dengler (Ronald Zehrfeld) die Ungereimtheiten im vorliegenden Fall aufklären? (ZDF/ Julia Terjung)
    "Sie haben mir gesagt, dass ..." - "Ich weiß, was ich gesagt habe. Nichts und niemand fliegt auf, wenn alle Beteiligten einen kühlen Kopf bewahren. Wir haben den ersten parlamentarischen Untersuchungsausschuss überstanden. Unsere Geschichte funktioniert."
    Nein, sie funktioniert nicht. Das ZDF muss sich die Frage gefallen lassen, warum man in einem Film über neonazistische Terroristen sehr lange darauf wartet, bis der erste Nazi auftaucht, bei dem zwei Drittel des Filmes verstreichen müssen, bis etwas ausführlicher eine Tat der Terroristen, der Anschlag auf die Keupstraße in Köln, thematisiert wird - Und warum in solch einem Film über rassistischen Terrorismus Rassismus und Terrorismus und deren Opfer nicht vorkommen.
    Man darf natürlich diesem Film nicht zu viel aufladen. Dennoch steht er für ein wesentlich grundlegenderes Problem: Die Aufarbeitung rechtsextremen Terrorismus' in der Bundesrepublik Deutschland, den es auch schon vor dem NSU seit den späten 1960er-Jahren hierzulande gegeben hat. Die Art und Weise wie diese rassistischen Taten in Romanen und Filmen verarbeitet und erinnert werden. Oder, Dengler?
    "Sie wollten einfach von rechts nichts kommen sehen."
    Dengler - Die schützende Hand
    TV-Ausstrahlung im ZDF am 06.11.2017, 20.15 Uhr
    In der ZDF-Mediathek verfügbar bis zum 04.02.2018