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Der Nitrofen-Skandal

Breker: Mal wieder ein Skandal um vergiftete Lebensmittel. Das Mittel diesmal: Nitrofen; im strengen Verdacht, Krebs zu erregen. Es ist seit über zehn Jahren schon verboten doch was soll's, muss sich da einer, ja wahrscheinlich mehrere gesagt haben. Am Telefon begrüße ich nun Karl Heinz Funke, den Vorgänger von Renate Künast in der Schröder-Regierung und selber Landwirt. Guten Tag, Herr Funke.

    Funke: Guten Tag, Herr Breker.

    Breker: Herr Funke, Nitrofen in Lebensmitteln, das ist doch mindestens Körperverletzung, wenn nicht mehr.

    Funke: Sie haben recht, so habe ich es früher als Minister auch schon formuliert: wer sich an Lebensmitteln vergeht, ist schlichtweg ein Krimineller. Und wird entsprechend bestraft.

    Breker: Allerdings überzeugt die These davon, dass hier nur Kriminelle am Werk sind, nicht ganz. Das sieht aus wie ein ganzes System.

    Funke: Ja, völlig richtig. Es ist natürlich so, dass mit der Tatsache, dass man die Produkte des organisch-biologischen Landbaus, denen man auch noch ein Biosiegel geschaffen hat, dass unter den strengen Richtlinien bisherigen Anbaus im organisch-biologischen ja liegt, was dann das anbelangt, dass man den Biolandbau so politisch gepusht hat. Das haben Fachleute auch seit langem gesagt, dass entsprechende Kontrollmechanismen aufgebaut werden müssen. Bisher hatten wir in den Kontrollen nicht die Strukturen, die notwendig sind, wenn ich hier auf Masse gehen will.

    Breker: Sie haben es gesagt, Herr Funke, nun ist auch die Ökolandwirtschaft in Verruf geraten. Da fragt man sich als Verbraucher: wo ist denn eigentlich noch der Landwirt unseres Vertrauens, wessen Lebensmittel können wir denn eigentlich noch zu uns nehmen?

    Funke: Das versteht man, nur man darf nicht das Kind mit dem Bad ausschütten. Man muss dabei auch sachlich bleiben. Es ist nunmal so - ich bin früher für meine Aussagen heftigst kritisiert worden, weil ich gesagt haben, eine hundertprozentige Sicherheit kann niemand garantieren. Da gibt es Kriminelle, da gibt es Schlendrian und Schludrian. Das ist leider immer wieder so. Es kommt darauf an, dass man alles so dicht macht, dass man Zweifel ausschließen kann. Man darf aber Nitrofen nicht auf die gleiche Stufe wie BSE stellen oder MKS oder Schweinepest, was ja geschieht. Diese Reihe sieht sehr dicht aus, ein Skandal löst den anderen ab. Mit MKS oder Schweinepest hat das überhaupt nichts zu tun. Das sind Seuchen, die wir traditionell kennen und mit denen wir leider immer wieder zu tun haben. Nur eines gilt offensichtlich eindeutig und das durfte man früher gar nicht sagen: ich muss bei Produkten des ökologischen Landbaus mit demselben Risikobewusstsein herangehen, wie wir das im konventionellen Bereich kennen.

    Breker: In einer solchen Situation Herr Funke, wenn das Vertrauen verspielt ist, dann wird Aufklärung besonders bedeutsam. Nun war in diesem Fall der Betrieb in Mecklenburg-Vorpommern schnell gefunden, doch die Haltung der Verbraucherministerin 'die Gefahr ist erkannt, damit ist die Gefahr auch gebannt', das ist, wie man nun weiß, arg voreilig gewesen.

    Funke: Oh ja, ich habe mich auch gewundert, dass gleich am Sonnabend gesagt wurde: jetzt haben wir die Lösung, das ist dort passiert. Ich habe mir sofort gedacht, dass es bei der Menge eigentlich, in aller Vorsicht gesagt, eigentlich nicht nur an einer Stelle gewesen sein kann. Mittlerweile haben sich auch Fachleute dazu geäußert und gesagt: nun gut, es kann sein, aber wahrscheinlicher ist, dass es mehr Stellen gegeben hat, wo Nitrofen Futtermitteln beigemischt worden ist, was ich für wahrscheinlich halte. Das kam mir alles sehr früh vor, wie vieles in der gegenwärtigen Agrarpolitik. Man macht Aktionismus ohne die Solidität dabei zu garantieren.

    Breker: Forsches Auftreten alleine schafft kein Vertrauen. Wie sich nun heute herausgestellt hat, gab es schon im letzten September Proben, die Nitrofen enthielten. Der Skandal verschiebt sich nach vorne, das wird ja noch verfüttert. Das muss ja sogar fast im frühen Sommer des letzten Jahres gewesen sein.

    Funke: Das haben einige Fachleute auch zunächst vermutet und gesagt wenn das nicht auch zum Beispiel mit der Ernte und der anschließenden Lagerung zusammenhängen könnte, dann wären wir etwa im letzten August. Und das ist für mich der fundamentale Skandal, dass ja doch immer mehr davon gewusst haben, die es dann verschwiegen haben. Und Gesetze, Verordnungen hin und her: wenn jemand eine Futtermittelprobe untersucht und darin Substanzen sind, die längst verboten sind, von deren Krebsgefährdung in dem Fall man auch weiß und die Leute wussten ja davon, mein Gott, dann hindert mich das Fehlen eines Erlasses oder einer Verordnung nicht daran sofort Alarm zu schlagen. Ich erinnere an das, was Sie eingangs gesagt haben - Körperverletzung. Das ist sozusagen dann noch Offizialdelikt. Da kann ich mich nicht hinter das Nichtbestehen eines Erlasses zurückziehen. Ich frage mich, welches Verantwortungsbewusstsein auch manchmal in manchen Behörden, nicht überall, aber in manchen Behörden vorhanden ist.

    Breker: Es stellt sich die Frage nach der Verantwortung, Herr Funke.

    Funke: Völlig richtig. Ich bin da ja leidgeprüft, wie schnell manche Leute dann von Rücktritt reden, da bin ich sehr vorsichtig. Dadurch, dass Behörden Informationen nicht weitergeben, ist auch die Spitze eines Ministeriums nicht von vornherein verantwortlich zu machen. Wohl dann, wenn es um die politische Verantwortung geht und man nicht entsprechend alle Stränge des Ministeriums auch fest in der Hand hat. Aber das muss genauestens untersucht und betrachtet werden. Wir haben ja eine Inflation von Rücktrittsforderungen, das halte ich nicht für gut. Hier gilt auch: sorgsam prüfen. Wenn am Ende das Ergebnis vorliegt - die Ursache, wo sind Verfehlungen passiert, wo handelt es sich um Kriminalität, wo um Schlendrian und Schludrian. Dann muss man zu einer politischen Bewertung kommen, vorher nicht. Sie sehen ja, was sich in den letzten fünf, sechs Tagen schon alles an neuen Erkenntnissen wieder gegeben hat. Ich bitte darum, sachlich zu bleiben und ich glaube, die Menschen haben auch die Nase davon voll, dass immer wieder eine Schuldzuweisung vom Bund zum Land stattfindet, vom Bauernverband und Raiffeisen. Ich meine, man soll damit aufhören und genau sehen, Fachleute gehen da ran, wo es notwendig ist, ermitteln Staatsanwaltschaften und am Ende muss ein Ergebnis stehen und dann wird eine Bewertung vorgenommen und gesehen werden, wo die Verantwortlichkeiten liegen.

    Breker: Vielleicht noch ganz kurz zum Schluss, Herr Funke; liegt es vielleicht auch einfach daran, dass im Ökobereich besonders viel Geld zu verdienen ist?

    Funke: Ja, das meinte ich vorhin, als ich sagte, man hat eine bestimmte Form der Landwirtschaft idealisiert, heroisiert, Manche sagen, wir haben da was heiliggesprochen. Wir haben es überall auf der Welt immer mit Menschen zu tun und Geld verführt manche Menschen, vielleicht auch uns, wenn es um bestimmte Summen geht, man muss da sehr selbstkritisch sein. Und man kann nicht die eine Seite für heilig erklären und die andere verdammen. Da wo ich Chancen wittere muss ich damit rechnen, dass es Leute gibt, die auf die schnelle Mark aus sind.

    Breker: In den Informationen am Mittag war das Karl-Heinz Funke, der ehemalige Landwirtschaftsminister der Regierung Schröder, vielen Dank, Herr Funke.

    Funke: Ja, bitte, Herr Breker. Schönen Gruß nach Köln.

    Breker: Dankesehr.