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Der Regiegigant

Als in dem Hörspiel mit dem Titel "Hörspiel" von Peter Handke drei Kilo rohes Fleisch auf den Boden fallen sollten, so wie es die Regieanweisung des Meisters forderte, da gab es für den Regisseur Heinz von Cramer keine Kompromisse: Kein diffuses Platschen aus dem Geräuschearchiv, nicht mal eben dem Wohlstandsbauch des Dramaturgen einen Hieb versetzen - nein, von Cramer schickte die Regieassistentin in die Fleischerei, bloß ob sie Rind oder Schwein kaufte, das wissen wir nicht und wir hören es dem Hörspiel ehrlich gesagt auch nicht an.

Von Frank Olbert | 18.04.2009
    Aber so war Heinz von Cramer, wenn es um seine Arbeit ging: bedingungslos, präzise, der akustischen Wahrhaftigkeit verpflichtet. Ihn umgab etwas Priesterliches, wenn er hinterm Mischpult seine sehr oft vielköpfigen Ensembles dirigierte, und das lag nicht allein an den langen wehenden Haaren. Hörspiel, dieses Wort war für diesen Regisseur, der von der Musik her kam und der auch für die Oper gearbeitet hat, eine Verpflichtung: mit dem Hören spielen, das sollte seiner Auffassung nach diese einzige Kunstform tun, die das Radio genuin hervorgebracht hat. Deshalb begann mit dem Ende der 60er-Jahre seine große Zeit als Hörspielregisseur. Von jetzt an war der Regisseur nicht allein bloß der Diener des Wortes, von jetzt an durfte er der Zauberer sein, der mit allem Hörbaren hantierte.

    Dabei war Heinz von Cramer ein leidenschaftlicher Liebhaber der Literatur. Lange bevor das Hörbuch in aller Munde respektive aller Ohren war, grub er, ein auf Raritäten versessener Archäologe, mitunter vergessene Bücher aus: "Tristan Shandy", den Luftschiffer "Gianozzo", "Das Fräulein von Scuderi". Ihm ging es nicht darum, die Bestsellerlisten zu verhörspielen, ihm ging es um Entdeckungen.

    Mit Heinz von Cramer hat das Hörspiel nicht allein einen seiner produktivsten Regisseure, Bearbeiter und Autoren verloren - er wird an die 300 Produktionen realisiert haben; mit ihm starb nun ein Künstler, der dem Hörspiel einen spezifisch orchestralen und chorischen Klang verliehen hat. Von Cramers Inszenierungen waren oft Feste für die Ohren, opulent, kräftig, mitreißend. Zweimal erhielt er den Hörspielpreis der Kriegsblinden dafür, für Dieter Kühns "Goldbergvariationen" und für Friederike Roths "Nachtschatten". Im Alter von 84 Jahren ist Heinz von Cramer in der Nähe seines italienischen Wohnortes Viterbo gestorben.

    Eine, die Heinz von Cramer gut kannte, ist Stefanie Hoster, Hörspielchefin bei DeutschlandRadio Kultur.

    Frau Hoster, bei welcher Gelegenheit haben Sie Heinz von Cramer kennengelernt?

    Ich habe Heinz von Cramer als Regieassistentin kennengelernt.

    Wie war er als Regisseur? Wie ging er mit den Anderen um?

    Heinz von Cramer war vor allem ein Freund. Die Qualität seiner Arbeit war, dass er sich mit Teams verstanden hat. Er konnte die Persönlichkeiten von Toningenieuren oder Regieassistenten sofort in seine Arbeit mit einbeziehen, weil er als Komponist gearbeitet hat. Uns so war das auch mit den Schauspielern. Sie sind wie Instrumente für ihn gewesen, Menschen, die seine Vision von Stücken zum Klingen gebracht haben. Er hat ein Klima geschaffen, dass es den beteiligten Menschen ermöglichte, sich mehr zu öffnen, als das in gängigen Produktionen üblich war.

    Sie haben gerade schon erwähnt, dass er von der Musik her kam. Er hat Komposition bei Boris Blacher studiert. Welche Bedeutung hat diese Ausbildung für seine Hörspielarbeit gehabt?

    Sowohl die Sprache in ihrer Rhythmik als auch die Stimmen und Instrumente in ihrer Klangfarbe haben immer die wesentliche Rolle in seiner Arbeit gespielt. Außerdem kannte er in der Musik ein großes Repertoire und konnte daraus eine neue Musik komponieren. Das war eine Qualität, die ihm so schnell keiner nachgemacht hat. Natürlich kann jeder Musik zusammenstellen und das gibt dann auch einen neuen Beat, aber er hat für jedes Stück eine eigene Komposition aus Kompositionen geschaffen.

    Welche weiteren Stilmerkmale kennzeichnen seine Hörspielinszenierungen?

    Über lange Jahre gab es ein ganz wesentliches Stilmerkmal in seinen Arbeiten: Das war der Chor. Er hat in vielen großen Literaturbearbeitungen, aber auch in geschichtlichen Stücken den Erzähler in Chöre aufgelöst. Bearbeitungen haben bei Heinz von Cramer selten so funktioniert, dass es einen Erzähler gab und dann Szenen. Er hat Literatur immer so bearbeitet, dass es eine Perspektive auf den Stoff gab. Das heißt, er hat versucht, eine Figur herauszusuchen, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird.

    Er hat ja schon sehr früh Literaturbearbeitungen gemacht, auch ganz abseitige Texte oder vergessene Autoren. Ist das in irgendeiner Weise vergleichbar mit der Hörbuchproduktion wie wir sie heute kennen?

    Als er begann, Literatur zu bearbeiten, gab es die Idee zum Hörbuch noch gar nicht. Da gab es Schallplatten. Seine Grundidee war, dass er Bücher, die er liebte, bekannt machen wollte. Das hat auch mit dem Impetus der Nachkriegszeit zu tun. Er wurde als junger Mann während des Krieges in Berlin versteckt wegen jüdischer Herkunft und nicht etwa wegen Desertion, wie es in Wikipedia steht. In dieser Zeit im Versteck hat er sehr viele Bücher gelesen. Er hatte ein sehr großes Repertoire in vielen Sprachen, aus denen er auch übersetzt hat. Und dieses Repertoire wollte er seinem Publikum nahe bringen.

    Am 19. Juli um 18.30 Uhr sendet Deutschlandradio Kultur in seiner Reihe "Vor 50 Jahren" eine frühe Regiearbeit von Heinz von Cramer: "Das Schwitzbad" von Wladimir Majakowski. Das satirische Stück um zwei Apparatschiks, die eine Zeitmaschine sabotieren, wurde nach seiner Uraufführung im Jahr 1930 in Moskau sofort verboten. 1959 hatte es in Ost-Berlin Premiere und wurde unmittelbar danach wieder abgesetzt. Daraufhin ließ der RIAS das Stück neu übersetzen und produzieren. Heinz von Cramers Lehrer Boris Blacher steuerte die Musik bei.

    Am Samstag, den 9. Mai um 15.15 Uhr sendet Bayern 2 Radio Heinz von Cramers Bearbeitung von Oskar von Panizzas Erzählung "Aus dem Tagebuch eines Hundes".

    Am Sonntag, den 7. Juni um 14.05 Uhr gibt es eine Ursendung bei HR 2: Alfred Jarrys Dialogroman "Die Liebe von Besuch zu Besuch" in der Bearbeitung und Regie von Heinz von Cramer.