"Sie wohnten oben. Von dort aus sah die Großmutter übers Land, und Enni sah in den Himmel. Im Herbst war er ein Krähenhimmel und im Frühling ein Schwalbenhimmel, im Sommer oft blau und vogellos. Manchmal lag sie auf dem Bett unter dem Fenster, hielt die Arme ausgebreitet, die Beine gespreizt, die Augen weit geöffnet und atmete in die Füße." - wie es ihre Ballettlehrerin befohlen hatte."
Die kleine Enni, die leidenschaftlich gerne tanzt und noch lieber träumt, lebt mit ihren Eltern, einem jüngeren Bruder und einer sonderbaren Großmutter in einem Einfamilienhaus, das wenig Geheimnisse kennt und doch einige Rätsel birgt. Das Mädchen hat sich noch längst nicht von dem magischen Glauben unserer Kinderwelten gelöst und steht darum dauernd vor der selbst gestellten Aufgabe, das Schicksal zu beschwören. Wir alle kennen dieses Verhalten aus unserer Kindheit und sind selbst als Erwachsene nie völlig frei von solchem (Aber-)Glauben. Ihr erscheint es lebensnotwendig, "das grüne Geländer am Bahnhof mit der rechten Hand so berühren, dass alle Finger auf einmal auf dem Eisen auflagen. Den Pfosten neben dem Süßigkeitsautomaten mit der Schulter streifen. (...) Dann passierte nichts", dann kamen sie alle wieder heil zu Hause an. Als Enni eines Tages aber im Turnunterricht an der Sprossenwand patzt, ist sie sich sicher, dass nun die - im Krankenhaus liegende - Großmutter, endgültig sterben muss. Doch die schrullige alte Frau, die vom Alkohol zur Religiosität zurückgefunden hatte, überlebt und macht weiter dem jungen Mädchen ein schlechtes Gewissen. Enni liebt und hasst sie gleichermaßen. Die erwachende Sexualität, erste Kontakte zu einem Schulfreund, schüren ihre Ängste. Sie will ihren Körper unter Kontrolle behalten. Ein übermächtiges Gefühl sagte ihr: Sie musste ihren Bauch sehen: "Der Bauch wurde immer härter. Ein harter kleiner Bauch stand zwischen Ennis Hüftknochen hervor, die im Liegen in die Luft zeigten wie Haifischflossen." Der "Nachttraum" war in ihren Tag gewandert und machte "sich breit in ihrem Bauch, und von Woche zu Woche ging er auf dünneren Beinen." Sie träumt vom Essen, und fürchtet sich vor den Folgen. "Sie rannte oft in der Nacht durchs Haus. Hinter ihr lief eine kleine Horde dicker Kalorien her."
An dieser Stelle, nach zwei Dritteln des Textes, verliert Sandra Hoffnung etwas das Gespür für die Gewichtung ihrer Geschichte. An der Schaltstelle knirscht es. Die Geschichte des Kindes, seiner Hoffnungen und Ängste, wird etwas mühsam mit der Geschichte des jungen Mädchens, die von ihren Ängsten überwältigt wird, verbunden. Die Magersucht und ihre Therapie nimmt, trotz teilweise grandioser Beschreibungen, zu viel Raum ein. Doch am Ende bekommt nicht nur das geheilte Mädchen, sondern auch die Autorin wieder die Kurve: "Wir könnten fliegen, sagte Enni." Und sie flog, durchs Zimmer, übers Bett, durchs Bad. Bis sie genug hatte. "Es reicht, sagte Enni." Die Kindheit ist vorbei. Das Leben kann beginnen, denn die Sehnsucht bleibt.