Archiv


Der rot-rote Senat in Berlin

Lange: Selten ist das Vorwort zu einem Vertrag mit derartiger Genauigkeit unter die Lupe genommen worden: die Präambel des Koalitionsvertrags zwischen SPD und PDS in Berlin. Zehn Wochen nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus haben sich beide Parteien gestern auf den Zuschnitt des Senats geeinigt und zuletzt eben auch auf diese Präambel, in der es um die gemeinsame Sichtweise auf die Geschichte vor dem November 1989 geht. Günter Hellmich in Berlin, was ist denn die Essenz dieser Präambel?

    Hellmich: Die Essenz ist ganz klar eine deutliche Schuldzuweisung an die SED für die Menschenrechtsverletzungen in der DDR, für die Niederschlagung des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 und letztendlich für das Grenzregime, also die Toten an der Mauer. Mithin also an die Vorläuferorganisation des Koalitionspartners PDS. Die Frage ist allerdings - und die muss man sich gleich stellen - inwieweit das dann letztendlich für die ganze Partei PDS verbindlich sein wird, zumal Gregor Gysi gestern abend gleich im Tagesthemen-Interview gesagt hat 'vieles, was da drinstehe in dieser Präambel könne er teilen', woraus man schließen kann, dass er vielleicht dann doch nicht alles teilt.

    Lange: Nimmt denn die PDS als Rechtsnachfolgerin der SED einen Teil dieser Schuld auf die eigene Schulter?

    Hellmich: Nun, sie hat ja im vergangenen Jahr einiges sozusagen erklärt zu den Verantwortlichkeiten um auf der anderen Seite immer wieder klarzumachen, dass es nicht darum gehen könne, sich zu entschuldigen, weil dieses Unrecht eben nicht entschuldbar sei.

    Lange: Wie sieht denn jetzt der Zuschnitt des neuen Senats aus?

    Hellmich: Wenn am 17. oder 18. Januar der Senat zum ersten mal im Roten Rathaus zusammenkommen wird, dann werden da neun Leute sitzen, wer genau steht noch nicht fest aber feststeht, dass sechs davon einschließlich des regierenden Bürgermeisters der SPD angehören werden oder zumindest von ihr nominiert sein werden und drei nur zur PDS gehören werden. Das ist ein bemerkenswerter Zuschnitt, wenn man sich mal vorstellt, dass die gleiche Quotierung gegenwärtig im Übergangssenat mit den Grünen ebenfalls besteht, wobei der Unterschied noch der ist, dass die Grünen gegenwärtig den Justizsenator stellen, was ja immerhin eine Querschnittsverwaltung ist so wie Finanzen und Inneres auch. Das heißt wer in diesen drei Ressorts ist, der kann bei allen anderen Verwaltungen mitreden, nämlich immer dann wenn es um Geld geht, um Stellen oder überhaupt um rechtliche Aspekte.

    Lange: Da gibt es eine Spezialität, da hat die PDS so eine Art Vetorecht?

    Hellmich: Ja, bei der Besetzung des Justizressorts. Das ist ja sozusagen die kleinste Einwirkungsmöglichkeit. Die PDS hatte ja selbst vier Senatorensitze ursprünglich für sich reklamiert, die SPD wollte das von Anfang an nicht zugestehen. Nun sind es drei geblieben. man hatte überlegt, ob eventuell vielleicht ein parteiloser Kandidat die Möglichkeit sein könnte aber nein, man hat sich also darauf geeinigt, der SPD das Vorschlagsrecht zu lassen. Es kann also ein SPD-Mann / eine SPD-Frau sein, es kann auch eine Parteilose sein aber jedenfalls bleibt die im Verantwortungsbereich der SPD. Nur die PDS muss ihr OK geben.

    Lange: Es gibt noch eine Besonderheit: die PDS soll erstmals in einer Landesregierung das Wirtschaftsressort übernehmen. Gibt es da schon Namen?

    Hellmich: Da gibt es den großen Namen Gregor Gysi natürlich von Anfang an, der ja auch im Wahlkampf immer erklärt hat, dass wenn er nicht regierender Bürgermeister wird, er sich durchaus vorstellen könnte, das Wirtschaftsressort oder aber auch das Kulturressort zu übernehmen neben der Vertretung des regierenden Bürgermeisters. Da werden wir mal sehen, was da auf ihn zukommen wird. Er hat sich dazu noch nicht äußern wollen, er weiß aber, dass beides wohl in Frage kommt für ihn. Aber möglich ist das Wirtschaftsressort durchaus, zumal es da viel um Repräsentation geht, viel um Kontaktpflege, um Klimapflege und - das sagt man ihm ja nach - kann er.

    Lange: Das ganze muss jetzt durch die Parteigremien. Ist bei der SPD da noch nennenswerter Widerspruch zu erwarten?

    Hellmich: Also bei den Fraktionen kann man eigentlich überhaupt nicht davon ausgehen, dass es da größeren Widerstand gibt zumal in den großen Runden, die ja gestern ihr Plazid gaben ja auch die wesentlichen Kräfte natürlich miteingebunden sind. Es wird auf den Parteitagen, der für die SPD am Freitag stattfindet und für die PDS am Samstag, natürlich wie es so üblich ist in Parteien kleinere Gruppen geben, die das eine oder andere da anzufügen haben. Bei der SPD insbesondere aus dem Ostteil der Stadt und bei der PDS aus den eher orthodoxen Regionen der PDS. Aber im großen und ganzen wird das wahrscheinlich glatt durchgehen.

    Lange: Informationen von Günter Hellmich zum rot-roten Senatsprojekt in Berlin.