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Der Rückkehrer

"Bilder", "Häuser" und "Hausfreunde" hießen die drei Hörspiele, mit denen Jürgen Becker im Jahr 1969 nach seinen ersten Prosabänden sein Hörspielwerk begann. Sie gehören zu den ersten Beispielen des so genannten Neuen Hörspiels, wollen keine Geschichten erzählen, sondern tasten die Sprache als solche ab, mit ihren Mustern, den in ihr enthaltenen Denkweisen und Haltungen. "Häuser" wurde, was für Hörspiele eine absolute Rarität ist, gleich drei Mal von verschiedenen Regisseuren umgesetzt.

Mit Frank Olbert |
    Frank Olbert: Nachdem Jürgen Becker sich in seinem späteren Werk dem Erzählen zunehmend angenähert hat, schlägt sein neues Hörspiel einen Bogen zu seinen Anfängen - thematisch: Es geht um die Rückkehr ins einst verlassene Haus - aber auch ästhetisch: Während der Rückkehrer seine Empfindungen und Gedanken benennt, tastet er zugleich die Worte und Wendungen auf in ihnen enthaltene Assoziationen ab. "Reisende, wenn sie nach Hause kommen, sind unterwegs im Haus" heißt es zu Beginn des Hörspielmonologs.

    Herr Becker, war eine konkrete Situation der Anlass dieses Hörspiel zu schreiben?

    Jürgen Becker: Nun, das kennt ja jeder, der nach längerer Zeit wieder nach Hause kommt und sich die vertraute Umgebung erst einmal wieder nahebringen muss. Aber im Grunde war es eine literarische Situation, die diesem Hörspiel vorangegangen ist. In meinem Buch "Die fehlenden Seiten" habe ich eine kleine Szene beschrieben, in der ein Mann nach langer Zeit ins Haus zurückkommt und alles ist ihm fremd. Er findet sich nicht zurecht, obwohl er alles wieder erkennt. Es ist sicher so, dass diese Fremdheit im eigenen Haus eine Metapher ist für die Fremdheit im eigenen Leben. Das eigene Leben erscheint einem wohlvertraut. Aber nun gibt es, vor allem, wenn man alt geworden ist, die unendlichen Vergangenheiten, die nicht jederzeit gegenwärtig sind, sondern an die man sich erinnern muss. Anlass für dieses Erinnern stiftet dieses Haus, die einzelnen Zimmer, die Möbel.

    Olbert: Ist es eigentlich ein Unterschied, ob Sie einen Prosatext oder ein Hörspiel schreiben? Hören Sie vielleicht schon die Stimmen, bevor sie zum Klingen kommen?

    Becker: Bei diesem Hörspiel "Unterwegs im Haus" hatte ich von Anfang an eine bestimmte Stimme im Ohr, nämlich die von Otto Sander. Ich habe ihn oft im Radio gehört, auf dem Theater und im Film gesehen. Und diese Stimme hat das Schreiben begleitet. Es war noch nie so konsequent. In anderen Hörspielen habe ich zwar mal diese oder jene Stimme gehört, aber es war doch sehr offen. Das ist natürlich ein Unterschied zum Schreiben eines Prosastückes oder eines Gedichtes. Dann weiß man, wenn man ein Hörspiel schreibt, man schreibt für ein Medium, für ein Massenmedium, in dem es eine kleine Nische gibt, eine Sendezeit für Hörspiele. Man schreibt hier nicht so sehr für sich selbst, sondern man schreibt für Hörer. Und man schreibt auch für ein Studio, für Sprecher, für einen Regisseur. Das heißt, es ist ein gezieltes Schreiben. Man denkt an eine bestimmte Dauer, 45 Minuten oder eine Stunde. Es ist fast ein funktionelles Schreiben. Das reizt mich daran im Unterschied zum Schreiben eines Gedichtes oder eines Prosatextes. Man muss sich an bestimmte Regeln halten, die das Medium stellt.

    Olbert: Sie haben in diesem Fall das Hörspiel aus einem Buch herausgefiltert. Finden diese Wechselbeziehungen auch umgelehrt statt, dass Texte aus Hörspielen in ein Buch eingehen?

    Becker: Ja, das hat es auch gegeben. In meinem Hörspiel "Ahrenshoper Holz" geht es um einen Maler, der verschwunden ist. Diesen Fall hat es tatsächlich gegeben. Im Jahr 1945 verschwindet ein Maler aus dem Künstlerdorf und kehrt nie wieder zurück. Der Stoff hat mich weiter beschäftigt und ist in dem Journalroman "Schnee in den Ardennen" ein eigener Teil geworden. Man sieht daran, dass Motive sich neu betrachten lassen und für ein anderes Medium noch einmal ganz neu zu verwenden sind.

    Jürgen Beckers Hörspiel "Unterwegs im Haus", gesprochen von Otto Sander und in der Regie von Leonhard Koppelmann stellt der Deutschlandfunk am Samstag, den 14. November um 20.05 Uhr vor.