Samstag, 20. April 2024

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Der Rücktritt von Oskar Lafontaine

DLF: Am Telefon in Halle ist nun Rüdiger Fikentscher. Er ist Vorsitzender des SPD-Parteirates und außerdem Landes- und Fraktionsvorsitzender der Sozialdemokraten in Sachsen-Anhalt. Guten Morgen.

13.03.1999
    Fikentscher: Guten Morgen Herr Lange.

    DLF: Herr Fikentscher, nach dem Rücktritt von Oskar Lafontaine haben Sie erklärt, die SPD habe nun schwere Zeiten vor sich. Sehen Sie die Perspektive der Partei nach den gestrigen Entscheidungen etwas gelassener?

    Fikentscher: Nun, man muß eine solche Sache natürlich in jedem Fall ernsthaft sehen. Wichtig ist, daß ordentlich regiert, ordentlich weiterregiert wird. Die Weichen dafür sind unverzüglich gestellt worden, und die Menschen im Lande haben weniger Interesse daran, wie wir unsere eigenen Probleme lösen, sondern Interesse daran, daß die Arbeit gut gemacht wird. Und ich glaube, die Voraussetzungen sind dafür geschaffen. Aber natürlich ist der Verlust eines bedeutenden Parteivorsitzenden nicht von einem Tag zum andern so beiläufig zu schließen. Da gehört mehr dazu, und das wird in den nächsten Wochen natürlich geschehen müssen. Wir haben ja auch in vier Wochen bereits einen Parteitag, auf dem der wichtigste Schritt dazu getan wird.

    DLF: Über die Motive Lafontaines wird immer noch gerätselt. Können Sie sich vorstellen, daß ein Zerwürfnis mit Gerhard Schröder den Ausschlag gab? Oder vermuten Sie eher, daß es persönliche Gründe waren, die zu dieser Entscheidung führten?

    Fikentscher: Sie haben recht, man kann darüber nur Vermutungen anstellen, aber daran beteilige ich mich nicht. Das ist auch nicht in Ordnung. Man wird eines Tages vielleicht von Oskar Lafontaine selber etwas hören, aber man sollte das nicht jetzt versuchen. Ich weiß sehr wohl, daß sehr viele Vermutungen anzustellen sind, aber das hilft uns in der Sache ja auch nicht weiter.

    DLF: War es nicht vielleicht von vornherein ein Fehler, daß Lafontaine ins Kabinett gegangen ist? Das war ja eine Konstruktion mit einer Art ‚Über-Kreuz-Loyalität‘: Ein Parteichef, der sich als Minister der Richtlinienkompetenz unterordnen muß - ein Kanzler, der auf den Rückhalt bei seinem Parteichef achten muß. Konnte so etwas gutgehen?

    Fikentscher: Nun, vom Ausgang her mögen diejenigen sagen, sie haben recht gehabt, die meinten, es könne nicht gutgehen. Aber schließlich haben die beiden gezeigt, daß sie jahrelang ausgezeichnet miteinander erfolgreich arbeiten konnten, und das war bis jetzt ja auch der Fall. Und da wir über die tatsächlichen Gründe von Oskar Lafontaine nichts wissen, möchte ich auch dazu nichts vermuten. Bis jetzt ist gut gearbeitet worden, und es ging schließlich.

    DLF: Eine der Schlagzeilen heute lautet: ‚Wirtschaft und Börse jubeln – Gewerkschaften besorgt‘. Werden sich diese Hoffnungen oder Besorgnisse bestätigen, wird es einen Kurswechsel oder eine Akzentverschiebung in der Wirtschafts- und Finanzpolitik geben?

    Fikentscher: Einen grundsätzlichen Wechsel wird es nicht geben. Akzentverschiebungen hat es ja schon immer gegeben. Die muß es auch immer wieder geben, weil man sich in der Politik an die tatsächlichen Verhältnisse anzupassen hat. Man kann nicht die Welt von einer Theorie her allein verändern wollen. Aber es wird keine grundsätzlichen Veränderungen geben, das hat ja auch Gerhard Schröder gestern eindeutig gesagt. Und wenn unsere politischen Gegner – in Parteien organisiert oder nicht – jetzt so tun, als hätten sie einen großen Sieg errungen, dann sollten sie sich überlegen, daß das vielleicht ein sehr vorzeitiger Jubel ist. Sie werden sich noch wundern. Sie sollten nicht zu früh jubeln.

    DLF: Gerhard Schröder hat gestern bekräftigt, die Steuerreform soll so bleiben wie sie ist. Aber das schließt ja nicht aus, daß die geplante Reform - die Unterneh-menssteuern - dann doch deutlich wirtschaftsfreundlicher ausfällt, als es mit Lafontaine der Fall gewesen wäre. Es gibt ja Äußerungen von Gerhard Glogowski – Korrekturen bei den 630-Mark-Jobs, es gibt Äußerungen von Wolfgang Clement und Wirtschaftsminister Müller, die Unternehmenssteuer noch deutlicher zu senken. Das sieht ja so aus, als hätten die nur darauf gewartet – sozusagen –, daß Lafontaine nicht mehr im Amt ist, um jetzt ihre Vorstellungen stärker prononcieren zu können.

    Fikentscher: Das mag durchaus sein, aber wir hatten ja in den vergangenen Monaten auch zahlreiche Diskussionen um all diese Fragen. Das war ja das, was uns auch viele Kritik eingebracht hat, daß wir über die Fragen diskutiert haben, daß es keineswegs alles in jedem Punkt schon klar gewesen ist. Das ist nun mal die normale Arbeit, die zu leisten ist. Und da werden diejenigen, die in Oskar Lafontaine einen Argumentationsgegner gesehen haben, natürlich ihre Argumente jetzt noch deutlicher vortragen.

    DLF: Wenn die SPD auf diese Weise weiter in die Mitte rückt: Bedeutet das nicht auch mehr Bewegungsspielraum gerade für die PDS in den neuen Ländern, die sich dann ja auch mehr als Sachwalter der kleinen Leute darstellen kann als jetzt?

    Fikentscher: Ich glaube, daß sich im Hinblick auf den Aufbau Ost überhaupt nichts ändern wird. Darin waren sich Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder, der den Aufbau Ost zur Chefsache erklärt hat, immer einig. Und wenn sich an der tatsächlichen Politik hier sich nichts ändert, dann werden sich auch die Kräfte, die hinter den Parteien stehen und die Parteien stützen, nicht merklich ändern.

    DLF: Wie wird sich denn das Verhältnis zur PDS entwickeln? Lafontaine wollte ja diese Dresdner Erklärung ad acta legen und hat die Zusammenarbeit in den Ländern den einzelnen Landesverbänden überlassen. Wird das bei einem Parteivorsitzenden Schröder auch so bleiben?

    Fikentscher: Da bin ich ganz sicher. Das ist ja eigentlich eine ganz normale Entscheidung gewesen, zu sagen: ‚In den Landesverbänden wird entschieden was in dem Land zu geschehen hat‘. Das ist bis jetzt so; was sollte sich ändern? Wir haben eine Koalition mit der PDS in Mecklenburg-Vorpommern, wir haben eine nicht schriftlich vereinbarte Tolerierung in Sachsen-Anhalt. Was in den anderen Ländern wird, wissen wir im Moment noch nicht. Wir können ja keine PDS-Quote einführen.

    DLF: Aber müssen Sie nicht damit rechnen, daß Schröder sehr viel deutlicher reagiert, wenn er die Wählerschichten verprellt sieht, die er unter ‚neuer Mitte‘ versteht?

    Fikentscher: Das wird vermutet, vielleicht auch mehr unterstellt. Denn es hat sich ja herausgestellt, daß das, was wir jetzt hier getan haben oder tun, die Wählerinnen und Wähler nicht verprellt, wir also Erfolg hatten. Und am Erfolg kann Gerhard Schröder allemal nur interessiert sein.

    DLF: Also, Sie halten damit auch eine Koalition von SPD und PDS in Thüringen – gesetzt den Fall, die Wahl geht so aus, daß das möglich ist – auch unter einem SPD-Chef Schröder für denkbar?

    Fikentscher: Ich halte es alles für denkbar, obwohl ich keinerlei Ratschläge erteile. Das muß im Land selbst entschieden werden. Ich habe ja auch gehört, daß man in Thüringen eventuell über eine Mitgliederbefragung so etwas regeln möchte. Und da wird Gerhard Schröder der Letzte sein, der sich über das hinwegsetzt.

    DLF: Lassen Sie uns noch einmal auf Lafontaine zurückkommen: Die SPD steht doch jetzt auch als Regierungspartei vor einem Neuaufbau, zumindest vor einem Umbau, zumal Ihre besten Leute in die Ministerien gegangen sind. War der Rücktritt von Lafontaine vielleicht nicht auch ein Eingeständnis, daß die Kraft für beide Ämter nicht gereicht hat?

    Fikentscher: Es ist sicherlich so, daß sehr viel Kraft dafür notwendig ist, dies alles zu vereinen. Und das wird auch Gerhard Schröder nicht nur sehr bald merken, sondern das weiß er selbstverständlich auch. Das heißt: Die Lücke, die durch Oskar Lafontaines Rücktritt entstanden ist, kann nicht nur von ihm allein ausgefüllt werden, sondern da müssen andere helfen. Aber es gibt genügend andere gute Leute, die dabei helfen.

    DLF: Das war Rüdiger Fikentscher, der Vorsitzende des SPD-Parteirates zur Situation der SPD. Danke nach Halle.

    Fikentscher: Bitte schön, Herr Lange.