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"Der Ruf der Öffentlichkeit holt einen ein"

Porsche-Chef Wendelin Wiedeking oder Deutsche Bank Vorstand Jürgen Fitschen: Derzeit sehen sich einige Wirtschaftsgrößen staatsanwaltlichen Ermittlungen gegenüber. Das wirft die Frage nach Machtmissbrauch von Konzernlenkern auf. Generell würden Vorstände inzwischen jedoch verstärkt auf ihren öffentlichen Ruf achten, meint Wirtschaftswissenschaftler Michael Adams.

Michael Adams im Gespräch mit Silvia Engels |
    Silvia Engels: Welchen Ethikbegriff haben Konzernlenker? Die Frage drängt sich auf, denn derzeit sehen sich direkt einige Größen aus der Wirtschaft staatsanwaltlichen Ermittlungen gegenüber. Da waren die Durchsuchungen bei der Deutschen Bank im Zusammenhang mit Steuerbetrug, die Milliarden-Strafe gegen die Schweizer Bank UBS wegen Manipulation des Libor-Zinssatzes bis hin zur Anklageerhebung gegen den ehemaligen Porsche-Chef Wiedeking wegen möglicherweise falscher Informationen an die Börsen.

    Alle Fälle sind verschieden, in vielen ist auch noch kein Urteil gesprochen, doch eines haben sie alle gemeinsam: Sie lassen den Ruf nach einer guten und verantwortungsvollen Unternehmenskultur wieder einmal laut werden. Und mit dieser Frage befasst sich seit Jahren Professor Michael Adams, er lehrt Wirtschaftsrecht an der Universität Hamburg. Guten Morgen, Professor Adams.

    Michael Adams: Guten Morgen!

    Engels: Vorstände großer Firmen entscheiden natürlich über gewaltige Geldsummen, haben viel Macht. Sie müssen sich ihrem Aufsichtsrat und ihren Aktionären gegenüber verantworten, aber nicht der Öffentlichkeit. Zeigen die gerade genannten Fälle und auch andere, dass diese Kontrolle zu schwach ist?

    Adams: Nein, das kann man nicht sagen. Man muss verstehen, was ein Aufsichtsrat kann. Ein Aufsichtsrat kann sich nicht in das alltägliche Geschäft hineinmischen. Er beobachtet den Vorstand, und er wird tätig, wenn dieser Vorstand beginnt, dem Unternehmen zu schaden, und dann kann er eingreifen. Also er ist kein zweiter Vorstand, sozusagen der bessere Vorstand, sondern ist ein Instrument, damit die Aktionäre einen versagenden Vorstand austauschen können.

    Engels: Dann bleibt aber viel Macht bei dem einzelnen Vorstand für sich selbst und für die eigene Firma. Kann es da passieren, dass man denkt, man könne sich Ausnahmen von den Regeln des Rechtsstaates genehmigen?

    Adams: Nun, ein Vorstand hat die Macht, und diese gewaltigen Unternehmen, die weltweit aktiv sind, haben eine besondere Macht. Und das heißt: Das kann einen verführen, dass man glaubt, man stünde über den Gesetzen. Aber die Gesetze holen einen dann doch schnell ein, auch der Ruf der Öffentlichkeit holt einen ein. Viele Unternehmen zahlen zum Beispiel jetzt mehr Steuern, obwohl sie die gar nicht zahlen müssten, denn ihnen erlaubt zum Beispiel, weil sie international tätig sind, eine Steueroptimierung über viele Länder.

    Und sobald diese Diskussion in den Steuern aufkam, haben die gesagt, das ist mit unserem Ruf nicht vereinbar, lieber zahlen wir Steuern, als dass wir uns in der Öffentlichkeit bloß stellen lassen. Also die Macht ist beschränkt: Sie ist beschränkt durch den Aufsichtsrat, aber auch durch den Goodwill, den Unternehmen für ihre Produkte haben müssen, und die Kunden mögen es nicht, dass das Unternehmen sagt, zahlt ihr mal Steuern, wir aber nicht.

    Engels: Große Unternehmen und Banken haben aber auch große Rechtsabteilungen, und dort sind ja zuweilen mehrere Hundert Juristen damit beschäftigt, Firmen nach Recht und Gesetz zu beraten, ja, aber auch, um mögliche Gesetzeslücken auszuloten, zum Beispiel um Steuern zu sparen. Sieht man also dort automatisch den Fiskus als Gegner, und kann da der Eindruck entstehen, juristische Grenzen ließen sich dehnen?

    Adams: Ja. Natürlich freut sich keiner, Steuern zu zahlen. Übrigens auch die Aktionäre wollen nicht, dass das Unternehmen ohne Not zu viel Steuern zahlt. Also versucht man, diese Last möglichst gering zu halten, und dazu werden diese Personen angestellt. Aber natürlich die rote Linie überschreiten, sich gar mit anderen, die Steuern hinterziehen, zu verbinden, das ist für ein Unternehmen extrem gefährlich.

    Es wird auch für die einzelnen Abteilungen gefährlich. Also was man verlangt ist: geh an die Linie - der Fiskus geht übrigens auf der Gegenseite auch an die Linie; man darf nicht vergessen: Jedes Jahr werden einige Steuergesetze für verfassungswidrig erklärt – und an der Linie zahlst du die Steuern, die wirklich geschuldet sind, aber geh nicht drüber.

    Engels: Dann schauen wir einmal auf das prominenteste Beispiel, das wir in den letzten Tagen gesehen haben, nämlich die Deutsche Bank. Dort haben ja die Vorstandschefs Fitschen und Jain erst vor wenigen Monaten einen Kulturwandel angekündigt. Nun erleben wir Durchsuchungen und einen Konzernchef Fitschen, der zum Telefon greift, um sich beim hessischen Ministerpräsidenten Bouffier über das Vorgehen der Staatsanwaltschaft durch die Razzien zu beschweren. Fitschen sieht das mittlerweile als Fehler ein, hat sich entschuldigt. Aber wie kommt ein Konzernchef überhaupt auf eine solche Idee?

    Adams: Nun, der Herr Fitschen war damit konfrontiert, dass in seinem Haus drei Etagen tiefer möglicherweise diese rote Linie überschritten worden ist, und er ist nach oben hin verantwortlich und war natürlich entsetzt, dass da 500 Polizisten die Zentrale umstellten, verheerende Fernsehbilder um die Welt gingen, und er hat dann einfach angerufen. Er ruft natürlich Kraft seiner Funktion häufig führende Politiker an, die Bundeskanzlerin, den Ministerpräsidenten, und da hat er gedacht, seid ihr vielleicht verrückt, dass ihr so einen Aufwand macht, vielleicht hätten es auch 50 Leute getan, und obendrein werden wir als Bank natürlich kooperieren müssen.

    In der Politik hätte er dort einen Krisenstab gehabt, die hätten gesagt, hör mal zu, das ist jetzt kein normales Gespräch, du kannst hier nicht den Chef der Regierung anrufen, dann kriegst du ein Problem, als wolltest du die Justiz beeinflussen, dass sie gegen dich nicht so ermittelt, wie sie ermitteln muss. Also das war einfach ein Kurzschluss, der dort gelaufen ist.

    Engels: Aber was für eine Kultur spricht denn aus einem solchen Verhalten?

    Adams: Nun, eine Kultur in einer Bank ist eine schwierige Sache. Sie ist natürlich dazu da, Geld zu verdienen, und es war natürlich unsäglich, was die Finanzindustrie sich geleistet hat, diese Papiere zu produzieren und jedem anzudrehen, der nicht intelligent genug war, die Risiken zu sehen. Das hat natürlich überall in der Bevölkerung, auch in der Politik eine Wut auf diese Institutionen hervorgerufen, denn schließlich mussten die mit teuerstem Steuergeld gerettet werden. Da war ein Kulturwandel wirklich notwendig.

    Natürlich muss Kulturwandel heißen, wir gehen nicht an die Grenze, aber am Ende heißt es, wir sind eine Bank und wir wollen damit Geld verdienen. Und dass das langsam durchsickern muss, dass natürlich auch im Alltag man nicht vergessen darf, dass die immer noch bezahlt werden, dass sie Geld verdienen, da kann man leicht von besserer Ethik reden, wenn in der Wirklichkeit doch das Geld verdienen dasteht. Das ist ein Ruf, etwas von der Grenze weg zu bleiben, also von der Grenze, die zwar legal ist, aber die dann wirklich nicht mehr mit Anstand angesehen werden kann, was dort geschieht.

    Engels: Aber halten Sie dann die diversen Ankündigungen, man wolle hier einen Kulturwandel erreichen, ethischer werden, für glaubwürdig?

    Adams: Nun, die Ankündigung des Kulturwandels war ja damit verbunden, dass man sagt, wir wollen auf unser Eigenkapital nicht mehr enorm hohe 20 Prozent verdienen, sondern deutlich weniger, und das hieß im Grunde, wir wollen weniger Risiken eingehen, und wir wollen weniger hart in den Verkauf von komplizierten Papieren hineingehen.

    Also die Ankündigung einer geringeren Verzinsung, was die Aktionäre gar nicht so unbedingt freut, das ist an sich durchaus glaubwürdig, dass man sagt, wir bleiben von den Linien der menschlichen Vernunft weg, und natürlich das Strafrecht können wir sowieso nicht überschreiten, denn dann riskieren wir die Bank und unseren Job.

    Engels: Die Grenzen und die Schwierigkeiten mit der Ethik in der Wirtschaft und in der Unternehmenskultur besprachen wir mit Professor Michael Adams, er lehrt Wirtschaftsrecht an der Universität Hamburg. Vielen Dank für Ihre Zeit heute Morgen.

    Adams: Ja gerne.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.