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Der Ruhetag Sabbat
Mit dem Shabus den Sabbat unterlaufen

Wenn der Sabbat in Israel beginnt, dann kommt das öffentliche Leben im jüdischen Teil des Landes zum Stillstand. Auch Züge und Busse stellen den Verkehr ein. Das ist umstritten. Jetzt ist erneut Schwung in die Debatte gekommen. Denn ausgerechnet in Jerusalem fährt jetzt ein Bus! Sie nennen ihn den Shabus. Der zieht immer weitere Kreise.

Von Florian Elsemüller | 06.10.2015
    Irgendwo an der Hauptstraße in Talpiot, einem Stadtteil am Rande Jerusalems, hält der Shabus.
    Der Shabus darf auch am Sabbath in Israel fahren. Möglich macht es das Genossenschaftssystem (Deutschlandradio / Florian Elsemüller)
    Freitagnacht in Jerusalem. Nach Sonnenuntergang hat der Sabbat begonnen. Irgendwo an der Hauptstraße in Talpiot, einem Stadtteil am Rande Jerusalems, hält der Shabus. Zwei junge Israelis, Ofrit und ihr Freund Arnold steigen ein.
    "Wir fahren in die Stadt. Dort sind ein paar Bars offen und Freunde wohnen dort. Wir wollen Bier trinken und Spaß haben und dann wieder nach Hause fahren."
    Öffentliche Verkehrsmittel ruhen am Sabbat
    Sagt Ofrit. Bis vor vier Monaten hätten sie für so einen Abend zu Fuß laufen müssen, eine Stunde hin und eine zurück. Sie hätten auch ein privates Taxi nehmen können. Mehr Optionen gab es bisher nicht – seit der Staatsgründer David Ben Gurion sich vor 68 Jahren mit den Ultra-Orthodoxen einigte, dass öffentliche Verkehrsmittel am Sabbat zu ruhen haben.
    "Hier gibt es viele Menschen, die sich kein Auto und kein Taxi leisten können und die nicht im Stadtzentrum wohnen. Und die wollen auch was draußen unternehmen – aber sie können nicht."
    Schlupfloch Genossenschaft
    Daran wollen sie in diesem Bus etwas ändern. In der ersten Reihe, direkt hinter dem Fahrer, sitzt Laura Wharton. 50 Jahre alt, geboren wurde sie in New Jersey. Jetzt ist sie Stadträtin in Jerusalem. Vor 30 Jahren ist sie nach Israel eingewandert. Seitdem ärgert sie sich, dass die Busse am Sabbat stillstehen. Jetzt hat sie endlich ein Schlupfloch im Gesetz gefunden:
    "Eine Genossenschaft, so wie unsere, ist privat. Und privater Verkehr ist am Sabbat erlaubt. Wir machen es jetzt für die Menschen so einfach wie möglich, unserer Genossenschaft beizutreten."
    Einfache Sache für Ofrit und Arnold.
    "Du meldest Dich auf einer Website an, und dann geht's los."
    Knapp fünf Euro im Jahr zahlen die Mitglieder. Und dann noch mal gut zwei Euro pro Fahrt. Über 1000 Menschen haben sich in den vergangenen vier Monaten schon registriert. Am Freitagabend, zum Beginn des Sabbat, sind die Busse voll. Tagsüber an Samstagen reicht die Nachfrage noch nicht. Das Angebot, das die Gruppe um Laura Wharton auf die Beine gestellt hat, kommt gerade bei jungen Leuten gut an – besonders bei denen ohne Führerschein oder zumindest ohne Auto. Endlich wird was gemacht und nicht nur geredet, sagt Ofrit. Doch ihr Freund widerspricht.
    "Nein, ich denke, es ist gut, einen Tag zu haben, an dem es schwer ist, aus dem Haus zu kommen. Das macht den Tag besonders. Und das mag ich."
    Und damit ist Arnold einer Meinung mit den Ultra-Orthodoxen, etwa mit Rabbi Yosef Rosenfeld. Er ist Vorsitzender des Jerusalemer Komitees für die Unverletzlichkeit des Sabbat. Am Sabbat kann er keine Interviews geben. Wir treffen ihn an einem Mittwoch, mitten in Jerusalem. Schwarze Kippa, grauer Bart. Er spricht etwas Jiddisch.
    "Die Autofahrer hupen, du hast keinen Platz dich zu bewegen. Das alles gibt es nicht am Sabbat. In dem Moment, in dem der Sabbat beginnt, schließt hier alles. Eine ganz besondere Atmosphäre.
    Nach einer Auslegung der Thora ist jede Art von Arbeit am Sabbat verboten. Feuer machen auch.
    "Steht in der Thora. Wir dürfen kein Feuer machen am Shabbes."
    Auch das Feuer im Motor eines Busses gehört dazu.
    "Wenn es öffentlichen Nahverkehr am Sabbat hier gäbe, dann würde das den jüdischen Charakter Jerusalems zerstören. Die Stadt würde nicht wie eine jüdische Stadt aussehen, sondern wie Köln oder Berlin. Ich lebe hier nur wegen dieses jüdischen Charakters."
    Die Ultra-Orthodoxen sagen, nur eine strenge Auslegung der Thora garantiere, dass der Mensch nicht auch an diesem einen, freien Tag ausgebeutet werde. Der Sabbat, diese jüdische Erfindung, sei ein Geschenk an die Menschheit.
    "Eine großartige Idee. Ich liebe sie so sehr."
    Unterschiedliche Auslegung des Sabbats
    Sagt Tamir Nir, Jerusalems Vizebürgermeister. Er wuchs in einer religiösen Familie auf. Als Kind wurde ihm beigebracht, dass es nur eine Art gibt, die Thora zu lesen.
    "Und als ich älter wurde, habe ich verstanden, das ist eine Lüge. Es gibt viele Weisen, die Thora zu lesen."
    "Was bedeutet es, Sabbat zu feiern? Für mich kann es bedeuten, am Meer zu spazieren oder ins Restaurant zu gehen. Das ist für mich Sabbat. Und jeder Bürger dieses Landes sollte selbst entscheiden können, wie er seinen Samstag feiern will."
    "Darüber sollten wir sprechen und nachdenken. Aber, leider sprechen wir nicht, wir kämpfen nur."
    Ultraorthodoxe fühlen sich provoziert
    Und der Kampf um den Shabus hört sich so an: Eine Provokation ist das, sagt Rabbi Rosenfeld. Allein der Name schon, Shabus, so wie der Samstag selbst. Es ist, als würden sie ihm ins Gesicht spucken. Dabei wollten sie doch nur einen lustigen Namen finden.
    "Das ist unser Tag der Ruhe, den Gott uns gegeben hat. Und das können wir nicht aufgeben. Und dafür werden wir bis zum Ende kämpfen."
    Laura Wharton:
    "Lächerlich. Es gibt riesige orthodoxe Stadtviertel, in denen die Straßen abgeriegelt werden. Aber es muss doch nicht die ganze Stadt still stehen."
    Rabbi Rosenfeld:
    "Große Rabbiner wissen, wie die Thora auszulegen ist. Sie sagen, was erlaubt ist und was nicht erlaubt ist. "
    Und die, die entscheiden, sind nicht Reformierte und nicht Konservative, sondern Orthodoxe. Das hat auch Vizebürgermeister Nir verstanden.
    "Wir müssen kämpfen, und wieder was zurückgewinnen."
    Es geht nicht nur um Busse. In diesem Sommer diskutieren sie im Stadtrat von Jerusalem über Kinos am Sabbat, kleine Supermärkte, Profi-Fußballspiele und neuerdings auch um einen vollautomatischen Fahrradverleih, den Nir in Jerusalem einführen möchte. Nir will den natürlich auch am Sabbat betreiben. Die Ultra-Orthodoxen gingen sofort auf die Barrikaden.
    "Sie verhalten sich so aggressiv, weil wir sie lassen. Weil wir schon vor vielen Jahren aufgeben haben. Viele Säkulare in Israel sagen, das ist nicht unsere Welt, mit der Thora und so weiter, wir haben damit nichts zu tun."
    "Eines Tages habe ich entschieden, dass ich nicht will, dass sie die jüdische Kultur anführen. Ich will ein Teil dessen sein. Und ich habe mich zum reformierten Rabbiner ausbilden lassen."
    Vizebürgermeister Nir leitet seit fünf Jahren eine reformierte Gemeinde in Jerusalem.
    Reformierte sehen Fortschritt
    "Und wir suchen nach dem richtigen Weg, der zu unseren Werten passt, der zu dem passt, was unsere Kultur sein sollte, heute, 2015."
    Der Shabus ist ein solcher Weg, den sie in Nirs Gemeinde unterstützen: Minibusse, die sich von religiösen Vierteln fern halten und nur auf den Hauptstraßen fahren. Deshalb fährt auch Arnold mit dem Shabus, Ofrits Freund, der an sich keinen öffentlichen Nahverkehr am Sabbat will.
    "Es ist eine gute Lösung, ohne den ganze Lärm und Dreck von normalen Bussen. Es sind eigentlich nur ein paar Leute, die sich für eine Fahrt zusammentun."
    So könnte ein möglicher Kompromiss in ganz Israel aussehen. Doch Laura Whartons Idee breitet sich aus. Immer mehr Jerusalemer werden Teil ihrer Genossenschaft. Vielleicht rechnet es sich für sie, bald auch tagsüber an Samstagen zu fahren. Menschen in ganz Israel wollen in ihren Städten das Gleiche organisieren.
    "In Tel Aviv, Rishon Letzion, Givat Ayim, Ashdod, Rosh Haayin."
    Verkehrsminister Israel Katz wollte kein Interview zum Thema geben. Doch irgendwann, wenn die Nachfrage groß genug ist, hofft Laura Wharton, wird auch die Regierung ihre Meinung ändern, und öffentliche Verkehrsmittel am Sabbat erlauben.
    Ihr Ziel ist es, sich am Ende selbst unnötig zu machen.