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Der Schrecken des Vergessens

Nach "Hierankl" und "Winterreise" heißt Hans Steinbichlers neuer Film, ein Melodram, "Das Blaue vom Himmel". Es geht um die Begegnung einer Tochter mit ihrer alzheimerkranken Mutter, gespielt von Hannelore Elsner. Eine Zeitreise mit Geheimnissen und Erinnerungen beginnt.

Von Josef Schnelle |
    Die Kunst des Melodrams ist eine schwierige Kunst. Die Grenze zum Kitsch ist stets hauchdünn. Ein ganz besonders vermintes Gelände ist das der Symbolbilder. Und wenn man dann sich noch schwebend zwischen den Zeiten und Lebensräumen bewegt, dann wird die Sache besonders undurchsichtig. Immer geht es natürlich an zentraler Stelle um die Liebe und um die Lügengespinste, die die Liebe manchmal erfordert. Ein Filmregisseur, der sich also ins äußerst beliebte weil immer menschlich konkrete melodramatische Genre begibt, geht also ein hohes Risiko ein. Besonders wenn man auf dem großen Konzertflügel der großen Stars und der spektakulären Zeitsprünge spielt wie Hans Steinbichler in seinem vierten Kinofilm.

    Er hat um sich eine grandiose Garde deutscher Schauspieler versammelt, die er spektakulär einsetzt. Die raumgreifende Geschichte fängt aber im ganz Kleinen an. Sofia hat einen Anruf gekriegt. Ihre demenzkranke Mutter macht Probleme. Irgendjemand muss sie in der Psychiatrie abholen. Zunächst will Sofia ihren Partner zur unangenehmen Pflichterfüllung überreden.

    "Ich soll also morgen 600 Kilometer von Berlin nach Wuppertal fahren?" - "Du hattest doch immer einen besseren Draht zu ihr."- "Ich will irgendwann auch so geliebt werden." - "Ich brauch jetzt ein Glas Wein." - "Wenn du um halb fünf losfährst, dann könntest du um 12 Uhr da sein. Es ist deine Mutter."

    Die Distanz der Tochter zur Mutter ist nicht nur räumlicher Natur. Irgendwie ist Sofia, gespielt von Juliane Köhler nie an sie herangekommen. Zu sehr war Marga umwittert von Geheimnissen aus vergangenen Zeiten, zu unzugänglich hat sie, gespielt von Hannelore Elsner, die nun nach den großen Altersrollen zu suchen scheint, sich gezeigt und gelebt. Durch die Begegnung mit der Mutter, die manchmal ganz normal reagiert, dann wieder unerwartet heftig und schließlich so, als wäre sie gar nicht von dieser Welt, überfordert Sofia, die sich mit der Familiengeschichte nie beschäftigt zu haben scheint. Eine Reise nach Lettland, der alten Heimat, aus der Marga in den 40er-Jahren geflohen ist, soll es richten. Damit ist mehr Nähe verbunden, als Sofia es eigentlich wollte. Im Kopf der alten Frau gehen Launen, Erinnerungen, böse Gedanken und traurige Wahrheiten kräftig durcheinander. Auch Selbsthass ist dabei, schon wenn sie ihr Spiegelbild betrachtet.

    "Sehen sie die Alte, wie die uns anblickt, ekelhaft." - "Das bist du Mutter." - "Welche?" - "Die Linke." - "Die andere ist noch hässlicher."

    In Lettland ist gerade Revolution, die singende Revolution von 1989. Man fürchtet sich wie in den 30er- und 40er-Jahren vor der Einverleibung durch Russland. Nichts ist aber so wie es scheint. Sofia hat einen Hinweis auf Oswald Kalnin, den einstigen Freund von Margas Mann und kommt mehr Geheimnissen auf die Spur, als ihr eigentlich lieb ist. Der Film taucht nun ein in die Zeitebene der 40er Jahre, als alle noch jung und alles gut und richtig war. Die junge Hannelore Elsner wird nun gespielt von Karoline Herfurth und David Kross ist der junge Held einer offenbar schwierigen Dreiecksbeziehung hinter der Familiengeheimnisse lauern. Hat die Mutter sie belogen als sie noch klaren Sinnes war. Sozusagen "Das Blaue vom Himmel" herunter erzählt. Hans Steinbichler, der nach seinen Filmen "Hierankel" und "Winterreise" als eines der größten Talente des deutschen Films galt, scheint sich in seinem Stoff bald nicht mehr zu Recht zu finden. Er lässt Hannelore Elsner dem "Affen Zucker" geben und sich in naturgemäß wirren Demenzszenen selbst verwirklichen. Karoline Herfurth hingegen, eine der vielversprechendsten jungen Miminnen, gibt dem Film in den historischen Rückblickszenen in Lettland eine ganz ungewöhnliche neue Tönung. Da wirkt das alte ganz neu und ein bisschen wünscht man sich dann, Steinbichler hätte sich auf eine Zeitebene beschränkt. Schließlich ist das Leben doch auch einmalig und gar nicht verortet in multiplen Zeitsprüngen. Da wird der lettisch-russische Konflikt plötzlich zu einer ewigen Auseinandersetzung, egal ob die Handlung in den 40er Jahren oder in den 80ern des vorigen Jahrhunderts stattfinden.

    "Wie bist du rein gekommen." - "Die Tür war offen." - "Wenn die Russen das hier finden." - "Ich hab keine Sehnsucht nach Sibirien." - "Aber Lettland ist bald Russland, hast du das kapiert. Vergiss einfach, was du gesehen hast."

    Hans Steinbichlers Film ist nicht rundweg gelungen. Aber er hat viele Momente, in denen wie jedes gute Kunstwerk über sich hinausweist. Er ist zudem eine vielschichtige aspektreiche Zeitreise in lettische und deutsche Geschichte.