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Der Seuche auf der Spur

Veterinärmedizin.- Seit Monaten hält das Schmallenberg-Virus Landwirte in Atem. Es schädigt die ungeborenen Föten im Mutterleib, die Folge sind missgebildete Lämmer und Kälbchen. Nun haben sich Tierärzte und Virologen in Berlin getroffen und die neuesten Erkenntnisse zum Erreger ausgetauscht.

Von Marieke Degen | 12.03.2012
    Das tote Lämmchen liegt seltsam verdreht in der weißen Plastikkiste. Sein Kopf ist bis zum Rücken überstreckt, die Beine steif und verkrümmt.

    "Also zunächst fällt auf, dass in der Regel der Kopf und der Hals sehr stark verbogen sind."

    Der Tierpathologe Achim Gruber beugt sich über die Plastikkiste, deutet auf die Beine.

    "Das zweite, was auffällt, ist, dass wir stark verkrümmte und teilweise verlängerte Gliedmaße haben, wobei die Hinterfüße häufig sehr viel länger sind als die Vorderfüße, und die Vordergliedmaßen sind oft sehr stark aufgekrümmt und auch nicht mehr beweglich. Wenn mann versucht, die dann zu bewegen, stellt man fest, dass die richtig verhärtet sind."

    Ein Schäfer aus Brandenburg hat das tote Lämmchen in die Tierpathologie an der Freien Universität Berlin gebracht. Das Lämmchen ist dem Schmallenberg-Virus zum Opfer gefallen.

    "Und das dritte, was meistens auffällt, sind sehr stark verkrümmte, teilweise schraubenförmig gebogene Wirbelsäulen, die also dem ganzen Tierkörper einen sehr unrealistischen und fremden Eindruck vermitteln."
    Das Schmallenberg-Virus wird durch winzige Mücken, durch Gnitzen übertragen. Es befällt Schafe, Rinder und Ziegen. Die erwachsenen Tiere haben sich im Spätsommer infiziert, in der Mückensaison. Ihnen hat das Virus kaum etwas anhaben können, aber es hat die Föten im Mutterleib geschädigt. Und das sieht man erst jetzt, Monate später. All das erinnert die Forscher an ein anderes, schon länger bekanntes Virus: das Akabane-Virus, das in Afrika, Asien und Australien wütet. Das Schmallenberg-Virus ist eng mit dem Akabane-Virus verwandt, und Achim Gruber geht davon aus, dass es im Tierkörper ganz ähnlich agiert: Es dringt über den Mutterkuchen in das Gehirn der Föten ein und zerstört die Nervenvorläuferzellen.

    "Dadurch, dass das Virus diese Nervenzellvorläufer im Gehirn zerstört, kann sich das Lämmchen im Mutterleib nicht mehr richtig bewegen, und eine normale Entwicklung der Muskulatur setzt normalerweise eine Beweglichkeit, das heißt, eine enorme Eigenbewegung des Lämmchens voraus. Wenn diese Bewegung unterbleibt, dann kommt das zu diesen Verkrümmungen und Verhärtungen und diesen Unterentwicklungen der Muskulatur, die einfach im Mutterleib nicht richtig trainiert wird."

    Wenn sich die Muttertiere in einer frühen Trächtigkeitsphase infizieren, haben die Jungtiere kaum eine Überlebenschance. Wenn sich die Mütter erst später infizieren, können die Lämmer und Kälber immerhin noch lebend zur Welt kommen - allerdings mit Hirnschäden. Sie stolpern auf ihren verkrümmten Beinen durch den Stall und wissen nicht, wo sie saugen sollen. Bei der Geburt sind auch die Muttertiere in Gefahr, sagt Achim Gruber.

    "Es kann zu einer Verletzung des Geburtsweges kommen, bis hin zu einer Gebärmutterperforation, durch diese unbeweglichen und deutlich verlängerten, ja teilweise spitzen Gliedmaßen, so dass also Einzelfälle schon beschrieben sind, dass Muttertiere unter der Geburt an diesen Geburtsverletzungen gestorben sind."

    In Deutschland sind inzwischen mehr als 900 Betriebe betroffen, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen. Der Tierarzt Peter Heimberg arbeitet für den nordrhein-westfälischen Tiergesundheitsdienst. Für ihn und seine Kollegen ist es noch lange nicht vorbei. Die Lämmchen-Saison geht zwar dem Ende zu, aber jetzt kommen die Kälbchen zur Welt.

    "Wir sehen ja jetzt dass schon die ersten Missbildungen bei den Rindern kommen, es wird sicher eine Welle kommen. Aber ob das jetzt so eine heftige Welle ist wie bei den Schafen, oder ob das eine wesentlich kleinere Welle wird, das wird die Zeit zeigen. Ich geh im Moment davon aus, weil es langsamer anläuft als bei den Schafen und weil man vom verwandten Akabane-Virus weiß, dass Rinder nicht so empfindlich sind, zumindest für diesen Verwandten, haben wir halt die Hoffnung, dass die Welle nicht so hoch wird."

    Forscher arbeiten unter Hochdruck an einem Impfstoff. Wann er auf dem Markt sein könnte, weiß keiner. Das kann ein paar Jahre dauern. Eine gute Nachricht gibt es aber heute schon: Tiere, die eine Schmallenberg-Infektion durchgemacht haben, haben Antikörper gebildet und sind erstmal vor dem Virus geschützt. Das haben Virologen vom Friedrich-Löffler-Institut auf der Insel Riems bestätigt. Wenn die Muttertiere vor dem Virus geschützt sind, dann sind es ihre Föten auch. Und das lässt Peter Heimberg aufatmen.

    "Das schönste für uns wäre natürlich, wenn sich jetzt durch diesen Infektionszug in 2011 im Herbst eine sehr breite Feldimmunität aufgebaut hätte, dass in Analogie zum Akabane-Virus wir erstmal in den nächsten Jahren mit einer relativ hohen Zahl immuner Tiere rechnen könnten."

    In ein paar Jahren könnte es mit der Feldimmunität wieder vorbei sein. Weil immer mehr Tiere nachwachsen, die keine Antikörper gegen das Schmallenberg-Virus besitzen. Bis dahin, sagt Peter Heimberg, wird es dann hoffentlich einen Impfstoff geben.