Archiv


'Der Sparkurs sollte nur gelockert werden, wenn dadurch Investitionen nach vorne gebracht werden'

Zagatta: Am Telefon ist jetzt Hans-Olaf Henkel, der früheren Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Guten Tag Herr Henkel!

    Henkel: Guten Tag.

    Zagatta: Herr Henkel, früher war das ja alles etwas übersichtlicher. Da hat die SPD-Opposition solche Konjunkturprogramme gefordert und die Wirtschaftsinstitute haben mehr Sparsamkeit angemahnt. Das hat sich ja jetzt, wenn man zuhört, fast ins Gegenteil verkehrt. Wie stehen Sie denn heute zu den Forderungen, die Bundesregierung solle angesichts der schwierigen Lage nun ihren Sparkurs vielleicht doch etwas lockern?

    Henkel: Ich unterstütze die Position der wirtschaftswissenschaftlichen Institute voll und ganz. Ich glaube es ist falsch, wenn Eichel seinen Sparkurs aufgibt. Wir dürfen nicht vergessen, seit über 30 Jahren schaufeln wir Jahr für Jahr neue Schulden auf, geben mehr Geld für Zinsen aus. Die Schulden müssen unsere Kinder bezahlen und die Zinsen erdrücken uns bereits. Das ist also kein Weg. Das wäre ein zu billiger Ausweg.

    Zagatta: Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat mitgeteilt, es steht jetzt für die Forderung, in dieser schwierigen Situation solle die Bundesregierung durchaus darüber nachdenken, ihren Sparkurs zu lockern. Unterstützen Sie das auch?

    Henkel: Das halte ich dann für angebracht, wenn Investitionen nach vorne gezogen werden, aber ich halte es für völlig unangebracht, wenn dies nur dazu führt, weiter Geld für konsumtive Ausgaben bereitzustellen. Das wäre falsch und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die wirtschaftswissenschaftlichen Institute irgend etwas anderes meinten. Was sicherlich getan werden kann und getan werden muss ist, dass man ein Strukturprogramm auflegt, denn was ja völlig vergessen wird und natürlich von der Bundesregierung auch gerne unter den Tisch oder unter den Teppich gekehrt wird ist die Tatsache, dass Deutschland ja schon seit einiger Zeit viel langsamer wächst als zum Beispiel sämtliche anderen EU-Länder. Und dass wir es hier ganz offensichtlich eben auch mit hausgemachten Problemen zu tun haben, ist doch ganz klar. Zurecht wurde darauf hingewiesen, dass das Wirtschaftswachstum schon vor einem Jahr sich abschwächte, aber in Deutschland eben ganz besonders stark. Man darf jetzt nicht die Terroranschläge in Amerika dafür verantwortlich machen. Tatsache ist, dass die Bundesregierung seit einiger Zeit einige Maßnahmen in die Wege geleitet hat, die wirklich kontraproduktiv waren. Ich denke hier an die Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes, völlig daneben, oder an die Zwangsteilzeit oder das 630-Mark-Gesetz. Anstatt den Arbeitsmarkt bei uns endlich mal zu liberalisieren, wie das alle fordern, die EU, die OECD, sämtliche Wirtschaftsforschungsinstitute, natürlich der BDI, hat die Bundesregierung in den letzten zwei, drei Jahren genau das Gegenteil gemacht. Hier muss wirklich mal eine Kehrtwende stattfinden. Die Bundesregierung muss mal ein Signal setzen, was bedeutet, dass auch diese Regierung in der Lage ist, den Arbeitsmarkt etwas zu liberalisieren. Sonst kommen wir nicht weiter.

    Zagatta: Herr Henkel, über Strukturprogramme wird ja gestritten. Die neue und jetzt angelaufene Diskussion um das Wirtschaftsgutachten, das ja im Vorfeld schon bekannt geworden ist, dreht sich aber doch im wesentlichen um diese Konjunkturprogramme, ganz einfach weil diese Forderung auch aus der Opposition Unterstützung gefunden hat. Wie stehen Sie denn dazu, dass die Opposition das jetzt nun auch fordert?

    Henkel: Ich habe das von der Opposition so nicht verstanden. Es kommt immer darauf an, was Sie unter einem Konjunkturprogramm verstehen. Wenn Sie unter dem Programm verstehen, Wachstumskräfte zu lösen und Hausaufgaben zu machen, die man sich zu Zeiten guter Konjunktur nicht traute zu machen, dann bin ich gerne bereit, das auch Konjunkturprogramm zu nennen. Aber wenn man darunter versteht, einfach die Neuverschuldung wieder zu erhöhen und mehr Geld unter die Leute zu bringen, dann bin ich absolut dagegen, denn wie gesagt das müssen unsere Kinder bezahlen. Letzten Endes kommen wir dadurch nicht weiter. Übrigens auch die Diskussion um die vorgezogene Steuerreform. Auch dort möchte ich einen Gedankengang einbringen, der vielleicht origineller ist als das, was bisher diskutiert wurde. Ich glaube, dass die Wirtschaftsweisen eigentlich der Meinung sind, dass die Bundesregierung sich ein Vorziehen der Steuerreform im Augenblick nicht leisten kann, beziehungsweise einige meinen, dass sie in diesem oder im nächsten Jahr nichts bringt. Ich verstehe auch die Sorgen von Finanzminister Eichel, dass eine vorgezogene Steuerreform dazu führt, dass man sich noch weiter verschuldet, aber wie wäre denn folgender Gedankengang: Wenn man es bei diesen Terminen lässt, die er verbindlich durch Bundestag und Bundesrat festgelegt hat, aber zu diesen Terminen eben noch tiefere Steuereinschnitte vorschlägt, mit anderen Worten Steuersenkungen in größerem Ausmaße jetzt ankündigt, aber erst zu dem Zeitpunkten in Kraft setzt, die bereits verabredet sind. Das hätte den großen Vorteil, dass es im Augenblick nichts kostet, aber es würde jetzt schon Investitionen nach vorne ziehen. Denn Investoren beurteilen einen Standort nicht nach den heutigen Bedingungen, sondern sie beurteilen den Standort nach den Bedingungen der Zukunft. Durch so ein Signal, also größere Steuerentlastung, aber zum gleichen Zeitpunkt, könnte Eichel heute seine Kassen schonen, aber könnte heute schon etwas für die Dynamik in der Wirtschaft tun.

    Zagatta: Es würde aber sein Ziel in Frage stellen, bis 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen?

    Henkel: Nein, das glaube ich eben nicht. Ich glaube, dass aus der Sicht des Finanzministers durchaus ein großer Unterschied zwischen der Ankündigung einer Steuerreform und der Effektivität einer solchen attraktiv ist, denn im Augenblick bezahlt er ja nicht mehr. Das bedeutet, dass er sozusagen die Vorteile dieser Dynamik jetzt schon kassieren kann, und wenn es dann zu dieser stärkeren Senkung kommt, sicherlich die Wirtschaft diese Dynamik bereits reflektiert hat und dadurch auch früher Geld in die Kassen kommt in Form von mehr Steuereinnahmen.

    Zagatta: Wie dramatisch beurteilen Sie denn die Lage der deutschen Wirtschaft? Der Bundeskanzler sagt ja, es gehe wahrscheinlich im nächsten Jahr schon wieder bergauf.

    Henkel: Die Chancen sind nicht schlecht. Ich meine es sieht ja schlimm genug aus im Augenblick. Rein statistisch könnte man ja meinen, es kann nur noch bergauf gehen. Ich teile die Meinung der Gutachter. Ich teile auch die Meinung des Bundeskanzlers, dass wir durchaus gute Chancen haben, dass es im nächsten Jahr wieder besser aussieht. Um Gottes Willen soll man sich aber nicht darauf verlassen, dass es so gut aussehen kann, dass wir die Probleme der Arbeitslosen in den Griff kriegen ohne diese strukturellen Reformen. Dazu reicht auch der Konjunkturaufschwung im nächsten Jahr, der jetzt wieder prognostiziert wird, nicht aus.

    Zagatta: Hans-Olaf Henkel, der frühere Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. - Schönen Dank für das Gespräch!