Samstag, 20. April 2024

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"Der Staat investiert grundsätzlich nicht, sondern er deckt Bedarf"

Nach Ansicht des Steuerrechtler Paul Kirchhof ist eine zentrale Frage der Föderalismus-Kommission, ob das Instrumentarium des Kredits für den Staat überhaupt zur Verfügung steht. Ein Kredit habe die Funktion, einem Unternehmer Geld zu überlassen, damit dieser dann damit wirtschaftet und einen höheren Ertrag erzielt. Dies sei dem Staat nicht möglich. Die öffentliche Hand investiere grundsätzlich nicht, sondern er decke Bedarf, sagte Kirchhof.

Moderation: Friedbert Meurer | 08.03.2007
    Friedbert Meurer: Die Föderalismusreform sei die Mutter aller Reformen. Das war das Credo von Franz Müntefering und Edmund Stoiber und damit meinten sie, dass manches leichter und schneller in Deutschland vorwärts ginge, wenn sich Bund und Länder nicht mehr gegenseitig blockierten. Heute nimmt eine hochrangige Kommission die Arbeiten am Teil II der Reform unseres Föderalismus auf. Die erste Reformstufe war schon eine schwere Geburt und da es jetzt ums Geld geht, dürfte die zweite Stufe noch schwerer zu bewältigen sein. Einige Steuern fließen nämlich nur den Ländern zu, andere nur dem Bund und dann gibt es auch Mischsteuern wie zum Beispiel die Mehrwertsteuer und die Einkommenssteuer, die sich beide Ebenen teilen. Das neu zu ordnen ist eine wahre Herkules-Aufgabe. Am Telefon begrüße ich Paul Kirchhof, Steuerrechtler an der Universität Heidelberg. Vor der Bundestagswahl war er im so genannten Kompetenzteam von Angela Merkel. Guten Morgen Herr Kirchhof!

    Paul Kirchhof: Schönen guten Morgen Herr Meurer!

    Meurer: Was würden Sie denn gerne an unserem Finanzsystem zwischen Bund und Ländern ändern?

    Kirchhof: Es gibt sehr viel zu tun. Es muss zunächst einmal gesichert werden, dass alle, Bund und jedes Land, ihre Haushaltsaufgaben erfüllen können, also das finanzieren können, was das Grundgesetz ihnen als Aufgabe zuweist. Das ist bei einigen Ländern nicht gesichert. Das liegt einmal an der überhöhten Staatsverschuldung. Deswegen muss eines der zentralen Themen dieser Föderalismusreform-Kommission sein, ob das Instrumentarium des Kredits für den Staat, für die öffentliche Hand überhaupt zur Verfügung steht. Ein Kredit hat ja die Funktion, dass er einem Unternehmer Geld gibt, damit dieser dann damit wirtschaftet durch Investitionen und damit einen höheren Ertrag erzielt. Das ist dem Staat nicht möglich. Der investiert grundsätzlich nicht, sondern er deckt Bedarf. Damit stellt sich die Frage, ob das Verfassungsrecht nicht generell untersagen sollte, dass der Staat sich durch Kredit finanziert, es sei denn es gibt eine Ausnahmesituation, eine plötzliche Katastrophe oder Ähnliches. Da mag es dann kurzfristige Kassenkredite geben.

    Meurer: Also den Artikel 115 mit Investitionsquote und man darf Kredite aufnehmen, den sähen Sie gerne gestrichen?

    Kirchhof: Den sähe ich verbessert. Der Gedanke ist ja richtig. Der Artikel 115 sagt, man darf sich nur so hoch verschulden als man im Jahr in gleicher Höhe investiert. Da ist der Gedanke, wenn ich durch Verschulden die Last in die Zukunft verschiebe, soll ich auch durch die Verwendung der Verschuldenssumme durch Konsumverzicht in der Gegenwart und Investitionen die Gunst auf die nächste Generation verschieben. Nur dieser Tatbestand ist nicht griffig genug, weil er nicht zählbar ist. Im Tatbestand der Investition ist er ungenau. Außerdem hat er noch eine Ausnahmeklausel für Stabilitätspolitik. Wir brauchen klarere, jedermann erkennbare und deswegen verbindliche Regeln.

    Meurer: Wie könnten die aussehen?

    Kirchhof: Prinzipiell das Verbot zunächst einmal der Neuverschuldung bei einer Gesamtverschuldung von 1,5 Billionen Euro und dann sehr bald prinzipiell finanziert der Staat seinen Haushalt nicht durch Kredite, sondern durch das Steueraufkommen, das sonstige Abgabenaufkommen. Die Gegenwart der Menschen, der Steuerzahler soll das finanzieren, was der Staat gegenwärtig leisten kann, nicht die Zukunft, die nächste Generation.

    Meurer: Nun geht es ja auch um die Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern und innerhalb der Länder. Schauen wir vielleicht auf die Einkommens- und Mehrwertsteuer, weil beide ja Mischsteuern sind, die dem Bund und den Ländern zufließen. Machen solche Mischsteuern Sinn?

    Kirchhof: Durchaus! Die wichtigsten Steuern sind ja die Einkommenssteuer mit der Körperschaftssteuer und die Umsatzsteuer. Das sind Gemeinschaftssteuern. Das heißt etwa bei der Einkommenssteuer prinzipiell die Hälfte gehört dem Bund, die Hälfte gehört den Ländern. Dann sind die Gemeinden noch beteiligt. Bei der Umsatzsteuer wird alle zwei Jahre durch Gesetz der Verteilungsschlüssel bestimmt. Das macht Sinn, weil jeder, Bund und Länder, an den größten Steuern gleichmäßig beteiligt sind. Das Problem, das dahinter steckt, ist der Länderfinanzausgleich. Wir haben die richtige Regel, dass durch Gesetz die finanzschwachen Länder besser gestellt werden müssen durch die finanzstarken Länder, aber auch aus dem Bundeshaushalt. Da entsteht nun ein großer Konflikt, der für die Struktur unserer Finanzverfassung wesentlich ist. Jedes Land soll seinen Bürgern ähnliche Lebensbedingungen bieten, aber jedes Land ist auch eine kleine Demokratie, bei der die Regierung vor seine Wähler treten soll und sagt ich habe gute Finanzpolitik gemacht, ich habe schlechte Finanzpolitik gemacht. Wenn jetzt ein Land mit den Steuergeldern großzügig umgeht, vielleicht gelegentlich verschwenderisch umgeht, sich dann aber, weil es dadurch eine Deckungslücke hat, refinanzieren kann bei einem finanzstarken Land, das solide Finanzpolitik gemacht hat, geht das natürlich gegen den Gedanken der demokratischen Autonomie der Länder.

    Meurer: Wie kann man das lösen?

    Kirchhof: Das könnte man lösen, indem man an das Thema, an das die Politik gegenwärtig nur zögerlich herangeht, herangeht, nämlich die Frage des Länderfinanzausgleichs neu zu definieren etwa in dem Sinne, dass Zuwendungen an ein bedürftiges Land davon abhängen, dass dieses Land erkennbare und erfolgreiche Anstrengungen gemacht hat, seinen Haushalt zu konsolidieren.

    Meurer: Herr Kirchhof, Sie waren im Verfassungsgericht lange Zeit für Familienfragen zuständig. Deswegen in dieser Situation, in der alle Welt über Familienleistungen in Deutschland diskutiert, vielleicht die Frage: Kann der Staat beim Kindergeld und beim Ehegattensplitting sparen, Einschränkungen vornehmen, um neue Kinderbetreuungsplätze zu schaffen?

    Kirchhof: Das Ehegattensplitting ist keine Vergünstigung, die man beliebig aufheben könnte, sondern ist ein Gebot der Gleichheit. Wir haben im Einkommenssteuerrecht die Regel, dass jeder sein persönlich verdientes Einkommen versteuert. Wenn er aber dieses Einkommen in einer Erwerbsgemeinschaft erzielt hat, also einer Offenen Handelsgesellschaft, einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder was immer, dann darf er diesen gemeinsam erzielten Gewinn für die Zwecke der individuellen Besteuerung aufteilen. Wenn es drei Gesellschafter sind könnte man zum Beispiel sagen, jeder bekommt ein Drittel des Gewinns und dann besteuert diese Gesellschaft nur dieses eine Drittel mit den Progressionsvorteilen, mit den persönlichen Freibeträgen und so weiter.

    Meurer: Aber eine Ehe ist keine Handelsgesellschaft?

    Kirchhof: Eine Ehe ist mehr! Auch eine Ehe ist eine Erwerbsgemeinschaft. Mann und Frau erwerben gleichzeitig, vereinbaren der eine geht in den Beruf, der andere betreut die Kinder oder jeder die Hälfte oder wie immer. Sie sind eine Erwerbsgemeinschaft, an der uns besonders gelegen ist um unserer Zukunft willen, denn sie produzieren nicht nur Einkommen und Gewinn, sondern sie bringen Kinder hervor, erziehen die gut, bringen also die wichtigste Leistung, die diese Gesellschaft überhaupt braucht. Deswegen ist es, solange wir bei den Erwerbsgemeinschaften das Splitting erlauben, ein Gebot der Gleichheit, dass dieses Splitting auch bei der Ehe stattfindet, insbesondere auch deshalb, weil derjenige der viel Geld hat und einen guten Berater, der kann ja heute eine Familiengesellschaft, sagen wir eine Familien KG gründen. Darin sind Vater, Mutter, Sohn und Tochter. Dann hat er schon heute das Familiensplitting. Also nicht nur das Ehegattensplitting, sondern auch das Familiensplitting und dann gebietet es der Gleichheitssatz, dass wir sozusagen für den Einkommensmittelstand jedenfalls das Ehegattensplitting bewahren, solange wir diese Regel im allgemeinen Einkommenssteuerrecht haben.

    Meurer: Einkommensmittelstand. Heißt das Sie könnten sich mit einer Idee anfreunden, die Segnungen des Splittings noch stärker zu deckeln als das im Moment der Fall ist?

    Kirchhof: Solange wir die Segnungen des Splittings bei den Personengesellschaften und bei den Kapitalgesellschaften nicht deckeln, können wir es auch bei der Ehe nicht deckeln. Ich sage Einkommensmittelstand, weil die Großverdiener es durch Gestaltung schon bekommen. Für die Kleinverdiener spielt es keine Rolle, weil die Freibeträge und so weiter entsprechend sind und sie deswegen kaum oder keine Steuern zahlen. Deswegen das Stichwort Mittelstand.