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"Der Staat sollte die Steuerzahler nicht überfordern"

In der Debatte um mögliche Steuersenkungen hat der Steuerexperte des Münchner IFO-Instituts, Rüdiger Parsche, für eine Entlastung der Steuerzahler ausgesprochen. Zwar sei die Haushaltskonsolidierung ein wichtiges Ziel, dies dürfe aber nicht zu Lasten der Leistungsträger der Gesellschaft gehen. Angesichts der guten Konjunktur sei jetzt ein günstiger Zeitpunkt für Steuersenkungen, um den Konsum anzutreiben.

Moderation: Philipp Krohn | 17.05.2008
    Philipp Krohn: Die CSU hat die große Schwesterpartei angesteckt, vor zwei Wochen legte Parteichef Erwin Huber ein Steuerkonzept vor, dass die Bürger um Milliarden entlasten soll. Die CDU-Spitze um Bundeskanzlerin Merkel und Generalsekretär Pofalla lehnte das Vorhaben entschieden ab. Nun aber haben der Wirtschafts- und der Arbeitnehmerflügel der Partei sich auf die Seite der CSU geschlagen. In ihren Wahlkreisen könnten Sie den Wählern kaum noch erklären, warum die steigenden Steuereinnahmen nicht an sie zurückgegeben werden, argumentierten 200 Abgeordnete der Unionsfraktion. Der Koalitionspartner von der SPD stellt sich diesen Bestrebungen entgegen.

    Vor der Sendung habe ich mit Rüdiger Parsche gesprochen, dem Steuerexperten des Münchner IFO-Instituts. In der aktuellen Diskussion wirft die SPD der CSU und Teilen der CDU Steuerpopulismus vor. Trifft dieser Vorwurf zu?

    Rüdiger Parsche: Man kann immer der Meinung sein, dass eine Senkung von Steuern einfach populistisch ist, denn der Staat braucht mehr Einnahmen. Aber wir müssen andersrum sehen, der Staat sollte eben diejenigen, die diesen Staat auch tragen, die Steuerzahler, nicht überfordern. So gesehen ist eine Senkung der Steuerlast für die Leistungsträger der Gesellschaft, und die fangen schon im unteren Bereich an die Leistungsträger, nicht populistisch, sondern eine realistische Forderung, um denjenigen, die den Staat tragen, auch wieder mehr Raum und mehr Luft zu geben.

    Krohn: Nun muss aber Finanzminister Peer Steinbrück ja schon vielen Ausgabenwünschen seiner Kabinettskollegen entgegenkommen. Sind nicht alle zusätzlichen Einnahmen bereits verplant?

    Parsche: Die Einnahmen sind sicher von den Ministern schon verplant und sie auch viel mehr im Kopf, wenn Sie also die Steuerschätzung sehen, dann sind ja bis zum Jahr 2012 gegenüber dem letzten Jahr gut hundert Milliarden zu erwarten - nur: Das sind Schätzungen! Während Politiker immer gerne Schätzungen auch schon als Realität betrachten und gerne dann ihre Ausgabenwünsche dran orientieren, muss sich der Staat an dem orientieren, was tatsächlich ist und was die Steuerzahler auch bereit sind, zu zahlen. Wir sehen ja auf der anderen Seite, dass auch die Steuerhinterziehung zunimmt. Also der Staat kann nicht einfach sagen, meine Prioritäten auf der Ausgabenseite haben Vorrang, sondern er muss das an dem orientieren, was die Steuerzahler bereit sind zu zahlen und was er wirklich auch mit in der Kasse hat.

    Krohn: Aber wenn es sich ohnehin um Schätzungen handelt, ist es dann nicht fahrlässig, das Ziel der Haushaltskonsolidierung aufzugeben?

    Parsche: Es ist nicht fahrlässig, man muss das Ziel im Auge behalten, aber sollte hier zwischen den beiden großen Zielen - Haushaltskonsolidierung erforderlich und Nichtüberforderung der Steuerzahler - eben auch immer schauen, dass diejenigen, die diesen Staat eben als Leistungsträger finanzieren, nicht überfordert werden.

    Krohn: Nun haben 200 Unionsabgeordnete schnelle Steuersenkungen gefordert. In den Unionsparteien gibt es vor allem eine Sorge um den Mittelstand. Gibt es denn eine Möglichkeit, diese Einkommensgruppe zu entlasten, ohne auf Steuereinnahmen zu verzichten?

    Parsche: Das gibt es sicher nicht. Ich kann nicht die Kuh schlachten und gleichzeitig melken. Das ist ganz klar. Wir haben hier im Tarif einen sogenannten Wohlstandsbauch, das heißt, gerade im mittleren Bereich steigt die Progression sehr stark an und hier müsste man mal ansetzen und entlasten, zusätzlich natürlich den Grundfreibetrag wieder anpassen. Seit vier Jahren ist hier nichts passiert, die Kinderfreibeträge müssen angepasst werden und es muss insgesamt der ganze Tarif nach oben verschoben werden in dem Sinne, dass der höchste Steuersatz, der Grenzsteuersatz, der Spitzensteuersatz hier auch später greift, wir sitzen ja sonst, wenn wir auch reale Erhöhungen betrachten - nicht nur inflationäre, wie sie heute leider auch verstärkt mit auftreten - irgendwann mal alle im Spitzensteuersatz.

    Krohn: Sie haben damit das Problem der kalten Progression angesprochen, dass Einkommensgruppen, dass durch die Inflation Steuerzahler automatisch immer in höhere Einkommensgruppen geraten, für die höhere Steuersätze gelten. Wie kann die Politik diesem Problem generell beikommen?

    Parsche: Es gibt ja verschiedene Vorschläge. Einer ist der sogenannte Tarif auf Rädern, dass eben durch diese Inflation eben die Belastung steigt und man gleicht dies aus, dass man den Tarif entsprechend der Inflation verschiebt. Ich würde jetzt nicht unbedingt für einen Tarif auf Rädern sprechen, aber es muss von Zeit zu Zeit eine Anpassung einfach der Freibeträge und der Tarifstufen, wie sie eben hier bei uns im Endeffekt nach oben erfolgen, das heißt, wir müssen sie durch die inflationsbedingte Erhöhung nach oben verschieben.

    Krohn: Nun sagen viele Experten, und auch die SPD argumentiert jetzt so, dass eher bei den Sozialversicherungsbeiträgen Entlastungen her müssten. Ist das nicht das drängendere Problem?

    Parsche: Es ist sicher ebenfalls ein sehr dringendes Problem, aber bei der Versicherung haben wir auch eher diesen Charakter, Leistung-Gegenleistung. Ich bin eben in der Rentenversicherung und erhalte dafür später die Leistung Rente. Wenn wir den hier auch aufheben, diesen Bezug, und wie bei der Steuer im Endeffekt nur noch sehen, ich zahle und weiß nicht, für was, dann könnten wir diesen Steuerverdruss auch verstärkt in die Versicherung hineintragen, in der Rentenversicherung, in die Arbeitslosenversicherung und im Endeffekt auch in die Krankenversicherung.

    Krohn: Ist also die Idee, dass man die Beitragssätze für niedrigere Einkommen absenkt, also beispielsweise quasi eine Progression einführt wie bei der Einkommenssteuer, ist die unrealistisch?

    Parsche: Man könnte über so etwas noch am ehesten nachdenken, aber eine generelle verstärkte Steuerfinanzierung der Versicherung ist ein Problem. Wie gesagt, der Versicherungscharakter war bei uns bislang noch relativ hoch und eine reine Steuerfinanzierung, wie es ja in vielen anderen Ländern weitgehend praktiziert wird, würde hier diese engen Zusammenhänge aufheben.

    Krohn: Nun wirbt SPD-Generalsekretär Hubertus Heil für eine solche Steuerfinanzierung der Sozialversicherung. Würde das nicht dazu führen, dass man eine Finanzierungssicherheit herstellen könnte?

    Parsche: Man muss im Zweifelsfall sicher einen Teil über die Steuern finanzieren. Wir haben es ja schon bei der Rentenversicherung gesehen, als die neuen Bundesländer beitraten. Man kann nicht immer den Beitragszahler in allen Bereichen allein zur Kasse bitten. Aber man muss auch sehen, Beitragszahler und Steuerzahler sind, zumindest was den Leistungsbereicht betrifft, doch ziemlich deckungsgleich. Also eine Verschiebung von der einen Seite zur anderen Seite ist in weiten Bereichen eine Scheinverschiebung.

    Krohn: Nun befinden wir uns ja, das hat man in dieser Woche wieder gemerkt, in einer sehr stabilen Konjunktur. Manche waren überrascht von den Wachstumszahlen im ersten Quartal. Ist es da nicht ökonomisch unvernünftig, in so einer Phase Steuern oder Abgaben zu senken?

    Parsche: Es ist sicher nicht unvernünftig, denn alle Indikatoren, die in die Zukunft deuten, zeigen, dass wir doch auf eine gewisse Abschwächung hinauslaufen. Die Frage ist, wie stark sie ist. Und wenn wir hier eben durch eine solche Absenkung auch den Konsum etwa stärken würden, dann ist das sicher nur von Vorteil. Der Konsum läuft bisher nicht gerade so stark.

    Krohn: Es ist also wirtschaftspolitisch der richtige Zeitpunkt für Steuersenkungen?

    Parsche: Es wäre wirtschaftspolitisch der richtige Zeitpunkt. Man sollte nicht zu lange reden, denn je später man handelt, umso später kommen die Effekte oder auch gar nicht mehr.

    Krohn: In der Logik, die Sie ansprechen, ist es vernünftig, die Haushaltskonsolidierung mit einem Zieltermin festzulegen?

    Parsche: Es war sicher vernünftig und ist auch vernünftig, dass wir die Sparziele weiterhin auf dies hin ausrichten und wirklich Wünsche, die von den Ministern an den Finanzminister rangetragen werden, sehr restriktiv behandeln. Jeder Minister will sein Budget natürlich aufstocken und der möchte sich verstärkt präsentieren. Es ist selbstverständlich, wenn ich für Bildung bin, dann ist Bildung das Höchste, bei Entwicklungshilfe, Entwicklungshilfe, aber wir müssen die Prioritäten sehen und die Prioritäten sind auf der einen Seite die Haushaltskonsolidierung und da können und sollen die einzelnen Fachminister nicht dagegen vorgehen, aber auch auf der anderen Seite eben doch die Leistungsträger nicht überfordern.

    Krohn: Heißt das für Sie, dass Bildung und Forschung beispielsweise keine Priorität haben sollten?

    Parsche: Bildung und Forschung hätten für mich sehr hohe Priorität. Wir haben sie bislang eben oft zu stark zurückgesetzt, wir haben oft soziale Probleme einfach in den Vordergrund gestellt und hätte hier etwas vorsichtiger sein sollen und Bildung, Infrastruktur vorne hin setzen.