Freitag, 29. März 2024

Archiv


"Der Staat sollte sich hier heraus halten"

Der Ministerpräsident von Thüringen, Dieter Althaus, hat sich erneut vehement gegen einen gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen. Der Staat dürfe nicht direkt in die Lohnentwicklung eingreifen und Vorgaben machen. Über Mindestlöhne für einzelne Branchen könne man reden. Allerdings sei es Aufgabe von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, eine Einigung zu finden, unterstrich der CDU-Politiker.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann | 30.01.2007
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit Wochen, seit Monaten verhandelten die Fachpolitiker von Union und SPD über eine Reform des Niedriglohnsektors. Wie können dort neue Jobs entstehen durch die Einführung von Mindestlöhnen, wie es den Sozialdemokraten vorschwebt, oder durch ein Kombilohnmodell, wie es die Union befürwortet. Nach dem Streit um die Gesundheitsreform prallen auch hier die Ansichten in der Großen Koalition aufeinander. Die von Franz Müntefering geleitete Arbeitsgruppe hat sich deshalb nicht auf ein Konzept verständigen können. Der Vizekanzler legte deshalb gestern im Koalitionsausschuss seine Vorschläge auf den Tisch.
    Zu diesem Thema begrüße ich jetzt Dieter Althaus (CDU), Ministerpräsident von Thüringen. Er ist uns jetzt telefonisch zugeschaltet. Guten Morgen!

    Dieter Althaus: Guten Morgen!

    Heckmann: Herr Althaus, der Betrachter kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich Union und SPD beim Mindestlohn wie schon bei der Gesundheit einen ideologischen Streit liefern. Wird die Große Koalition in die Geschichte eingehen als Bündnis, das sachgerechte Lösungen opfert zu Gunsten der Parteitaktik?

    Althaus: Nein, aber das ist ein schwieriges Thema. Die SPD möchte gerne einen Mindestlohn und die Union hat eine klare Position, dass es einen gesetzlichen Mindestlohn nicht geben darf. Deshalb ist es klar, dass an dieser Stelle auch Streit existiert.

    Heckmann: Aber der Ausspruch "Dumpinglöhne sind nicht in Ordnung", das sagt nicht nur die SPD, das sagt auch der Arbeits- und Sozialminister von Nordrhein-Westfalen Laumann und der gehört der CDU an.

    Althaus: Gut, er ist CDA-Bundesvorsitzender und vertritt natürlich an dieser Stelle auch die Interessen der Arbeitnehmer. Aber ich denke, dass es dabei bleiben muss, dass die Wirtschaft mit den Arbeitnehmern zusammen über die Lohnfrage und die Lohnentwicklung entscheidet. Das ist nicht nur in Deutschland über Jahre erfolgreich praktiziert worden, sondern das ist auch richtig, denn Löhne müssen sich am Arbeitsmarkt rechnen und es macht keinen Sinn, dass der Staat hier Vorgaben macht. Das führt nur zu mehr Restriktionen und mehr zu Arbeitslosigkeit.

    Heckmann: Das Modell ist so erfolgreich praktiziert worden, dass immer mehr Menschen für einen Armutslohn arbeiten - so jedenfalls formuliert es die SPD -, dass zum Beispiel in Ostdeutschland Friseurinnen für einen Stundenlohn von drei Euro arbeiten.

    Althaus: Was macht es für einen Sinn, wenn der Staat hier einen höheren Lohn vorgibt? Dann wird am Ende höchstens noch mehr Arbeit in der Schwarzarbeit abgearbeitet und das wollen wir ja gerade nicht. Ich denke der Staat sollte sich hier heraus halten. Er sollte die Rahmenbedingungen für gute Arbeitsmarktentwicklung setzen und er sollte dafür sorgen, dass durch eine vernünftige Sozialstaats- und Steuerpolitik entsprechende Arbeitsplätze entstehen. Er sollte aber nicht direkt eingreifen in die Lohnentwicklung.

    Heckmann: Sie sagten gerade eben, Ihr Parteikollege Laumann vertrete die Interessen der Arbeitnehmer. Die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten, ist sicherlich auch der Anspruch der gesamten CDU. Teilen Sie nicht den Grundsatz, dass man von einem Vollzeitjob auch leben können muss?

    Althaus: Das ist eine Frage, die man eben durch die Sozialstaatspolitik mitbeantwortet. Ich glaube, dass wir das nicht dadurch beantworten können indem wir sagen, dieser Lohn ist ein Mindestlohn. Dann würden wir letztlich die betriebswirtschaftliche Rechnung, die einem Lohn zu Grunde liegt, politisch bestimmen. Ich denke das wäre falsch. Ich glaube es bleibt dabei: Löhne müssen sich durch die entsprechende betriebswirtschaftliche Rechnung rechnen und sie sollten nicht politisch vorbestimmt werden.

    Heckmann: Das sieht man in vielen anderen Ländern Europas anders. In Frankreich gibt es den gesetzlichen Mindestlohn, in den Niederlanden, in Großbritannien. In 20 von 27 Ländern Europas gibt es den und da hat man offenbar ganz gute Erfahrungen damit gemacht. Der Generalsekretär der SPD, Hubertus Heil, sagt, es sei ein Märchen, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze vernichten.

    Althaus: Seit 35 Jahren steigt die Sockelarbeitslosigkeit in Deutschland und sie steigt im Besonderen in den Bereichen, wo weniger Qualifikationsvoraussetzungen vorhanden sind und wo auch weniger Einstiegsmöglichkeiten existieren. Es wäre also falsch, wenn Deutschland an dieser Stelle durch Mindestlöhne diesem Trend noch Vorschub leistet. Wenn andere Länder einen Mindestlohn haben liegt das doch daran, dass andere Länder deutlich geringere durchschnittliche Lebensstandards und Wohlstandniveaus haben. Ich denke also man sollte hier nicht einfach vergleichen, sondern sollte auch die Situation Deutschlands vergleichen. Ich denke in Deutschland ist ein Mindestlohn kontraproduktiv.

    Heckmann: Aber dass Arbeitsplätze vernichtet worden wären beispielsweise in Großbritannien, das kann man offenbar nicht sagen?

    Althaus: Doch. In Großbritannien sind natürlich im Blick auf die Industrie flächendeckend viele Arbeitsplätze verschwunden, aber es hat Ersatzarbeitsplätze gegeben in der Dienstleistungsbranche. Insofern kann man auch die Situation in Großbritannien nicht mit der in Deutschland vergleichen. Wir sind ein Land, das auch sehr stark auf Arbeitsplätze in der Industrie, in der Wirtschaft setzt, und das müssen wir auch. Insofern bleibt es dabei: Das ist Sache der Wirtschaft, Sache der Tarifpartner, über die Lohnentwicklung zu diskutieren und auch über die Lohnentwicklung zu entscheiden. Die Politik sollte sich heraus halten, wenn es darum geht, flächendeckend Mindestlöhne zu bestimmen.

    Heckmann: Das heißt Sie sind auch strikt dagegen, dass in der Zeitarbeitsbranche, wie es jetzt von Franz Müntefering vorgeschlagen wurde, es zu einem solchen Mindestlohn kommen soll?

    Althaus: Über Branchen kann man diskutieren. Es gibt ja auch schon die Diskussion innerhalb der Branchen, aber auch da gilt: Das muss man mit den Arbeitgebern und mit den Arbeitnehmern, das heißt mit den Gewerkschaften tun und nicht einfach als Vorgabe der Politik eine Marke setzen.

    Heckmann: Das ist ja auch so intendiert. Die SPD möchte ja der Branche erst mal die Gelegenheit geben, sich auf einen Mindestlohn zu verständigen, bevor es zu gesetzlichen Maßnahmen kommt.

    Althaus: Das ist ja schon eine lange Diskussion. Das ist auch die Position der Union. Aber deswegen ist es Unsinn, wenn die Politik Vorgaben machen möchte. Die Branchen haben hier klare Aufgaben zu erfüllen, mit den Arbeitgebern und den Arbeitnehmern zusammen solche Mindestlöhne zu diskutieren, aber die Politik sollte keine gesetzliche Vorgabe machen.

    Heckmann: Sie haben sich jetzt mehrfach gegen Eingriffe des Staates in die Lohnverhandlungen und Lohnentwicklung ausgesprochen. Auf der anderen Seite favorisiert die Union das Konzept eines Kombilohnes. Das erinnert an alte Zeiten der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen. Das passt auch nicht so ganz zusammen oder?

    Althaus: Kombilöhne sind Hilfsobjekte, um am Ende in Arbeit zu führen. Letztlich ist das kein Weg, um dauerhaft Arbeitsplätze zu schaffen, aber es kann den Einstieg ermöglichen gerade bei älteren Arbeitslosen oder auch bei jüngeren Arbeitslosen. Genau dahin zielt ja auch die Initiative der Union.

    Heckmann: Herr Althaus, gestern stand auch die Gesundheitsreform im Koalitionsausschuss zur Debatte. Die Reform in der vorliegenden Form wurde abgenickt. In dieser Woche soll der Bundestag entscheiden, später dann auch der Bundesrat. Jetzt sagt Ihr Parteikollege, der Chef des CDU-Wirtschaftsrats Kurt Lauk, er sehe keinen einzigen Ansatz zur Kostensenkung in der vorliegenden Gesundheitsreform.

    Althaus: Das ist sehr pauschal. Ich denke, dass die Gesundheitsreform durch die Einführung des Gesundheitsfonds ein Einstieg zu mehr Wettbewerb und damit auch mehr Kosteneffizienz ist, und es ist durch die Einführung einer ganzen Reihe von neuen Entwicklungen die Möglichkeit, dass damit auch am Ende für die erwerbsmäßigen, aber auch für die entsprechenden Kostenerbringer der Wettbewerb zu einer besseren Kosteneffizienz führt. Ich denke, dass bei allen Problemen, die immer noch diskutiert werden, diese Gesundheitsreform in die richtige Richtung geht und sie ermöglicht später auch den Umstieg in die Gesundheitsprämie.