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"Der Stabilitätspakt ist gescheitert"

Der Finanzexperte Bert van Roosebeke befürwortet die Forderung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, ein Land müsse aufgrund von wirtschaftlichen Aspekten auch aus dem Eurogebiet ausgeschlossen werden können. Der Stabilitätspakt sei hingegen gescheitert, da er nicht zur gewünschten Spardisziplin der Euroländer führe.

19.03.2010
    Christoph Heinemann: "Ein Italiener ausgerechnet", mit diesen Worten begann in der vergangenen Woche ein Artikel in der "Bildzeitung" über Notenbankchef Mario Draghi, der als möglicher Nachfolger von Jean-Claude Trichet im Gespräch ist, des Präsidenten der Europäischen Zentralbank. Es folgten überwiegend Vorurteile, teils in beleidigender Form.

    Der italienische Notenbankchef hat sich heute in einem Interview mit dem "Handelsblatt" für eine umfassende Reform des europäischen Stabilitätspaktes ausgesprochen, genauer für strengere Regeln, für eine Abkehr von hohen Haushaltsdefiziten und für Ausgabendisziplin - Musik in den Ohren der Bundeskanzlerin.

    Angela Merkel hatte gesagt, als Ultima Ratio müsse es möglich sein, ein Land aus dem Eurogebiet auszuschließen, falls es die Bedingungen wiederholt nicht erfülle. Davon hält wiederum die Regierung in Paris nichts. Finanzministerin Christine Lagarde machte gestern in Brüssel deutlich, dass sie den Vorschlag Merkels ablehne. Frau Lagarde hatte zuvor die Bundesregierung aufgefordert, die deutschen Exporte zu zügeln und die Binnennachfrage anzukurbeln.

    Dort [in Brüssel] sind wir verbunden mit Bert van Roosebeke. Er ist Finanzexperte des Europäischen Centrums für Politik in Freiburg. Guten Tag!

    Bert van Roosebeke: Guten Tag, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr van Roosebeke, sollte die Eurozone chronische Defizitsünder vor die Tür setzen können?

    van Roosebeke: Ja, da haben Sie Recht. Zurzeit geht das nicht auf jeden Fall, oder nur unter ganz schweren Umständen, und das geht gerade nicht zurzeit, weil wir halt diesen Stabilitäts- und Wachstumspakt eingeführt haben damals in der festen Überzeugung, dass dieser Pakt im Voraus disziplinierend funktionieren würde und eben verhindern würde, dass das, was Sie jetzt sozusagen beschreiben, jemals notwendig werden könnte.

    Jetzt wissen wir leider, dass diese Signalwirkung des Paktes so nicht funktioniert hat. Ein Land auszuschließen aus einer Währungszone, ist natürlich eine relativ komplizierte Lösung. Aus ökonomischer Sicht kann man dagegen letztendlich wenig einbringen. Es wäre aber doch besser zu versuchen, durch Änderungen an dem Pakt zu vermeiden, dass man gerade eben in eine solche Situation kommt.

    Heinemann: Solchen Änderungen müssten ja alle Mitgliedsstaaten zustimmen?

    van Roosebeke: Das ist richtig.

    Heinemann: Und das wäre wahrscheinlich das Problem?

    van Roosebeke: Das wäre eines der Probleme, genau.

    Heinemann: Ist der Pakt in der gegenwärtigen Griechenlandkrise gescheitert?

    van Roosebeke: Ganz sicher. Der Pakt hätte genau vermeiden sollen, dass Griechenland nächstes Jahr zwölf Prozent Defizit des BIPs einfährt. Darüber muss man sich, glaube ich, nicht streiten. Der Pakt ist gescheitert.

    Heinemann: Ist ein Problem vielleicht das Wort Wachstumspakt? Das ist ja nicht nur ein Stabilitäts-, sondern ein Wachstumspakt, und Wachstum reimt sich für viele europäische Regierungen eben auch auf staatliche Konsumförderung, also öffentliche Gelder.

    van Roosebeke: Ja, gut, dem steht ein Pakt nicht entgegen. Die Kriterien des Paktes sind ja da, drei Prozent des BIPs Defizit. Wofür sozusagen ein Staat sein Defizit dann nutzt, ist dem Staat überlassen, aber diese pauschale Grenze, ob die jetzt dann sinnvoll sei oder nicht, ist ja da.

    Ich glaube, das Problem lag doch eher bei der Überwachung und Durchsetzung des Paktes, vor allem deswegen, weil eben die Akteure, die da beteiligt waren, nicht unabhängig waren.

    Heinemann: Beim Wort Wachstum sind wir dennoch schnell bei Christine Lagarde. Die französische Finanz- und Wirtschaftsministerin hat ja jetzt der Bundesregierung empfohlen, die Exporte, die deutschen Exporte zu zügeln und die Binnennachfrage anzukurbeln. Wäre das die richtige Politik?

    van Roosebeke: Meines Erachtens nicht. Es ist immer kompliziert und gefährlich, meiner Meinung nach, wenn man versucht, die Wirtschaftspolitik sämtlicher Eurostaaten zu koordinieren. Mir leuchtet nicht so ganz ein, wie das praktisch machbar sein sollte, und die Befürchtung, die man da haben kann, ist doch schon, dass man versuchen wird, eine gewisse Binnennachfrage - in diesem Fall in Deutschland - anzukurbeln, und dass dabei das eigentliche Ziel des Paktes, die Begrenzung der Haushaltsdefizite, unter den Tisch fallen wird.

    Es wird eine Art Konkurrenz geschaffen werden zwischen zwei Zielen, und das eigentliche Ziel der Haushaltsdefizitreduzierung sollte das eigentliche Ziel bleiben.

    Heinemann: Das heißt, indirekt hat Frau Lagarde mit ihrem Ratschlag Wasser auf die Mühlen aller Gegner einer sogenannten europäischen Wirtschaftsregierung gelenkt?

    van Roosebeke: Ja. Ich glaube, das Problem ist ein bisschen, dass man in unterschiedlichen Ländern zurzeit unterschiedliche Konzeptionen dieser Regierungen hat. Ich glaube, für das französische Verständnis sozusagen waren die Äußerungen von Frau Lagarde schon sehr positiv, aber für das klassische deutsche Verständnis war das sicher ein Eigentor, das vielleicht aus innenpolitischen Gründen so gewollt war.

    Heinemann: Wie denkt die französische Seite?

    van Roosebeke: Die französische Seite möchte meiner Meinung nach die aktuelle Verunsicherung in der Eurozone - da ist sie ja nicht alleine - nutzen, um eine gewisse Vorstellung, die sie hat, wie die europäische Integration auszusehen hat, durchzusetzen. Es ist ja kein Geheimnis, dass Frankreich schon länger eine Wirtschaftsregierung anstrebt, und es ist auch kein Geheimnis, dass es große Unterschiede gibt zwischen der Wettbewerbsfähigkeit der unterschiedlichen Eurostaaten.

    Es ist nicht auszuschließen, dass eine Koordinierung der Wirtschaftspolitik dazu führt, dass gewisse sehr wettbewerbsfähige Länder sich anderen anpassen. Die klassische Kritik an Deutschland ist ja gewesen, dass die Lohnsetzung in den letzten Jahren zu niedrig sei, oder als zu niedrig empfunden wurde, und wenn das thematisiert wird in einer europäischen Wirtschaftsregierung, dann stellt man sich doch die Frage, wie stellen sich die Franzosen das vor, sollen wir eine Art europäische Tarifverhandlungen führen. Das kann man sich eigentlich aus deutscher Sicht überhaupt nicht vorstellen.

    Heinemann: Herr van Roosebeke, Thema Griechenland. Ihr Institut spricht sich in einer Studie, die in der kommenden Woche vorgestellt wird, gegen einen europäischen Währungsfonds aus. Die Befürworter argumentieren, ohne Hilfen für Griechenland etwa und ohne einen solchen Fonds oder solche Zahlungen gerieten auch andere Länder ins Wanken. Was sagt man dagegen?

    van Roosebeke: Das stimmt nicht. Wir haben den Internationalen Währungsfonds, der ist gerade dazu da, Griechenland in einer etwaigen Krisensituation zu helfen. Eine Hilfe seitens des IWF für Griechenland stünde einer Hilfe anderer Länder, wenn sie es denn nötig hätten - wir wollen es ja nicht hoffen -, nicht entgegen.

    Wir haben eigentlich ein funktionierendes Krisenmanagement institutionalisiert, das ist der IWF, da zahlen wir, Deutschland und andere Eurostaaten, auch ein. Es gibt eigentlich außer offensichtlich politischen Gründen keinen überzeugenden Grund, den IWF nicht anzurufen.

    Heinemann: Kurz zum Schluss Personalpolitik. Wäre Mario Draghi ein guter EZB-Präsident?

    van Roosebeke: Er hat ja ähnlich wie Herr Weber einen guten Ruf, was die Stabilität der Geldpolitik angeht, und ich glaube, das Rennen ist sozusagen eröffnet. Herr Draghi hat eine Position eingenommen, die relativ deutsch ist, sage ich mal, kleine Akzente Richtung Frankreich. Er ähnelt sich schon sehr mit Herrn Weber.

    Der einzige klare Unterschied, der heute erkennbar wurde, ist eben, dass Herr Draghi einen europäischen Währungsfonds nicht explizit ablehnt, so wie Herr Weber, und da dürfen wir gespannt sein auf künftige Vorschläge des Herrn Weber.

    Heinemann: Bert van Roosebeke, Finanzexperte des Europäischen Centrums für Politik in Freiburg. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.

    van Roosebeke: Bitte schön.