Archiv


Der Streit zwischen der FDP und dem Zentralrat der Juden ist noch nicht beigelegt

Michel Friedman: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das gilt für jeden, der hier lebt. Und wenn eine Partei - und das ist nicht nur Herr Möllemann -, auch Herr Westerwelle sagt, ich möchte die 800.000 islamischen Stimmen gewinnen über Herrn Karsli, der das gesagt hat, was er gesagt hat, und das auf Kosten einer anderen Religion, frage ich mich sehr deutlich: wo sind wir eigentlich hingekommen, dass wir neuerdings Partei- und Wahlkämpfe zielgerichtet auf andere Religionen machen.

    Zagatta: Michel Friedman, der stellvertretende Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland gestern Abend in der ARD. Und damit sind auch die Hoffnungen des FDP-Vorstands verflogen, mit seiner Distanzierung von Jürgen Möllemann dieser Antisemitismus-Debatte ein schnelles Ende zu machen. Der Zentralrat der Juden gibt sich entsetzt über die seiner Meinung nach völlig unbefriedigende Distanzierung des FDP-Vorstands und fordert jetzt erst recht eine Entschuldigung Jürgen Möllemanns. Eine heikle Situation also für die Liberalen und damit auch für ihren Ehrenvorsitzenden. Guten Morgen Hans-Dietrich Genscher!

    Genscher: Guten Morgen.

    Zagatta: Herr Genscher, man kann ja nun darüber streiten, ob die Vorwürfe, die jetzt gegen Ihre Partei erhoben werden, zutreffen oder nicht. Aber kann die FDP aus dieser verfahrenen Situation ohne eine Entschuldigung überhaupt noch herauskommen?

    Genscher: Ich glaube es war von einer Entschuldigung von Jürgen Möllemann die Rede und dazu hat Guido Westerwelle ja gestern gesagt, dass er in dieser Lage es tun würde. Nein, es kommt sehr entscheidend darauf an, dass der FDP-Vorsitzende in der von Ihnen erwähnten Fernsehsendung ganz eindeutig erklärt hat, dass die Freie Demokratische Partei nicht die Absicht hatte und es auch nicht tun wird, Wahlkampf zu führen mit rechtspopulistischen Gefühlen oder auch mit antisemitischen Denkschablonen. Das würde ja auch unserem Grundverständnis nicht entsprechen. Für dieses Grundverständnis ist der Artikel 1 unseres Grundgesetzes entscheidend, nämlich "die Würde des Menschen ist unantastbar", und das heißt nicht nur bestimmter Menschen, sondern jedes Menschen. Das ist ein liberales Grundbekenntnis. Ich denke, dass man sehr ernst nehmen muss, was der Bundesparteitag der FDP beschlossen hat. Dort heißt es nicht nur, dass die deutschen Liberalen keine Antisemiten sind, sondern heißt es, die deutschen Liberalen bekämpfen Antisemitismus mit aller Entschiedenheit. Das ist unsere Position und auch die Tatsache, dass der Bundesvorstand am Ende der letzten Woche die Äußerung von Jürgen Möllemann missbilligt hat und bedauert hat, zeigt die Position. Übrigens hat Jürgen Möllemann diesem Beschluss zugestimmt. Das lag ja auch in der Logik seiner Erklärung.

    Zagatta: Aber Herr Genscher, der Zentralrat der Juden sieht in Möllemanns Äußerungen doch die schlimmste Beleidigung deutscher Juden seit 1945 aus den Reihen der großen Parteien. Das hat Herr Spiegel so erklärt. Kann man einen solchen Vorwurf an sich abprallen lassen und von einem Missverständnis sprechen, oder muss man sich solche Worte auch als Partei nicht doch zu Herzen nehmen?

    Genscher: Wir nehmen alles zu Herzen, was Menschen uns zu sagen haben, die in unserem Land und durch Deutsche Schreckliches erlebt haben. Deshalb nehme ich alle diese Erklärungen sehr ernst. Deshalb halte ich es für so wichtig, dass unser Parteivorsitzender unsere Position völlig klar dargelegt hat und dass sein Stellvertreter Jürgen Möllemann dieser Position völlig eindeutig und ohne jeden Vorbehalt zugestimmt hat. Das gehört zur Klarheit und Verantwortung in der Politik. Ich sage noch einmal: Liberale Partei ist nicht eine Heimstadt für Rechtspopulismus und schon gar nicht für Antisemitismus. Das hat mit uns nichts zu tun, hat bei uns keinen Platz und diese Klarstellung in der Sache ist für mich wichtig. Deshalb gehöre ich auch nicht zu denen, die jetzt in einen Wortstreit und eine Auseinandersetzung mit dem Zentralrat eintreten, weil es mir darum geht, diese liberale Position deutlich zu machen. Man sollte auch nicht eine solche Erklärung des Führungsgremiums der FDP in Zweifel ziehen, denn dann würde man ja sagen, dass alle, die dem zugestimmt haben, es nicht ehrlich gemeint haben. Das ist nicht der Fall!

    Zagatta: Aber der Zentralrat der Juden fordert nach wie vor eine ausdrückliche Entschuldigung von Jürgen Möllemann. Ihr Parteichef Westerwelle hat gestern Abend erklärt, er habe Möllemann eine solche Entschuldigung eigentlich nahegelegt. Sie selbst gelten ja als der politische Ziehvater von Jürgen Möllemann. Haben Sie ihm auch geraten, sich zu entschuldigen?

    Genscher: Das was der Parteivorsitzende für sich gesagt hat gilt auch für mich. Das ist also eine Antwort auf Ihre Frage, die ja lautet.

    Zagatta: Aber Herr Möllemann hört nicht auf Sie?

    Genscher: Er hat seine Position dazu dargelegt, aber ich bitte auch zu bedenken: es geht um eine ganz entscheidende Sach- und Positionsfrage. Da hat er gesagt, es war ein Fehler, dass er diese Erklärung abgegeben hat. Er hat gesagt, er wolle weder Herrn Friedman noch Herrn Scharon beschuldigen, dass sie dem Antisemitismus Vorschub leisten. Das würde ich auch nicht kleiner schreiben als es verdient, geschrieben zu werden. Er hat das bedauert. Das halte ich für wichtig. Es kommt auf die Sachposition an, wie man dem Zentralrat in dieser Frage entgegentritt. Da hat der Parteivorsitzende ja eindeutig Stellung bezogen. Ich teile seine Meinung und ich denke, es kommt allein darauf an, was eine Partei will. Da muss ich mich schon dagegen wehren, wenn aus anderen politischen Lagern der Versuch unternommen wird, hier die FDP unter Generalverdacht zu stellen.

    Zagatta: Aber diese Bedenken kommen ja nicht nur aus anderen politischen Lagern. Hildegard Hamm-Brücher, die gerne als die "große alte Dame" der FDP bezeichnet wird, nimmt diesen Vorfall jetzt so ernst, dass sie sogar damit droht, die Partei zu verlassen. Erwägen Sie als Ehrenvorsitzender auch irgendwelche Konsequenzen, wenn Herr Karsli beispielsweise weiter der Düsseldorfer FDP-Fraktion angehören darf, oder können Sie sich auch damit abfinden?

    Genscher: Ich gehöre der Freien Demokratischen Partei im 57. Jahr an und ich habe mich stets und tue das auch in dieser sehr schwerwiegenden Frage dafür eingesetzt, dass die Grundachse unserer Partei nicht verändert wird. Das tue ich auch in diesem Fall, auch was die Zugehörigkeit von Herrn Karsli zur Landtagsfraktion angeht. Das ist glaube ich auch verständlich, wenn man bedenkt, dass es ja keinen Unterschied machen kann, ob er der Partei angehört oder nicht angehört bzw. der Fraktion angehört oder nicht angehört. Darüber wird im Landesvorstand heute Abend zu sprechen sein. Das ist nicht eine Frage von Konsequenzen, sondern dort geht es darum wofür man eintritt, damit eine Partei nicht ins Zwielicht gezogen werden kann. Sie steht nicht im Zwielicht. Ihre Position ist ganz klar. Man sollte aber auch keinen Vorwand geben, sie ins Zwielicht zu ziehen, und meine Position zur Zugehörigkeit von Herrn Karsli zur Fraktion ist ja eindeutig. Ich habe das öffentlich gesagt. Ich bin der Meinung, dass die Fraktion ihren Beschluss, ihn aufzunehmen, überprüfen sollte.

    Zagatta: Hans-Dietrich Genscher, der frühere Außenminister und Ehrenvorsitzende der FDP. - Herr Genscher, ich bedanke mich für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio