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Der Sturz von Hugo Chávez

Lange: Am Telefon ist Professor Klaus Bodemer, er ist der Direktor des Instituts für Ibero-Amerikakunde in Hamburg. Guten Tag, Herr Bodemer.

    Bodemer: Guten Tag.

    Lange: Der Sturz von Hugo Chávez - betrachten Sie das als eine unter dem Strich eher positive Nachricht?

    Bodemer: Es handelt sich dabei, vielleicht um Garcia Marquez zu paraphrasieren, um die "Chronik eines lange angekündigten Todes" und ich würde sagen, das Fass war inzwischen einfach zu voll. Dass Chávez abtritt ist nach dem, was sich in den letzten Monaten alles akkumuliert hatte, sicher ein positives Zeichen. Die große Frage ist: Was kommt nach ihm? Und hier haben wir ein großes politisches Vakuum, weil die Parteien, die ja schon den Anlass boten, dass er die Macht übernommen hatte und auch mit Mehrheit gewählt wurde, haben sich in keiner Weise erneuert. Das heißt, wie haben hier eigentlich keinerlei Repräsentationsmechanismen, die in dieses Vakuum eintreten könnten und wieder eine klassische Demokratie etablieren könnten.

    Lange: Chávez stand ja, ähnlich wie Fujimori in Peru für einen autokratischen aber auch durchaus charismatischen Typ, der die Fassaden der Demokratie stehenließ, sie aber praktisch ausgehöhlt hat. Hat dieser Typ von Politikern damit ausgedient?

    Bodemer: Ich befürchte, dass nicht. Das ist eine neuere Tendenz, Sie haben ja auch Fujimori genannt, der einen ähnlichen Politikstil praktizierte, in gewissem Sinn auch, allerdings mit Abstrichen, Menem in Argentinien. Und die Gefahr besteht immer dann, wenn die klassischen Parteien nicht in der Lage sind, ein Land zu regieren und Angebote zu machen, die in der Bevölkerung Resonanz finden und Akzeptanz finden, dass dann dieses Vakuum eintritt, da, glaube ich, durch eine direkte Demokratie, durch den direkten Appell des Volkes die Probleme zu lösen. Der Fehler, der da meistens gemacht wird, dass sie zu viel versprechen. Praktisch allen Gruppen des Landes, von den Militärs angefangen bis zu der einfachen Bevölkerung in der Peripherie der Großstädte, und nachher nichts halten können und da sie es möglicherweise aufgrund der begrenzten Mittel nicht halten können, sich dann auch mit allen wichtigen Akteuren verderben. Genau das hat Chávez getan.

    Lange: Argentinien nach Menem, das ist ein Land in einer geradezu uferlosen Krise. Geht Venezuela dann jetzt den gleichen Weg, ist das überall dasselbe Muster?

    Bodemer: Würde ich nicht sagen, denn die Umstände sind doch sehr anders. Venezuela ist ja ein potentiell reiches Land und die Erdölpreise, die Erdölpolitik der letzten Jahre der OPEC hat dazu geführt, dass Venezuela eine Menge Einnahmen hatte. Das heißt, die Finanzkrise, die Wechselkurkrise, die gibt es zwar auch in Venezuela, sie ist aber nicht vergleichbar mit der dramatischen Wirtschafts- und Finanzkrise in Argentinien und ich würde sagen, wenn jetzt die Streikenden des Erdölsektors wieder an ihre Arbeit gehen und man sich auch mit den anderen Erdölstaaten wieder arrangiert, die Verträge erfüllt, dann ist da wieder eine wichtige Devisenquelle erschlossen. Die Frage ist, was mit dem Geld passiert, wenn weiterhin ein Großteil dieses Geldes in Korruptionskanälen verschwindet, dann wird es allerdings weiter dramatisch bleiben.

    Lange: Chávez hat ja auch in Kolumbien mitgemischt im dortigen Bürgerkrieg, dem latenten Bürgerkrieg muss man ja sagen. Gibt es da jetzt eine Chance, dass sich die Situation dort stabilisiert?

    Bodemer: Da sieht gar nicht danach aus. Wir sind ja mitten im Wahlprozess und da ist eigentlich kaum eine Chance abzusehen, dass der Bürgerkrieg auf kurze Zeit beendet wird. Aber noch mal auf Venezuela zurück: ich glaube, was das Fass auch zum Überlaufen gebracht hat war, dass einer der wichtigsten Oberbefehlshaber des Heeres Chávez vorgeworfen hat, er sei ein Verräter, weil er die Guerilla in Kolumbien unterstützt und dass eigene Soldaten aus Venezuela das mit dem Leben bezahlen mussten. Da war sozusagen wirklich das Maß voll für die Militärs.

    Lange: In Venezuela galt er ja durchaus eine Zeit als Hoffnungsträger, um völlig zerrüttete Strukturen zu überwinden, auch gegen alte Eliten. Kommen die jetzt damit zurück?

    Bodemer: Das glaube ich nicht, denn in den letzten Jahren waren die praktisch nicht mehr präsent. Sie sind auch im Parlament nur reduziert vertreten und es gibt eigentlich keinerlei Anzeichen, dass hier eine Erneuerung auch eine generationsmäßige Erneuerung stattgefunden hat. Wir haben wirklich ein politisches Vakuum.

    Lange: Was ist von dem Unternehmerpräsident zu halten, der da jetzt provisorisch die Regierung übernommen hat?

    Bodemer: Das ist ein weitgehend unbeschriebenes Blatt. es kann sein, dass für eine gewisse Zeit man ihm einen Vertrauensvorschuss gibt, aber er muss sich ja mit allen arrangieren, muss sich natürlich auch mit den Gewerkschaften arrangieren; dass die Gewerkschaften und Unternehmer in den letzten Wochen zusammengearbeitet haben, war ein klar kalkuliertes Zweckbündnis, um Chávez loszuwerden, aber das bedeutet nicht, dass man nachher, wenn es um konkrete Politik geht, am selben Strang zieht.

    Lange: In den Informationen am Mittag war das Professor Klaus Bodemer, er ist Direktor des Instituts für Ibero-Amerikakunde in Hamburg. Vielen Dank für das Gespräch, auf Wiederhören.

    Bodemer: Wiederhören.