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Der Tarifstreit im öffentlichen Dienst

    Heinlein: Kommt der Streik im öffentlichen Dienst oder gibt es doch eine Einigung in letzter Minute? Nach der gescheiterten Schlichtung treffen sich heute die Tarifparteien in Potsdam. Dort geht der Verhandlungspoker in die wohl letzte Runde. Die Rituale werden dabei penibel eingehalten. Beide Seiten erklärten gestern noch einmal ihre Einigungsbereitschaft, ohne jedoch ihre Karten offen auf den Tisch zu legen. Sicher ist: Die Arbeitgeber werden ein neues Angebot präsentieren. Eine Drei vor dem Komma gilt dabei als wahrscheinlich, allerdings bei einer deutlich verlängerten Laufzeit des Vertrages. Vorsichtige Friedenssignale also im Vorfeld von Potsdam und dazu jetzt am Telefon der Wirtschaftsweise Professor Jürgen Kromphardt von der TU Berlin. Herr Professor Kromphardt, rechnen Sie heute mit einer Einigung in quasi letzter Minute?

    Kromphardt: Also die Chancen sind immer da, aber ich kann es mir eigentlich schwer vorstellen.

    Heinlein: Wieso sind Sie pessimistisch?

    Kromphardt: Weil die Positionen doch weit auseinander liegen. Einerseits orientieren sich die Gewerkschaften eben an den Abschlüssen des letzten Jahres im Privatsektor, und zum anderen sind die Arbeitgeber wirklich in einer sehr schlechten finanziellen Situation, so dass es wirklich schwierig ist, dazwischen einen Kompromiss zu finden.

    Heinlein: Als Laie ist man ja mit den%en, Laufzeiten und Ausgleichsregelungen überfordert. Helfen Sie uns weiter, wie weit sind denn die Positionen der Tarifparteien eigentlich noch auseinander?

    Kromphardt: Dazu müsste man mehr Details wissen über das, was die beiden Seiten sich vorstellen. Sie haben ganz richtig gesagt, dass die Laufzeiten eine erhebliche Rolle spielen. Wenn Sie eine 3-Prozent-Steigerung meinetwegen für 24 Monate vereinbaren, dann hieße das ja, dass pro Jahr praktisch nur eine 1,5-Prozent-Steigerung herauskommt, wenn Sie das auf Jahresbasis umrechnen. Also insofern hat man da auch Spielräume, optische Eindrücke hervorzurufen, ohne dass man in der Realität tatsächlich so viel mehr zahlen muss.

    Heinlein: Die Arbeitgeber wollen ja heute ein verändertes Angebot auf den Tisch legen - das wissen wir -, 3 Prozent, dafür aber diese längere Laufzeit und wohl eine höhere Wochenarbeitszeit. Ist dies ein möglicher Weg aus der Sackgasse, auf den auch die Gewerkschaften eingehen könnten?

    Kromphardt: Also mit der Laufzeit hat man einiges an Spielräumen. Es mag sein, dass die Gewerkschaften auf die Verlängerung der Arbeitszeit eingehen. Ich finde es aber eine unglückliche Idee, denn unser Problem besteht ja auch darin, dass der öffentliche Dienst praktisch nur noch sehr selten junge Leute einstellen kann, das heißt wir haben eine langsame Veralterung der Lehrerschaft, zum Beispiel der Hochschullehrer, aber auch generell der Beamten im öffentlichen Dienst, und wenn man also jetzt die Arbeitszeit verlängert, braucht man weniger Leute einzustellen. Also hat man auch weniger Möglichkeiten, junge Leute einzustellen. Das scheint mir also, volkswirtschaftlich gesehen, keine besonders günstige Lösung zu sein.

    Heinlein: Trotz dieser Möglichkeiten, die Sie gerade geschildert haben, rechnen Sie mit einem Scheitern der Verhandlungen heute in Potsdam. Dann geht wohl kein Weg an einem Streik, an einem Arbeitskampf vorbei. Was wären denn die volkswirtschaftlichen Folgen eines flächendeckenden Streiks im öffentlichen Dienst?

    Kromphardt: Die eine Frage ist, ob der Streik tatsächlich flächendeckend sein wird. Inzwischen ist es ja eigentlich üblich geworden, die Streiks punktuell anzusetzen, mal beim Transportwesen, mal dort die Müllabfuhr, mal irgendwo etwas anderes, eben um nicht flächendeckend zu streiken, und dann ist die zweite Sache natürlich, wie lange so ein Streik dauert. Also wenn ein Streik kurz ist, dann lässt sich die ausgefallene Arbeit nacharbeiten, und von daher entsteht dann also kaum volkswirtschaftlicher Schaden, jedenfalls kein direkt messbarer Schaden. Je flächendeckender der Streik ist und je länger er dauert, desto gravierender können natürlich die Folgen sein.

    Heinlein: Also stimmt das Argument der Gewerkschaften, ein Streik sei deutlich teurer für die öffentliche Hand als etwa eine Annahme dieses Schlichterspruches?

    Kromphardt: Das kann man so nicht sagen, weil man ja nicht weiß, wie lange der Streik dauert und wie punktuell er geführt wird. Also ein kurzer und punktuell geführter Streik ist, gesamtwirtschaftlich gesehen, relativ harmlos, und von daher muss man erst mal sehen, wie die Sache abläuft. Außerdem wird ja der Streik meistens durch neue Verhandlungen wieder unterbrochen. Insofern kann man nicht vorhersagen, was teurer gewesen wäre.

    Heinlein: Also können die Arbeitgeber, die öffentliche Hand, relativ gelassen bleiben, weil es vielleicht jeden ärgert, weil die Mülltonnen nicht gelehrt werden aber die Kosten sich in Grenzen halten?

    Kromphardt: Das Problem ist natürlich auch - insofern ist das mit dem Gelassensein etwas schwieriger -, je länger ein Streik dauert, desto höher werden natürlich die Erwartungen der Beteiligten, insbesondere der Streikenden, über den Erfolg ihres Streiks. Wenn also die Gewerkschaft schon am Anfang Schwierigkeiten hat, bestimmte Kompromisse einzugehen, so wird das dann immer schwieriger, weil die Streikenden sagen, jetzt haben wir gestreikt, haben uns in die Kälte hingestellt, und dann muss dabei etwas herauskommen. Insofern kann man dem nicht gelassen entgegensehen, sondern es enthält eben doch erhebliche Risiken.

    Heinlein: Also nach einem Streik können die Gewerkschafter, kann Herr Frank Bsirske, seinen Mitgliedern weniger als 3 Prozent überhaupt nicht mehr verkaufen?

    Kromphardt: Es wird schwieriger für ihn. Andrerseits zeigt die Erfahrung, dass man auch nach Streiks einen gemeinsamen Abschluss findet. Wir hatten ja den Streik in der Metallindustrie, der relativ kurz und nur punktuell war, und da hat man sich hinterher auch geeinigt. Also zum Schluss steht immer eine Einigung; die wird schon zustande kommen, und es wäre natürlich wünschenswert, man schafft es ohne Streik.

    Heinlein: Wird eine solche Einigung dann unter dem Schlichterspruch von Bremen liegen?

    Kromphardt: Es wird wahrscheinlich so sein, dass man die Laufzeiten, die Nullmonate und die Festbeträge dafür so unterschiedlich gestaltet, dass man das eigentlich gar nicht mehr vergleichen kann. Insofern ist es schwer zu sagen, wie das aussehen wird.

    Heinlein: Alle Seiten, auch die Gewerkschaften, wissen: Bund, Länder und Kommunen, die öffentlichen Arbeitgeber, sind knapp bei Kassen. Dennoch wird es über kurz oder lang einen milliardenschweren Tarifabschluss geben. Welche Möglichkeiten gibt es denn für die öffentliche Hand, diesen Tarifabschluss zu finanzieren?

    Kromphardt: Das ist ein Punkt, der in den Verhandlungen sicher auch bereits eine Rolle gespielt hat, dass man sagt, wenn wir eine lineare Erhöhung der Stundensätze machen, dann müssen wir woanders teilweise zumindest kompensieren können. Mein Vorschlag wäre, dass man sich überlegt, dass man bei der Finanzierung der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst neue Wege beschreitet oder neue Relationen findet, also genauer gesagt, die Arbeitnehmer stärker daran beteiligt in Richtung Halbe-Halbe, wie es bei der Rentenversicherung üblich ist, und dadurch die öffentlichen Haushalte an der Stelle sicherlich etwas entlastet.

    Heinlein: Es gibt ja drei Möglichkeiten: Mehr Schulden, neue Steuern oder vielleicht sogar einen weiteren Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Was erwarten Sie denn?

    Kromphardt: Ich hoffe eigentlich, dass der Abschluss so ausgeht, dass die Sicherheit der Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst bestehen bleibt, denn das ist eben der große Vorteil der Beschäftigung im öffentlichen Dienst, dass man eben bislang sicher vor betriebsbedingten Kündigungen ist, und das ist auch mein Argument dafür zu sagen, dass man in dieser schwierigen Situation im öffentlichen Dienst vielleicht auch einen Abschluss unterhalb des Privatsektors akzeptieren sollte, um eben diese Konsequenz zu vermeiden, dass auch der öffentliche Dienst anfangen muss, Stellen abzubauen durch betriebsbedingte Kündigungen.

    Heinlein: Ist denn eine mögliche Einigung um die 3 Prozent, wie sie sich ja dann wohl abzeichnet, auch eine Richtschnur für die anstehenden Tarifverhandlungen in anderen Branchen?

    Kromphardt: Also die 3 Prozent kann ich mir also so schnell nicht vorstellen, aber sie wären ja abgeleitet aus den bisherigen Abschlüssen im privaten Sektor und würden sich dann wahrscheinlich ungefähr dann wieder im Jahr 2003 fortsetzen, und für den privaten Sektor wäre das auch eine Richtschnur, an der man sich ungefähr orientieren kann.

    Heinlein: Das Land Berlin ist ja gestern aus den kommunalen Arbeitgeberverbänden ausgetreten. Man ist damit nicht mehr an einem möglichen Tarifabschluss gebunden. Ist dies der Anfang vom Ende des Flächentarifvertrages im öffentlichen Dienst?

    Kromphardt: Das glaube ich nicht. Also das Land Berlin ist ja in einer ganz besonders schwierigen Situation, und man muss sich da vielleicht auch andere solidarische Lösungen überlegen, wozu ja dieses Austreten aus dem Arbeitgeberverband Spielräume eröffnet. Ich glaube nicht, dass dem die anderen Bundesländer folgen werden, und auch Berlin wird, denn sie müssen ja weiterhin Tarifverhandlungen führen mit den Berliner öffentlich Bediensteten, versuchen, möglichst schnelle wieder in die gemeinsame Truppe hineinzukommen, denn dann ist man nicht so in der Frontlinie, wie man es jetzt ist, wenn man alleine verhandelt.

    Heinlein: Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio