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"Der Tarifvertrag muss eine feste Burg sein"

Der Vorsitzende der Gewerkschaft IG Metall, Jürgen Peters, hat Einschnitte in den Flächentarifvertrag erneut abgelehnt. Auch die Arbeitnehmer bräuchten Planungssicherheit bezüglich ihres Einkommens, sagte Peters. Abweichungen dürfe es daher weiterhin nur in begründeten Ausnahmefällen geben, etwa um einen Standort zu sichern. Der IG-Metall-Chef fügte hinzu, seine Gewerkschaft sei aber durchaus bereit, den Flächentarifvertrag in Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern weiterzuentwickeln. Gestaltungsbedarf gebe es beispielsweise bei der betrieblichen Alterssicherung.

Moderation: Elke Durak |
    Elke Durak: Wie verbindlich sollen künftig Tarifverträge sein? Wie weit soll und will sich die IG Metall - und um die geht es im folgenden Interview -, wie weit will diese Gewerkschaft gehen bei der Öffnung des Tarifvertrages für einzelne Betriebe? Darüber unter anderem diskutieren ihre Vertreter drei Tage lang auf einem tarifpolitischen Kongress in Mannheim. Dort erreichen wir den Gewerkschaftsvorsitzenden Jürgen Peters. Schönen guten Morgen!

    Jürgen Peters: Ja, schönen guten Morgen!

    Durak: Herr Peters, Sie haben einen, ja sagen wir mal, Angebots- und Forderungskatalog für und an die Arbeitgeber bereits unterbreitet, gestern bei der Eröffnung. Unter anderem haben Sie davon gesprochen, den Flächentarifvertrag "weiter zu entwickeln und zukunftsfest zu machen". Was heißt das, zum Beispiel die Abkehr von Öffnungsklauseln, die es ja durchaus schon gibt?

    Peters: Nicht die Abkehr. Wir haben ja durchaus immer akzeptiert, wenn ein Unternehmen in besonderer Schwierigkeit ist, dass wir mithelfen, wenn man so will, den Karren wieder aus dem Dreck zu ziehen. Die Arbeitgeber aber haben hier Phantasien. Sie möchten den Tarifvertrag auf der einen Seite haben, aber auf der anderen Seite soll er nicht gelten. Das heißt jeder Betrieb soll machen können was er will und das ist natürlich mit uns nicht zu machen. Wir wollen, dass der Tarifvertrag weiterhin seine Verbindlichkeit hat: einmal für die Unternehmen als Planungsgröße, aber viel mehr für unsere Kolleginnen und Kollegen, damit auch sie planen können, nämlich ihr Einkommen und damit ihr Auskommen. Deshalb muss der Tarifvertrag schon eine feste Burg sein, auf die man bauen kann.

    Durak: Das muss ja nicht unbedingt Flächentarifvertrag heißen. Es gibt ja auch die Haustarifverträge.

    Peters: Ja, das ist richtig. Der Flächentarifvertrag, das ist ja, wenn Sie so wollen, immer die Referenzgröße. Das ist das, woran sich alle orientieren. Es ist völlig richtig: Wir haben sehr viele Tarifverträge. Wir haben mehrere Flächentarifverträge, nämlich in verschiedenen Branchen. Aber es geht hier um das Prinzip. Die Arbeitgeber wollen die Öffnungen haben, möglichst auch unkonditioniert, und wir sagen, für den Ausnahmefall soll man durchaus abweichen können. Aber der Ausnahmefall muss begründet sein. Der Ausnahmefall muss auch bedeuten, dass ein bestimmtes Ziel damit verfolgt wird, denn es hat ja keinen Sinn, dass nur die Leute Geld abgeben an Unternehmen, die schlecht wirtschaften, sondern es muss auch das Ziel damit verbunden sein, dass der Standort damit gesichert wird, denn die Leute müssen ja für das, was sie rein geben, auch einen Gegenwert erhalten. Und natürlich wollen sie wissen, ob dann die Beschäftigung gesichert ist. Das heißt, hier müssen Verbindlichkeiten her und darüber streiten wir.

    Durak: Nun haben Sie uns aber glaube ich noch nicht richtig erklärt, worin denn die Weiterentwicklung des Flächentarifvertrages bestehen soll?

    Peters: Wenn man sich vergewissert hat, wenn beide Parteien der Auffassung sind, wir wollen an dem Flächentarifvertrag festhalten, geht es dann um die inhaltliche Weiterentwicklung. Da haben wir noch außerordentlich viel zu tun. Ich will mal ein paar der Beispiele nennen. Da geht es um die alternde Belegschaft. Jeder weiß, dass das ein Problem wird. Wir müssen hier versuchen, tarifpolitisches Neuland zu betreten. Was heißt das nämlich für die Tarifpolitik, zum Beispiel für die Frage der Arbeitszeit, möglicherweise einer demographischen Arbeitszeit? Solche Überlegungen muss man anstellen. Das kann man aber nur, wenn man auf der anderen Seite auch einen verlässlichen Partner hat.

    Denken Sie an das Thema Alterssicherung. Wir haben sehr früh vorgeschlagen, wir wollen für das Alter durchaus auch tarifpolitisch Pflöcke setzen. Wir haben uns vorgestellt, so etwas wie Rentenbausteine zu entwickeln und wollten dafür die vermögenswirksame Leistung nehmen. Die Arbeitgeber verweigern sich, blockieren. Wir sind jetzt seit einem Jahr, wenn Sie so wollen, mit den Arbeitgebern in den Gesprächen und nichts rührt sich. Wir werden das jetzt 2006 wieder anpacken und ich hoffe, dass wir hier auf der anderen Seite eine größere Bereitschaft haben, neue Wege zu gehen.

    Oder denken Sie an das ganz, ganz große Thema Innovation. Ich habe das auch gestern in meiner Einführungsrede gesagt. Die Unternehmen können doch nicht überleben in dem Wettbewerb der niedrigeren Kosten oder gar der Lohnkosten. Das macht doch gar keinen Sinn. Das bringt doch auch gar nichts. Sondern wir haben gerade über den Tarifvertrag zu versuchen, dass die Unternehmen über die Produkte, die Produktinnovation besser werden. Deshalb gibt es ja auch Kampagnen bei uns, "besser statt billiger", wo wir sagen, die Innovationsfähigkeit, die Innovationskraft der Unternehmen muss gestärkt werden. In diesem Zusammenhang steht natürlich sofort auch die Frage, was passiert mit den Menschen hinsichtlich ihrer Qualifikation, ihrer Weiterbildungsmöglichkeiten, also ein weites Feld für Tarifpolitik.

    Durak: Ein Wort noch mal zu den Tarifverträgen. Herr Peters, Sie haben den Arbeitgebern gedroht, die befristeten Öffnungsregeln zu überdenken und abzuschaffen. Wann? Welche Umstände müssen dafür eintreten?

    Peters: Sie müssen sehen: Wir haben immer gesagt, wir machen mit, wenn das der Ausnahmefall ist und wenn das eine Berechtigung hat. Wir müssen hier zwischen einzelwirtschaftlichem Interesse und der gesamtwirtschaftlichen Notwendigkeit, aber auch Verantwortung immer wieder das austarieren. Nun kommen einige Arbeitgeber, die wollen den Mitnahmeeffekt. Jede abweichende Regelung - das ist logisch - weckt Begehrlichkeit bei dem anderen und das einzudämmen, das sagen wir, ist auch eine Pflicht von Gesamtmetall und ihr könnt hier nicht einfach den Kanal öffnen oder gar das noch beflügeln, dass jeder eine abweichende Regelung haben darf, sondern er darf sie nur haben in besonderen Fällen.

    Durak: Wie weit gehen Sie, bis zum Streik fürs Tarifrecht?

    Peters: Wir würden zunächst einmal diese Frage nach hinten schieben, aber sehr wohl analysieren, hat sich hier etwas verändert? Wenn sich da nichts verändert, hat für uns dieser Weg wenig Sinn. Dann werden wir in unseren Gremien darüber reden, ob wir dann den Tarifvertrag kündigen, das heißt, das nicht weiter fortsetzen. Ich setze aber darauf, dass die Arbeitgeber hier die Kirche im Dorf lassen und wieder zurück kommen zu einer tarifpolitischen Vernunft, so will ich es mal sagen.

    Durak: Es gibt heute schon Warnstreiks, Herr Peters, europaweit von Beschäftigten des schwedischen Konzerns Electrolux Hausgerätewerk. Auch in Nürnberg wird man streiken. Auf Ihrer tarifpolitischen Konferenz wollen Sie auch darüber reden, wie auf europäischer Ebene Tarifpolitik stärker koordiniert werden kann. Das steckt wohl noch in den Kinderschuhen?

    Peters: Ja und nein. Sie müssen sehen, das ist natürlich noch ungleich schwieriger, alles jetzt gleich in einem europäischen Kontext zu denken. Aber richtig ist und das sehen auch alle Kolleginnen und Kollegen, dass wir uns nicht in eine Phase bewegen dürfen, wo Lohndumping, Sozialdumping, Steuerdumping im Grunde genommen weiten Stil kriegt. Denn das bedeutet, das Runterregulieren und ein ruinöser Wettbewerb, der hilft hier niemandem. Das würde allen nur schaden. Deshalb muss man jetzt dazu kommen, wie kriegt man eine gemeinsame Regel hin, ein gemeinsames Verständnis. Wir haben hier Koordinierungsregeln in Europa verabschiedet und da wollen wir uns auch alle dran halten. Das heißt mindestens die Produktivität und die Preissteigerung muss ausgeglichen werden, damit hier eine einheitliche Norm in Europa ist. Aber wir gehen noch einen Schritt weiter. Wir wollen gemeinsame Rahmenregelungen anpeilen und da ist das Thema Weiterbildung gerade das erste Thema, was wir in der letzten Woche im EMB, dem Europäischen Metallgewerkschaftsbund, diskutiert haben. Wir wollen hier versuchen, das auf europäischer Ebene im Gleichschritt hinzubekommen. Das ist sicherlich noch eine schwierige Aufgabe.