Primor: Guten Morgen Frau Simon.
Simon: Herr Primor, ausgerechnet in dieser Situation üben die Vereinigten Staaten den heftigsten Druck seit langem auf die israelische Regierung aus, mit den Palästinensern wieder ins Gespräch zu kommen. Wie lange kann sich die Regierung in Jerusalem dem noch verweigern?
Primor: Sie kann es nicht. Ich glaube nicht, dass die Regierung in Jerusalem sich verweigern kann. Wenn die Amerikaner tatsächlich die Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, um Druck auf Israel auszuüben, benutzen, dann kann die israelische Regierung gar nichts tun und muss sich dem beugen. Vielleicht wird es noch ein paar Tage dauern, weil die Regierung der israelischen Bevölkerung zeigen will, dass sie auch etwas tut, nachdem man den Minister ermordet hat, aber im Grunde genommen kann sie sich nicht verweigern.
Simon: Sie sagten gerade, wenn die US-Regierung tatsächlich die Mittel benutzt, die ihr zur Verfügung stehen. Klingt das so ein bisschen, als dass dies bis jetzt eher ein demonstratives Zeichen von den USA an die arabische Welt war, dass man auch in Sachen Palästina sich engagiere?
Primor: Das könnte der Fall sein. Das weiß man jetzt noch nicht. Aber so war es bis heute. Ich meine jahrzehntelang hat man uns ab und zu erzählt, dass die Amerikaner Druck auf uns ausüben würden, dass sie wütend sein sollten und dass sie unzufrieden mit der Regierung, mit der israelischen Politik wären, aber in der Tat haben sie nie wirklich Druck auf uns ausgeübt, bis heute noch nie. Jetzt könnte es sein, dass sie es anders tun, weil es um amerikanische Interessen geht. Das könnte anders sein. Ob es aber tatsächlich anders ist, das wissen wir noch nicht.
Simon: Sie sehen also auch nicht in den Äußerungen zum Beispiel des Präsidenten Bush, der von einem Palästinenser-Staat gesprochen hat, wohl gemerkt nur gesprochen, irgendeinen Hinweis?
Primor: Nein. Palästinenser-Staat ist heute schon kein Tabu mehr. Sogar Scharon, der Hardliner, hat schon zweimal in den letzten zwei Wochen von einem Palästinenser-Staat gesprochen. An sich bedeutet das gar nichts. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen und in welchen Grenzen und mit wem, aber ein Palästinenser-Staat ist heute im Prinzip schon akzeptiert, sogar von den Hardlinern bei uns.
Simon: Trotzdem: Gerade wenn man an George Bush denkt. Der hat sich ja zu Beginn seiner Amtszeit demonstrativ aus dem Palästina-Konflikt herausgehalten, was der Sache ja auch nicht sehr genutzt hat. Jetzt hat man ein bisschen den Eindruck, die neue Regierung gehe noch um so härter um mit Israel. Ist das wirklich ein falscher Eindruck?
Primor: Nein, das ist kein falscher Eindruck, überhaupt nicht. Tatsächlich, wie Sie sagen, war die neue amerikanische Regierung, die Bush-Regierung, dem Nahen Osten gegenüber ganz gleichgültig. Die sagten, sie wollten die Politik Clintons, also die Politik des Vorgängers, zunächst nicht fortsetzen, weil es tatsächlich die Politik der anderen Partei war und zweitens, weil diese Politik gescheitert war. Sie konnten so gleichgültig bleiben, solange sie davon ausgegangen sind, dass amerikanische Interessen im Nahen Osten nicht betroffen waren, und so war es auch. Heute sieht es aber ganz anders aus. Heute geht es um amerikanische Interessen, und die Amerikaner wissen, dass ohne Ruhe im Nahen Osten sie den Krieg gegen Weltterror, gegen Terror des islamischen Fundamentalismus nicht richtig führen können, weil Bin Laden sehr viel Sympathie in der arabischen Welt genießt und weil Arafat als Symbol für ihn dient. Also braucht Bush Arafat an seiner Seite und braucht Ruhe im Nahen Osten.
Simon: Wie sehen Sie das: Wenn immer mehr Politiker in den Vereinigten Staaten und in Europa, wie Sie schon ansprachen, glauben, dass eine der besten Waffen gegen den Terrorismus darin liegt, den Palästinensern zu mehr Rechten und dabei auch zu einem Staat, der auch den Namen verdient, zu verhelfen, ist das eine Chance für Israel oder eher eine Bedrohung?
Primor: Zunächst würde ich sagen, dass die Welt, der Westen und Amerika Arafat und das palästinensische Problem nicht als Hauptproblem in diesem Krieg des Terrors betrachten, aber als eine offene Wunde, die die Massen in der arabischen Welt aufwühlt und die in diesem Krieg stört. Der Grund des Terrors ist nicht das Palästinenser-Problem; das weiß jeder. Ob das für uns günstig sein wird oder nicht? Ich gehe schon davon aus, dass es für uns günstig sein wird, und zwar aus zwei Gründen: Wenn die Amerikaner und der Westen im allgemeinen sich zunächst gegen Terror mobilisiert, ist das für Israel an sich schon eine gute Sache. Wenn sie Druck auf die beiden Kontrahenten im Nahen Osten ausüben, damit sie endlich ein bisschen mehr Mut finden und wieder mal miteinander verhandeln, dann ist dies sowohl für die Palästinenser als auch für uns günstig.
Simon: Sie sprechen die Verhandlungen an, sagten aber auch eingangs, dass im Augenblick erst mal die israelische Regierung sich beim Volk auch ein wenig rückversichern muss in dieser Zeit der Unsicherheit. Was halten Sie denn persönlich davon, dass zum Beispiel der Premier Scharon Arafat persönlich immer verantwortlich macht für jeden Mord, für jeden Anschlag, wie jetzt auch nach dem Mord an Tourismusminister Seevi, oder ihm auch die Benutzung des Flughafens in Gaza verbietet, also auf Palästinenser-Gebiet. Bringt so eine Art von Demontage irgend etwas?
Primor: Er hat ja kein anderes Ziel. Aus innenpolitischen Gründen muss er zeigen, dass er den Feind bekämpft und etwas gegen den Feind tut, und der einzige offensichtliche Feind ist Arafat. Darüber hinaus trägt Arafat tatsächlich die Verantwortung über die palästinensischen Gebiete, über die autonomen Gebiete. Insofern sagt man ihm, sind sie verantwortlich, sind sie das Staatsoberhaupt in diesen Gebieten, dann müssen sie etwas tun und diese Terroristen bekämpfen.
Simon: Ja, aber in einer Situation, in der er selber destabilisiert wird und keine Mittel hat, wie soll er dann die verschiedenen Fraktionen, die alle nur mit Mühe Ruhe geben, zusammenhalten?
Primor: Das kann er schon. Er kann es schon, wenn er es will, und das hat er mehrfach bewiesen. Er hat Streitkräfte zur Verfügung, er hat verschiedene Sicherheitsorganisationen zur Verfügung, er hat auch die Unterstützung seiner Bevölkerung. Wenn er will kann er es. Manchmal tut er es, manchmal nicht. Jetzt ist die richtige Zeit, um Ruhe in seinem Lager zu erzwingen, wenn er tatsächlich mit uns sprechen will und wenn er dem amerikanischen Druck nachgeben will.
Simon: Trotzdem noch einmal zurück zum Aspekt der Demütigung. Wenn man Arafat demütigt, dann denkt man ja, irgendwann kommt vielleicht etwas besseres. Was kann denn besseres für die Israelis kommen, wenn nicht Arafat?
Primor: Ich glaube nicht, dass wir viel davon halten, Arafat zu ersetzen. Wenn Arafat nicht mehr da ist, dann kommt ein anderer Arafat. Das ist nicht die Frage.
Simon: Man hält ihn also nur klein? Man will ihn nicht ersetzen?
Primor: Es ist nicht so. Man verlangt von ihm Ruhe. Die Regierung muss von dem Gegner Ruhe verlangen, das Ende des Terrors verlangen. Das muss sie auch aus innenpolitischen Gründen und auch, weil wir tatsächlich Ruhe haben wollen. Wenn wir mit dem Gegner sprechen wollen, dann ist es ein bisschen kompliziert - das müssen Sie gestehen -, mit einem Gegner zu sprechen, während Terroranschläge auf uns verübt werden. Das ist ein Minimum. Darauf muss man Rücksicht nehmen. Man kann verstehen, dass Arafat nicht jeglichen Terror beseitigen kann, aber bemühen soll er sich. Er soll ja zeigen, dass er etwas dagegen tut oder versucht, etwas dagegen zu tun.
Simon: Auf diese berechtigte israelische Forderung reagieren Palästinenser wie zuletzt auch der Sprecher von Arafat damit, dass in einem solchen Klima der Aggression, das auch von der israelischen Regierung geschürt werde, es quasi unmöglich sei, alle die Ungeduldigen und Unzufriedenen in Ruhe zu halten?
Primor: Deshalb sage ich, vielleicht ist es tatsächlich nicht möglich, aber zumindest soll man es versuchen. Unsere Regierung würde sich damit abfinden, wenn sie den Beweis dafür hat, dass Arafat tatsächlich alle Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, dazu benutzt, den Terroristen das Handwerk zu legen, dass die Palästinenser sich dazu bemühen, nicht dass sie unbedingt immer erfolgreich sind. Das tun sie ab und zu, nicht immer; jetzt haben sie es nicht getan.
Simon: Die Mehrheit der Israelis - das ist in den letzten Monaten immer deutlicher geworden - ist die ständige Bedrohung, die Unsicherheit, die Selbstmordanschläge überaus leid. Verständlicherweise ist das Verständnis für die Situation der Palästinenser doch sehr geschrumpft. Die Regierung schürt im Augenblick diese Stimmung. Meine Frage: Kann man die Wahlen, kann man die Bevölkerung in Israel im Augenblick in dieser aufgeheizten Situation nur noch so gewinnen?
Primor: Ich glaube nicht, dass die Regierung diese Stimmung in dieser Situation schürt. Es gibt manche Politiker, die das tun.
Simon: Der Premier!
Primor: Ich würde nicht sagen, dass dies die Politik der Regierung ist. Die Regierung hat in den letzten Tagen den Palästinensern eher Zugeständnisse gemacht, ganz schüchtern, aber dennoch hat sie begonnen, Zugeständnisse zu machen. Ich glaube, was für diese Stimmung in Israel verantwortlich ist sind tatsächlich die Terroranschläge. Wenn immer wieder Terroranschläge verübt werden, in Israel, nicht unbedingt in den besetzten Gebieten, nicht in den Siedlungen, sondern in den Städten in Israel, dann kann man, dann darf man nicht überrascht sein, dass so eine Stimmung bei uns herrscht. Ich glaube, dass die beiden Seiten tatsächlich ein bisschen mehr Zurückhaltung zeigen müssen, und das ist auch möglich. Ich glaube, dass dies genau das Ziel der Amerikaner heute ist.
Simon: Können Sie sich vorstellen, dass die Bevölkerung, die ja zurecht, wie Sie gerade sagten, verunsichert ist und alles leid ist, überhaupt mitzieht, wenn man jetzt wieder mehr in Richtung Friedensgespräche geht?
Primor: Ja, vollkommen bin ich davon überzeugt. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass die Bevölkerung bei uns tatsächlich den Frieden haben will, zu Zugeständnissen bereit ist, sobald sie davon ausgeht, dass sie auch Sicherheit bekommt. Erst dann, nicht vorher. Wenn die Bevölkerung meint, dass man ihr jetzt in einer glaubwürdigen Art und Weise die Sicherheit gewährleisten kann, dann wird sie sofort umkippen und nicht nur die Friedensgespräche akzeptieren, sondern auch echte Zugeständnisse hinnehmen.
Simon: Das war Avi Primor, lange Jahre Botschafter Israels in der Bundesrepublik. - Vielen Dank für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio
Simon: Herr Primor, ausgerechnet in dieser Situation üben die Vereinigten Staaten den heftigsten Druck seit langem auf die israelische Regierung aus, mit den Palästinensern wieder ins Gespräch zu kommen. Wie lange kann sich die Regierung in Jerusalem dem noch verweigern?
Primor: Sie kann es nicht. Ich glaube nicht, dass die Regierung in Jerusalem sich verweigern kann. Wenn die Amerikaner tatsächlich die Mittel, die ihnen zur Verfügung stehen, um Druck auf Israel auszuüben, benutzen, dann kann die israelische Regierung gar nichts tun und muss sich dem beugen. Vielleicht wird es noch ein paar Tage dauern, weil die Regierung der israelischen Bevölkerung zeigen will, dass sie auch etwas tut, nachdem man den Minister ermordet hat, aber im Grunde genommen kann sie sich nicht verweigern.
Simon: Sie sagten gerade, wenn die US-Regierung tatsächlich die Mittel benutzt, die ihr zur Verfügung stehen. Klingt das so ein bisschen, als dass dies bis jetzt eher ein demonstratives Zeichen von den USA an die arabische Welt war, dass man auch in Sachen Palästina sich engagiere?
Primor: Das könnte der Fall sein. Das weiß man jetzt noch nicht. Aber so war es bis heute. Ich meine jahrzehntelang hat man uns ab und zu erzählt, dass die Amerikaner Druck auf uns ausüben würden, dass sie wütend sein sollten und dass sie unzufrieden mit der Regierung, mit der israelischen Politik wären, aber in der Tat haben sie nie wirklich Druck auf uns ausgeübt, bis heute noch nie. Jetzt könnte es sein, dass sie es anders tun, weil es um amerikanische Interessen geht. Das könnte anders sein. Ob es aber tatsächlich anders ist, das wissen wir noch nicht.
Simon: Sie sehen also auch nicht in den Äußerungen zum Beispiel des Präsidenten Bush, der von einem Palästinenser-Staat gesprochen hat, wohl gemerkt nur gesprochen, irgendeinen Hinweis?
Primor: Nein. Palästinenser-Staat ist heute schon kein Tabu mehr. Sogar Scharon, der Hardliner, hat schon zweimal in den letzten zwei Wochen von einem Palästinenser-Staat gesprochen. An sich bedeutet das gar nichts. Die Frage ist nur, unter welchen Bedingungen und in welchen Grenzen und mit wem, aber ein Palästinenser-Staat ist heute im Prinzip schon akzeptiert, sogar von den Hardlinern bei uns.
Simon: Trotzdem: Gerade wenn man an George Bush denkt. Der hat sich ja zu Beginn seiner Amtszeit demonstrativ aus dem Palästina-Konflikt herausgehalten, was der Sache ja auch nicht sehr genutzt hat. Jetzt hat man ein bisschen den Eindruck, die neue Regierung gehe noch um so härter um mit Israel. Ist das wirklich ein falscher Eindruck?
Primor: Nein, das ist kein falscher Eindruck, überhaupt nicht. Tatsächlich, wie Sie sagen, war die neue amerikanische Regierung, die Bush-Regierung, dem Nahen Osten gegenüber ganz gleichgültig. Die sagten, sie wollten die Politik Clintons, also die Politik des Vorgängers, zunächst nicht fortsetzen, weil es tatsächlich die Politik der anderen Partei war und zweitens, weil diese Politik gescheitert war. Sie konnten so gleichgültig bleiben, solange sie davon ausgegangen sind, dass amerikanische Interessen im Nahen Osten nicht betroffen waren, und so war es auch. Heute sieht es aber ganz anders aus. Heute geht es um amerikanische Interessen, und die Amerikaner wissen, dass ohne Ruhe im Nahen Osten sie den Krieg gegen Weltterror, gegen Terror des islamischen Fundamentalismus nicht richtig führen können, weil Bin Laden sehr viel Sympathie in der arabischen Welt genießt und weil Arafat als Symbol für ihn dient. Also braucht Bush Arafat an seiner Seite und braucht Ruhe im Nahen Osten.
Simon: Wie sehen Sie das: Wenn immer mehr Politiker in den Vereinigten Staaten und in Europa, wie Sie schon ansprachen, glauben, dass eine der besten Waffen gegen den Terrorismus darin liegt, den Palästinensern zu mehr Rechten und dabei auch zu einem Staat, der auch den Namen verdient, zu verhelfen, ist das eine Chance für Israel oder eher eine Bedrohung?
Primor: Zunächst würde ich sagen, dass die Welt, der Westen und Amerika Arafat und das palästinensische Problem nicht als Hauptproblem in diesem Krieg des Terrors betrachten, aber als eine offene Wunde, die die Massen in der arabischen Welt aufwühlt und die in diesem Krieg stört. Der Grund des Terrors ist nicht das Palästinenser-Problem; das weiß jeder. Ob das für uns günstig sein wird oder nicht? Ich gehe schon davon aus, dass es für uns günstig sein wird, und zwar aus zwei Gründen: Wenn die Amerikaner und der Westen im allgemeinen sich zunächst gegen Terror mobilisiert, ist das für Israel an sich schon eine gute Sache. Wenn sie Druck auf die beiden Kontrahenten im Nahen Osten ausüben, damit sie endlich ein bisschen mehr Mut finden und wieder mal miteinander verhandeln, dann ist dies sowohl für die Palästinenser als auch für uns günstig.
Simon: Sie sprechen die Verhandlungen an, sagten aber auch eingangs, dass im Augenblick erst mal die israelische Regierung sich beim Volk auch ein wenig rückversichern muss in dieser Zeit der Unsicherheit. Was halten Sie denn persönlich davon, dass zum Beispiel der Premier Scharon Arafat persönlich immer verantwortlich macht für jeden Mord, für jeden Anschlag, wie jetzt auch nach dem Mord an Tourismusminister Seevi, oder ihm auch die Benutzung des Flughafens in Gaza verbietet, also auf Palästinenser-Gebiet. Bringt so eine Art von Demontage irgend etwas?
Primor: Er hat ja kein anderes Ziel. Aus innenpolitischen Gründen muss er zeigen, dass er den Feind bekämpft und etwas gegen den Feind tut, und der einzige offensichtliche Feind ist Arafat. Darüber hinaus trägt Arafat tatsächlich die Verantwortung über die palästinensischen Gebiete, über die autonomen Gebiete. Insofern sagt man ihm, sind sie verantwortlich, sind sie das Staatsoberhaupt in diesen Gebieten, dann müssen sie etwas tun und diese Terroristen bekämpfen.
Simon: Ja, aber in einer Situation, in der er selber destabilisiert wird und keine Mittel hat, wie soll er dann die verschiedenen Fraktionen, die alle nur mit Mühe Ruhe geben, zusammenhalten?
Primor: Das kann er schon. Er kann es schon, wenn er es will, und das hat er mehrfach bewiesen. Er hat Streitkräfte zur Verfügung, er hat verschiedene Sicherheitsorganisationen zur Verfügung, er hat auch die Unterstützung seiner Bevölkerung. Wenn er will kann er es. Manchmal tut er es, manchmal nicht. Jetzt ist die richtige Zeit, um Ruhe in seinem Lager zu erzwingen, wenn er tatsächlich mit uns sprechen will und wenn er dem amerikanischen Druck nachgeben will.
Simon: Trotzdem noch einmal zurück zum Aspekt der Demütigung. Wenn man Arafat demütigt, dann denkt man ja, irgendwann kommt vielleicht etwas besseres. Was kann denn besseres für die Israelis kommen, wenn nicht Arafat?
Primor: Ich glaube nicht, dass wir viel davon halten, Arafat zu ersetzen. Wenn Arafat nicht mehr da ist, dann kommt ein anderer Arafat. Das ist nicht die Frage.
Simon: Man hält ihn also nur klein? Man will ihn nicht ersetzen?
Primor: Es ist nicht so. Man verlangt von ihm Ruhe. Die Regierung muss von dem Gegner Ruhe verlangen, das Ende des Terrors verlangen. Das muss sie auch aus innenpolitischen Gründen und auch, weil wir tatsächlich Ruhe haben wollen. Wenn wir mit dem Gegner sprechen wollen, dann ist es ein bisschen kompliziert - das müssen Sie gestehen -, mit einem Gegner zu sprechen, während Terroranschläge auf uns verübt werden. Das ist ein Minimum. Darauf muss man Rücksicht nehmen. Man kann verstehen, dass Arafat nicht jeglichen Terror beseitigen kann, aber bemühen soll er sich. Er soll ja zeigen, dass er etwas dagegen tut oder versucht, etwas dagegen zu tun.
Simon: Auf diese berechtigte israelische Forderung reagieren Palästinenser wie zuletzt auch der Sprecher von Arafat damit, dass in einem solchen Klima der Aggression, das auch von der israelischen Regierung geschürt werde, es quasi unmöglich sei, alle die Ungeduldigen und Unzufriedenen in Ruhe zu halten?
Primor: Deshalb sage ich, vielleicht ist es tatsächlich nicht möglich, aber zumindest soll man es versuchen. Unsere Regierung würde sich damit abfinden, wenn sie den Beweis dafür hat, dass Arafat tatsächlich alle Mittel, die ihm zur Verfügung stehen, dazu benutzt, den Terroristen das Handwerk zu legen, dass die Palästinenser sich dazu bemühen, nicht dass sie unbedingt immer erfolgreich sind. Das tun sie ab und zu, nicht immer; jetzt haben sie es nicht getan.
Simon: Die Mehrheit der Israelis - das ist in den letzten Monaten immer deutlicher geworden - ist die ständige Bedrohung, die Unsicherheit, die Selbstmordanschläge überaus leid. Verständlicherweise ist das Verständnis für die Situation der Palästinenser doch sehr geschrumpft. Die Regierung schürt im Augenblick diese Stimmung. Meine Frage: Kann man die Wahlen, kann man die Bevölkerung in Israel im Augenblick in dieser aufgeheizten Situation nur noch so gewinnen?
Primor: Ich glaube nicht, dass die Regierung diese Stimmung in dieser Situation schürt. Es gibt manche Politiker, die das tun.
Simon: Der Premier!
Primor: Ich würde nicht sagen, dass dies die Politik der Regierung ist. Die Regierung hat in den letzten Tagen den Palästinensern eher Zugeständnisse gemacht, ganz schüchtern, aber dennoch hat sie begonnen, Zugeständnisse zu machen. Ich glaube, was für diese Stimmung in Israel verantwortlich ist sind tatsächlich die Terroranschläge. Wenn immer wieder Terroranschläge verübt werden, in Israel, nicht unbedingt in den besetzten Gebieten, nicht in den Siedlungen, sondern in den Städten in Israel, dann kann man, dann darf man nicht überrascht sein, dass so eine Stimmung bei uns herrscht. Ich glaube, dass die beiden Seiten tatsächlich ein bisschen mehr Zurückhaltung zeigen müssen, und das ist auch möglich. Ich glaube, dass dies genau das Ziel der Amerikaner heute ist.
Simon: Können Sie sich vorstellen, dass die Bevölkerung, die ja zurecht, wie Sie gerade sagten, verunsichert ist und alles leid ist, überhaupt mitzieht, wenn man jetzt wieder mehr in Richtung Friedensgespräche geht?
Primor: Ja, vollkommen bin ich davon überzeugt. Ich bin hundertprozentig davon überzeugt, dass die Bevölkerung bei uns tatsächlich den Frieden haben will, zu Zugeständnissen bereit ist, sobald sie davon ausgeht, dass sie auch Sicherheit bekommt. Erst dann, nicht vorher. Wenn die Bevölkerung meint, dass man ihr jetzt in einer glaubwürdigen Art und Weise die Sicherheit gewährleisten kann, dann wird sie sofort umkippen und nicht nur die Friedensgespräche akzeptieren, sondern auch echte Zugeständnisse hinnehmen.
Simon: Das war Avi Primor, lange Jahre Botschafter Israels in der Bundesrepublik. - Vielen Dank für das Gespräch!
Link: Interview als RealAudio