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Der Traum von der Heilung

Auf der Welt-AIDS-Konferenz haben Wissenschaftler das Ziel ausgegeben, die Krankheit zu heilen. Man brauche ein festes Ziel vor Augen, sagt Martin Winkelheide. Allerdings wisse man, dass es noch Jahre dauern kann, bis AIDS tatsächlich heilbar ist.

Martin Winkelheide im Gespräch mit Monika Seynsche | 23.07.2012
    Monika Seynsche: Bislang gilt: Wer sich einmal mit HIV angesteckt hat, wird das Virus nicht mehr los. Mit Hilfe von AIDS-Medikamenten lässt es sich allenfalls kontrollieren. Jetzt aber setzen Forscher auf der Welt-AIDS-Konferenz ein neues Ziel: Sie wollen AIDS heilen und haben dafür ein großes Aufgabenpaket zusammengestellt. Mein Kollege Martin Winkelheide ist vor Ort in Washington und aus dem Studio zugeschaltet. Herr Winkelheide, AIDS zu heilen, ist das nicht ein sehr optimistisches Ziel?

    Martin Winkelheide: Ja, es ist sehr optimistisch, weil man eigentlich bislang immer gesagt hat: Das geht nicht. Wenn das Virus einmal im Körper drin ist, bekommt man es nicht heraus. Es gibt auch das Problem, dass das Virus sich in Zellen zurückzieht und in ihnen schläft, sich also nicht weiter vermehrt. Aber sobald man Medikamente absetzt, das Virus eben wieder hochkommt. Und man darf das jetzt auch nicht so verstehen, dass die Wissenschaftler jetzt irgendwie übermütig geworden sind, sondern sie haben so etwas wie ein strategisches Papier vorgelegt. Das ist so vergleichbar, wie wenn man sagen würde, wir wollen auf dem Mond eine Forschungsstation errichten.

    Da weiß man auch, das macht man nicht in fünf Jahren, das macht man nicht in zehn Jahren. So ähnlich ist das hier. Man sagt, man braucht eben das feste Ziel vor Augen, dass man AIDS oder HIV-Infektion zu einer heilbaren Erkrankung macht. Auch angesichts der Notwendigkeit, weil man einfach sieht, wenn sich immer mehr Menschen anstecken und man will sie mit Medikamenten versorgen, dann wird das auf Dauer, auch wenn die Medikamentenpreise immer weiter in den Keller gehen, so teuer, dass man es mit der Weltgemeinschaft gar nicht wird leisten können. Also es bleibt auch sozusagen gar nichts anderes üblich, als AIDS zu einer heilbaren Krankheit zu machen.

    Seynsche: Jetzt gibt es aber bislang ja erst einen einzigen Menschen, der als von HIV geheilt gilt: der sogenannte "Berliner Patient", der seit drei Jahren ohne Medikamente zurecht kommt. Zeigt dieser Patient, dass Heilung möglich ist?

    Winkelheide: Ja, das ist sozusagen ein Hinweis darauf, dass es im Prinzip machbar sein müsste. Nun muss man sagen, bei diesem "Berliner Patienten" war es so, dass die Heilung ein glücklicher Nebeneffekt einer gelungenen Krebsbehandlung gewesen ist. Das heißt, bei diesem Patienten ist das komplette Immunsystem vorher zerstört worden mit einer Chemotherapie und einer Strahlentherapie. Und er hat eben dann Blutstammzellen von einem Spender bekommen und die Ärzte hatten die Blutstammzellen so geschickt ausgewählt, dass sie unempfindlich sind, also dass HI-Viren gar nicht in sie hineinkommen. Die Tür war sozusagen gar nicht da, durch die das Virus normalerweise durchkommt.

    Man weiß, man kann das mit anderen HIV-Infizierten nicht machen, das Risiko in Folge dieser Behandlung zu sterben wäre einfach viel zu hoch. Aber man versucht diese Effekt zu imitieren und hofft, da auch die passenden Möglichkeiten zu finden. Es werden Gen-Therapien entwickelt, bei denen man aus den Blutstammzellen diese Tür sozusagen auch entfernt. Das ist auch an Menschen schon ausprobiert worden, aber man ist sehr sehr vorsichtig und manipuliert nicht das gesamte Immunsystem, sondern nur einige wenige Zellen, um zu gucken, wie die sich verhalten. Denn wenn man Blutstammzellen manipuliert und das hätte negative Effekte, dann kann es passieren, dass man die eben nicht wieder gutmachen kann.

    Seynsche: Sie sagen, man will das Immunsystem vor HIV schützen. Ist das der einzige denkbare Weg?

    Winkelheide: Es ist ein denkbarer Weg. Der andere Weg ist, dass man sich genauer anguckt, wie Patienten es schaffen, über lange Zeit das Virus zu kontrollieren, ohne Medikamente einnehmen zu müssen. Sogenannte Elite Controller werden daher schon seit zehn Jahren ungefähr untersucht. Man macht das sehr systematisch. Es dauert aber sehr lange, bis man da greifbare Ergebnisse hat. Man guckt vor allen Dingen nach genetischen Besonderheiten und Auffälligkeiten, weil man das Gefühl hat, möglicherweise können wir das Immunsystem wie wir das heute kennen noch gar nicht so genau beschreiben, dass wir auch tatsächlich die entscheidenden Faktoren finden, die den gewissen Unterschied machen, was es dem einen Menschen ermöglicht, das Virus zu kontrollieren, ohne Medikamente zu nehmen und der andere, der eben ganz normal krank wird durch das Virus.

    Seynsche: Was ist denn das größte Hindernis auf dem Weg zur Heilung? Also, warum ist es so schwer, diese Krankheit zu heilen.

    Winkelheide: Das größte Problem ist, dass das Virus sich einerseits in die Zellen einschreibt, also seine genetische Informationen in die Zellen einbaut und zwar fest einbaut. Und das andere ist, dass es zwar sich rasant normalerweise im Körper ausbreitet, zumindest in der Anfangsphase der Infektion, dass es aber, sobald es eben die Infektion gestartet hat, sich auch Zellen aussucht, in denen sich das Virus nicht weiter vermehrt. Es nimmt einen Ruhestatus ein. Aus diesem Ruhestatus kann es aber jederzeit wieder wach werden. Man merkt das eben auch bei Patienten, die Medikamenten einmal absetzen, zum Beispiel, dass das Virus ganz schnell wieder hoch kommt. Und hier versucht man eben Wege zu finden, wie man versteckte Viren aufstöbern kann, wie man sie aktivieren kann und so eben dafür sorgen kann, dass sie auch wieder angreifbar werden für Medikamente.

    Seynsche: Vielen Dank. Das war mein Kollege Martin Winkelheide live von der Welt-AIDS-Konferenz in Washington.