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Rezept für einen Aids-Impfstoff

Trotz Fortschritten in der Behandlung von Aids: Die Suche nach einer Schutzimpfung gegen die Immunkrankheit dauert an. Angesichts der Rückschläge sind seit mehr als zwei Jahren keine Aids-Impfstoffe mehr an Menschen getestet worden. Das könnte sich bald schon ändern.

Von Martin Winkelheide | 05.01.2012
    Dan Barouch von der Harvard Medical School in Boston sagt, er sei optimistischer als je zuvor. Das ist keineswegs selbstverständlich, denn in den letzten 30 Jahren hat es mehr Rückschläge als Erfolge gegeben bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das AIDS-Virus. Und einige Forscher waren unsicher geworden, ob es überhaupt jemals einen Durchbruch geben kann. Aber Barouch ist sich seiner Sache sehr sicher:

    "Jetzt zeigt sich: Es ist möglich, einen sicheren und effektiven Impfstoff zu entwickeln. Aber wir können nicht genau sagen, wie lange es dauern wird, bis es ihn gibt."
    In Tierversuchen an Rhesusaffen wollte Barouch einige ganz grundsätzliche Fragen klären: Welche Effekte muss ein Impfstoff haben, damit er wirklich vor einer Ansteckung schützen kann? Geprüft wurden gleich mehrere unterschiedliche vom Pharmakonzern Crucell entwickelte experimentelle Impfstoffe gegen SIV, ein dem menschlichen HI-Virus Ähnliches Affen-Virus.

    "Diese neuen Impfstoffe sind noch nie zuvor im Tierversuch getestet worden. Sie besitzen einige Unterschiede und vielleicht auch Vorteile gegenüber herkömmlichen Impfstoffen. Denn sie regen die Bildung von Abwehrmolekülen, also Antikörpern, an und sie sorgen gleichzeitig dafür, dass viele spezielle Immunzellen, sogenannte T-Zellen, gebildet werden. Wir haben dann geprüft, ob und wie geimpfte Tiere vor einer Ansteckung geschützt sind und ob ihr Körper im Falle einer Ansteckung in der Lage ist, die Infektion unter Kontrolle zu halten."
    Die Schutzwirkung testete Barouch, indem er geimpften und ungeimpften Affen hohe Dosen von SI-Viren als Einlauf in den Darm verabreichte. Die Überlegung: Eine Impfung muss ihre Schutzwirkung vor allem in den Schleimhäuten entfalten. Denn Menschen stecken sich in der Regel über ungeschützten Geschlechtsverkehr mit HIV an, und die Viren nutzen die Schleimhäute im Genitaltrakt oder im Darm als Eintrittspforte.
    Zudem konfrontierte er die Affen mit einem ganzen Cocktail verschiedener SI-Viren. Das Szenario sollte auch in diesem Punkt ein möglichst realistisches sein: Das AIDS-Virus ist ein wandlungsfähiges Virus. Es existieren zahlreiche Varianten.

    "Es ist sehr wahrscheinlich, dass Menschen mit Viren konfrontiert werden, die sich unterscheiden von dem Virusstamm, der Grundlage war für den Impfstoff. Genau diese Vielfalt wollten wir in unserem Modell berücksichtigen. Wir haben gesehen, dass die Impfstoffe trotz allem in einem gewissen Maße vor einer Ansteckung schützen und den Körper in die Lage versetzen, eine Infektion zu kontrollieren."

    Die effektivsten von Barouch getesteten Impfstoffe senkten bei den Rhesus-Affen das Ansteckungsrisiko um 80 bis 83 Prozent. Von einem wirklich effektiven Impfstoff würde man eine Schutzwirkung von über 90 Prozent erwarten. Dennoch ist es ein Fortschritt. Der letzte an Menschen getestete experimentelle Impfstoff hatte eine Schutzwirkung von etwas über 30 Prozent.

    Wichtiger aber ist, dass sich aus Barouchs Experimenten so etwas wie ein Rezept für einen wirksamen AIDS-Impfstoff ableiten lässt.
    Klar ist: Eine Impfdosis allein reicht nicht aus. Es muss zumindest zwei Mal geimpft werden. Als besonders effektiv haben sich Impfstoffe erwiesen, die Adeno-Viren oder Adeno-Viren und Vogelpocken-Viren als Transportmittel für die Virus-Erbgut-Stücke nutzen und gleichzeitig das Immunsystem ankurbeln.

    Der Impfstoff sollte sich gegen die Virus-Proteine Gag und Pol richten außerdem muss er das Immunsystem unbedingt in die Lage versetzen, die Bausteine der Virus-Hülle zu erkennen und zu attackieren.
    Es sollten jetzt wieder AIDS-Impfstoffe – nicht mehr nur an Rhesus Affen – sondern auch an Menschen getestet werden. Davon ist Dan Barouch von der Harvard Medical School überzeugt. Denn nur so lässt sich mit Sicherheit sagen, ob die Rezeptur für einen AIDS-Impfstoff tatsächlich die richtige ist.