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Der Vergleich Gerhard Schröders mit Kaiser Wilhelm II.

Meurer: Noch eine Stunde, dann erklingt im Bundestag die Glocke des Bundestagspräsidenten und Kanzler Schröder wird seine mit Spannung erwartete Regierungserklärung zum Thema Irak abgeben. Die Mehrheit der Deutschen spricht sich weiter klar gegen einen Krieg aus, aber dafür wird der Kanzler zur Zeit selbst von der liberalen Presse hierzulande hart rangenommen. Er isoliere Deutschland, die Blauhelminitiative vom Wochenende sei ein diplomatisches Desaster gewesen, und jetzt wird der Kanzler auch noch mit Kaiser Wilhelm II. verglichen. Mit Kaiser Wilhelm, der die Deutschen eisern 1914 zu den Waffen gerufen hat:

    Wilhelm II.: "Deutsches Volk, es muss denn das Schwert nun entscheiden. Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen! Noch nie ward Deutschland überwunden, wenn es einig war".

    Meurer: Auf zu den Waffen, sagte Kaiser Wilhelm II., denn mitten im Frieden überfällt uns der Feind. So die Kriegsansprache von Kaiser Wilhelm II. im Jahr 1914. Am Telefon begrüße ich nun den Bielefelder Historiker Hans-Ulrich Wehler. Guten Morgen, Herr Wehler.

    Wehler: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Ausgerechnet ein SPD-Kanzler wird mit Kaiser Wilhelm II. verglichen. Halten Sie das für einen kompletten Quatsch?

    Wehler: Ich halte es nicht für kompletten Quatsch. In gewisser Hinsicht ist es sogar eine Verharmlosung. Auf jeden Fall hinkt der Vergleich, denn Wilhelm II. stolpert wie ein tumber Tor in seine Probleme hinein, wenn er Interviews gab. Schröder dagegen kennt die Medienwelt und ist hier groß geworden. Wilhelm II. prahlte ohne guten Anlass. Schröder dagegen distanziert sich kalkuliert, um seinen Popularitätsverlust in der Innenpolitik zu stoppen. Das ganze Problem hängt damit zusammen, dass, als sich im Frühsommer der amerikanische Präventivschlag gegen den Irak abzeichnete, ein europäischer Weg - kein deutscher Sonderweg - geboten war, um Kritik an der Washingtoner Entscheidung zu üben, die nun zum ersten Mal mit der neuen Doktrin vorgingen, dass man auch mit Präventivschlägen potenzielle Gegner ausschalten können sollte. Dagegen sprachen in der Tat lauter gute Gründe: Der Irak wird unter der Militärschlacht zerfallen. Es gibt keine Opposition, die das Land übernehmen kann. Es wird ein Kurdenstaat im Norden entstehen. Israel wird womöglich involviert. Die arabischen Massen werden fanatisiert und überhaupt werden Muslime in aller Welt gegen Amerika auf die Barrikaden gehen.

    Meurer: Nur um zu dem Vergleich zurückzukehren: Wenn der Kanzler die Außenpolitik von der Innenpolitik beeinflussen lässt, wenn er von einem deutschen Weg spricht, ist das schon Wilhelminismus?

    Wehler: Nein, das würde ich nicht sagen. Hier liegen völlig andere politische Bedingungen vor, aber das Quäntchen Wahrheit, das in dem Vergleich steckt, bezieht sich auf den Stil, die Sprache und die Form, in der jetzt - wie ich auch meine - vitale deutsche Interessen verletzt werden. Diese gebieten es, mit der einzigen verbliebenen, glücklicherweise einer westlichen Weltmacht, mit der man seit 50 Jahren, wie man so umgangsprachlich sagt, politisch befreundet ist, möglichst eng zu kooperieren. Da muss man sozusagen jedes Wort auf die Goldwaage legen. Und nachdem der Wahlkampf mit diesem unseligen deutschen Weg und dem großen Wasser gewonnen worden war, sprachen alle sachlichen Argumente dafür, jetzt sozusagen die Wahlkampf-Rhetorik ad acta zu legen, sich zurückzuhalten und dem Außenminister einen gewissen Spielraum zu überlassen, damit er überhaupt noch kompromissfähig auftreten kann.

    Meurer: Aber der Kanzler spricht ja davon, dass er in Gleichklang mit Paris gehe, dass sich seine Politik mit der von Moskaus Staatspräsident Putin decke. Ist das vergleichbar mit Kaiser Wilhelm, der es sich mit allen Seiten verdorben hat?

    Wehler: Nein, das würde ich natürlich nicht sagen, denn Wilhelm war wegen seiner Alleingänge gefürchtet, obwohl er in dem berühmtesten Skandal, seinem Interview im "Daily Telegraph" der Meinung sein konnte, dass das Auswärtige Amt den Text gegengelesen und gebilligt hatte. Nein, die Konstellation ist schon anders. Aber es wäre eben viel besser gewesen, man hätte von Anfang an die deutschen Bedenken mit den Franzosen abgesprochen und nicht erst in letzter Minute eine Front aufgebaut. Denn Frankreich - Sie entsinnen sich, dass de Gaulle damals aus der NATO ausgetreten ist - hat seit jeher zumindest in Europa den amerikanischen Vormachtanspruch in Frage gestellt. Putin ist ein dubioser Verbündeter. Denn wenn es zum Schwure kommt, wird er vermutlich doch eher das russische Interesse an einer engen Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten seit dem 11. September 2001 verfolgen und im Auge behalten. Also, das ist eine etwas brüchige Allianz. Und, wie gesagt, es kommt auch nicht so sehr darauf an, die Argumente, die gegen einen Präventivschlag sprechen, jetzt in Frage zu stellen. Sondern es geht um die Rhetorik, den Spiegel, die Formen, in der dieser diese deutsche Position immer wieder aufs Neue verteidigt wird.

    Meurer: Um es mal überspitzt zu sagen: "Am deutschen Wesen soll die Welt genesen", hat Kaiser Wilhelm II. gesagt. Gilt das mehr für Bush als für Schröder?

    Wehler: Meine Kritik an der amerikanischen Position beruht ganz wesentlich darauf, - und das kann man an der Sprache von Bush ablesen - , dass in Amerika der Glaube an die eigene Mission, die Welt zu befrieden und in das glückselige Land der Demokratie zu überführen, außerordentlich lebendig ist. Da gibt es in der Tat so etwas wie eine quasireligiöse Heilsgewissheit, dass die Vereinigten Staaten einen Auftrag in der Weltgeschichte haben. Davon sind die Deutschen, nachdem sie sozusagen in zwei verlorenen, totalen Kriegen die Realität des Krieges kennen gelernt haben, weit entfernt.

    Meurer: Der Historiker Hans-Ulrich Wehler in Bielefeld zum Vergleich Gerhard Schröders mit Kaiser Wilhelm II.

    Link: Interview als RealAudio