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"Der Verteidigungsminister ist für alle Aspekte eines Einsatzes zuständig"

"Man kann nur führen, wenn man wirklich über alle Details informiert ist", sagt der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General a.D. Harald Kujat. Dies sei auf allen Führungsebenen so. Gerade bei der Bundeswehr sei Transparenz "wichtig, auch gegenüber der Öffentlichkeit".

Harald Kujat im Gespräch mit Gerd Breker |
    Gerd Breker: Der Verteidigungsausschuss des Bundestages ist zu einer Sondersitzung zur Affäre um die Informationslücke nach dem umstrittenen Luftangriff in Afghanistan zusammengekommen. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg sollte Rede und Antwort stehen, wie es dazu kommen konnte, dass sein Vorgänger, der jetzige Arbeitsminister Franz-Josef Jung, nicht über Angaben der Bundeswehr zu zivilen Opfern informiert war. Konnte er nicht wissen, wollte er nicht wissen, oder hätte er wissen sollen?
    Am Telefon bin ich nun verbunden mit dem ehemaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, mit General a.D. Harald Kujat. Guten Tag, Herr Kujat.

    Harald Kujat: Ich grüße Sie, Herr Breker.

    Breker: Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Die deutschen Soldaten riskieren in Afghanistan ihr Leben, weil der Bundestag sie dort hingeschickt hat. Die Meldungen dieser Tage, die sind für die Soldaten in Afghanistan nicht sonderlich motivierend?

    Kujat: Das kann man wohl so sagen. Die Bundeswehr ist in der Tat eine Parlamentsarmee, die Regierung beantragt ja nur den Einsatz beim Bundestag, beim Parlament und das Parlament entscheidet. Daraus ergeben sich zwei relevante Aspekte. Der eine Aspekt ist der, der jetzt auch in der Diskussion ist, dass natürlich das Parlament, zumindest aber seine Ausschüsse, regelmäßig und ausführlich, umfassend, möchte ich sagen, über die Einsätze informiert werden. Und zum anderen übernimmt damit das Parlament auch die Verantwortung dafür, dass die Soldaten alles erhalten, was sie für ihren Einsatz brauchen, dass sie in der richtigen Anzahl vor Ort sind, dass sie die nötige Ausrüstung und die nötige Ausbildung erhalten, die es ihnen ermöglichen, einmal den Auftrag auszuführen, aber auch ein Höchstmaß an Sicherheit für sie selbst zu gewährleisten. Das sind die Verpflichtungen, die sich daraus ergeben.

    Breker: Bleiben wir mal bei dem ersten Teil dieser Verpflichtungen, der Transparenz, Herr Kujat. Ein Staatssekretär und ein Generalinspekteur haben die Verantwortung übernommen, sie sind gegangen, und der damalige Minister, der versteckt sich hinter Nichtwissen. Auch das ist ein schlechtes Bild.

    Kujat: Nun hat ja gerade der derzeitige Verteidigungsminister erklärt, die Gründe dafür, dass diese beiden Herren gehen, liegen nicht in den Ereignissen selbst, sondern liegen offensichtlich in einer mangelnden Information des derzeitigen Verteidigungsministers. Insofern ist das eine etwas andere Situation. Aber grundsätzlich gilt natürlich, dass der Verteidigungsminister eben nicht nur Minister ist, sondern er ist auch der Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt und damit für alle Aspekte eines solchen Einsatzes zuständig.

    Breker: Und er sollte informiert sein. Der ehemalige Verteidigungsminister Jung hat einen Bericht weitergegeben, so hat er es uns selbst gesagt, ohne ihn zu lesen, und auch das ist in dieser Situation äußerst seltsam. Wenn er Oberst Klein schützen wollte, dann muss man im Nachhinein sagen, so geht das überhaupt nicht.

    Kujat: Dass er den Oberst Klein schützen wollte und dass er einer Vorverurteilung entgegengetreten ist, das, finde ich, ist anerkennenswert. Das gehört sich auch so für den Inhaber der Befehls- und Kommandogewalt. Wie die Zusammenhänge nun sind im Hinblick auf den Bericht, das wissen wir im Augenblick ja noch nicht genau. Er hat zwar gesagt, er hätte ihn nicht gelesen, aber es kann ja durchaus sein, dass ihm die wichtigsten Elemente vorgetragen wurden. Das wissen wir alles nicht. Ganz offenkundig und ganz grundsätzlich muss man, glaube ich, sagen, man kann nur führen, wenn man wirklich über alle Details informiert ist. Das gilt auf allen Führungsebenen, vom Kompaniechef bis zum Divisionskommandeur, aber auch für die Ebenen darüber hinaus.

    Breker: Der neue Verteidigungsminister, Herr Kujat, zu Guttenberg, er muss den Schaden, der jetzt angerichtet wurde, ausbaden. Er will mehr Transparenz dem Parlament geben, der Öffentlichkeit geben. Aber Transparenz in militärischen Fragen, insbesondere wenn man mit Bündnispartnern zusammenarbeitet wie in Afghanistan, hat doch Grenzen?

    Kujat: Es gibt eine ganz einfache Grenze. Die Schlüsselfrage ist: Zunächst mal muss man, glaube ich, sagen, selbstverständlich: Transparenz ist wichtig, auch gegenüber der Öffentlichkeit, nicht nur gegenüber dem Parlament. Wir leben in einer offenen demokratischen Gesellschaft, die Anspruch darauf hat zu erfahren, was ihre Söhne und Töchter in dieser schwierigen Situation, in diesem fremden Land in großer Gefahr tun und ob alles auch wirklich getan wird, damit sie heil wieder nach Hause kommen. Das ist eine ganz wichtige Angelegenheit.
    Aber Grenzen findet diese Informationspflicht natürlich da, wo eine Information die Sicherheit der dort eingesetzten Soldaten gefährden könnte. Aber es gibt natürlich Möglichkeiten, das entsprechend einzugrenzen. Man kann solche Informationen als "Verschlusssachen" einstufen und dann eben nur diejenigen informieren, die wirklich notwendig über diesen Sachverhalt informiert werden müssen. Das ist die entscheidende Grenze, die rote Linie sozusagen. Und darüber hinaus? Wie gesagt, wir sind eine offene Gesellschaft. Es ist sowieso auf Dauer nicht alles geheim zu halten. Also sollte man, glaube ich, konstruktiv mit diesem Begriff "Transparenz" umgehen.

    Breker: Herr Kujat, die Akzeptanz des Afghanistan-Einsatzes bei den Menschen hierzulande, die ist sehr schlecht. Eine Mehrheit ist dagegen. Nun stehen wir kurz davor, dass die Strategie des Westens in Afghanistan noch mal neu sortiert wird. Die Amerikaner wollen mehr Soldaten dort hinschicken, auch wir sollen mehr Soldaten dort hinschicken. Wie kann man das politisch durchsetzbar gestalten?

    Kujat: Ich weiß nicht, ob der Begriff "Strategie" richtig gewählt ist. Wir wissen ja, was wir grundsätzlich in Afghanistan wollen. Wir wollen, dass dieses Land auf eigene Füße gestellt wird, dass es als Land regierungsfähig ist, dass es wirtschaftlich einigermaßen gesundet und dass dort ein sicheres Umfeld herrscht. Die Frage ist, wie man das am besten erreichen kann. Da spielt natürlich die Frage eine Rolle, wie ist das Verhältnis zwischen den militärischen Maßnahmen, die ja darauf abzielen, die Voraussetzungen zu schaffen für eine wirtschaftliche Gesundung, für den staatlichen Wiederaufbau, und wie ist das Verhältnis zu den anderen, zu den wirtschaftlichen Maßnahmen. Da muss man eben sagen, die wirtschaftlichen Maßnahmen, die Investitionen können nur dann greifen, wenn militärisch die entsprechenden Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Ich habe den Eindruck, dass die Vereinigten Staaten diesen Zusammenhang jetzt erkannt haben, seit einiger Zeit erkannt haben, dass sie aber zugleich auch der Auffassung sind, wir müssen jetzt eine größere militärische Anstrengung unternehmen, damit die anderen, die zivilen Maßnahmen so schnell wie möglich greifen und damit sich dieser Einsatz nicht ad infinitum bis ins Unendliche dort hinzieht, sondern dass es überschaubar wird und dass man irgendwann dann auch, sagen wir, eine Übergangsstrategie entwickeln kann, die dann auch wirklich tragfähig ist und die nicht die Afghanen alleine mit ihrem Schicksal lässt. Das ist die gegenwärtige Situation und das bedeutet sicherlich auch, dass die Bündnispartner die zusätzlichen Anstrengungen der Amerikaner entsprechend begleiten müssen, dass man also unter vernünftigen Gesichtspunkten, sage ich einmal, von ihnen auch zusätzliche Anstrengungen erwarten kann, und diese Aufforderung ist ja auch schon an die Deutschen gerichtet worden und das wird sich noch verstärken, sobald in der nächsten Woche der amerikanische Präsident seine Entscheidung getroffen hat.

    Breker: Zusätzliche Anstrengungen, Herr Kujat, das heißt mehr Soldaten?

    Kujat: Das heißt auch mehr Soldaten. Es gibt eine ganze Reihe von anderen Aspekten. Es muss beispielsweise das Verhältnis zwischen Kampftruppen und Unterstützungstruppen zunächst mal zu Gunsten von Kampftruppen verändert werden. Die Soldaten müssen eine bessere, modernere Ausrüstung erhalten, die sie auch in die Lage versetzt, ihren Auftrag zu erfüllen, aber auch ein Maximum an Sicherheit gewährleistet. Aber es muss auch der zahlenmäßige Umfang erhöht werden. Daran werden wir nicht vorbei kommen. Das ist übrigens auch ein Aspekt, der zur Sicherheit der eingesetzten Soldaten beiträgt.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das der ehemalige Generalinspekteur der Bundeswehr, General a.D. Harald Kujat. Herr Kujat, danke für dieses Gespräch.

    Kujat: Ich danke Ihnen!