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Der Wandel der Liebe
Die große Sehnsucht nach dem wahren Gefühl

Die romantische Liebe: Längst wird sie nicht mehr nur in traditioneller Ehe, sondern in lockerer Zweierbeziehung, serieller Monogamie oder gleich mit mehreren Beteiligten gelebt. Vom Tugendkanon zum sachlichen Liebeskonzept: Eine Tagung in Essen hat sich mit der Entwicklung des L-Worts beschäftigt.

Von Barbara Weber | 28.09.2017
    Einen farbenprächtigen Sonnenuntergang erleben Matthias und Louise eng umschlungen am 21.05.2007 am Ufer der Spree im Berliner Stadtteil Treptow. Foto: Arno Burgi
    Die romantische Liebe: Gelebt wird die inzwischen nicht mehr nur in traditioneller Ehe, sondern in lockerer Zweierbeziehung, serieller Monogamie oder gleich mit mehreren Partnern. (dpa/Arno Burgi)
    Universität Duisburg-Essen, Glaspavillon auf dem Campus Essen. Wissenschaftler aus den unterschiedlichsten Disziplinen haben sich versammelt, um Vorträge über die Liebe zu hören und zu diskutieren.
    Historische Beziehungsmodelle, Gegenwartsliteratur aber auch die Liebe als Thema in der Populärkultur werden angesprochen. Zum Beispiel die Ironie in Liebesfilmen wie "Moulin Rouge".
    "Man achte darauf, dass die Köpfe sich jetzt auch in Herzform zueinander neigen."
    … erläutert Dr. Dominik Orth, Literatur- und Medienwissenschaftler an der Bergischen Universität Wuppertal.
    "Mehr Kitsch geht ja eigentlich nicht. Aber die Art und Weise, wie das hier überspitzt und übertrieben wird, ist für mich ein ganz klares Zeichen, dass es ironisiert wird. Der Film ist sich bewusst, dass es natürlich nicht ernst gemeint ist, trotzdem aber im Sinne der Ironie wird es weiter tradiert."
    Ob mit einem Schuss Ironie oder als ernsthaftes Beziehungsdrama - die romantische Liebe wird auch deshalb in der Popkultur weiter tradiert, weil sie immer noch dem in der Gesellschaft idealisierten Modell von Liebe und Partnerschaft am nächsten kommt.
    Dieses Modell einer Liebesbeziehung ist – historisch betrachtet – relativ neu:
    "In der Vormoderne war es so, dass Liebe ein Gefühl war"
    Der Systemtheoretiker Niklas Luhmann hat sich in "Liebe als Passion" mit der Semantik der Liebe im Übergang von traditionellen zu modernen Gesellschaftsformen beschäftigt.
    "In der Vormoderne war es so, dass Liebe ein Gefühl war oder ein Tugendkanon, sollte man vielleicht besser sagen, der mit der Ehe in Verbindung gebracht wurde und der den Menschen normativ vorgegeben wurde, sie sollten einander lieben, das wurde den Eheleuten so aufgegeben, …"
    … sagt Prof. Frank Becker, Historiker an der Universität Duisburg-Essen und gemeinsam mit seiner Frau Dr. Elke Reinhardt-Becker Veranstalter der Tagung.
    "Dieses Gefühl hat sich dann aber in der Romantik verselbstständigt. Es wurde zu einem Freiheitsrecht des Individuums, sein Partner zu wählen aufgrund des Gefühls der Liebe, das sich eben einstellen konnte oder auch nicht. Die Liebe steht also vor der Eheschließung, das ist die Idee der Romantik, wenn es denn überhaupt zur Eheschließung kommen muss, und es ist nicht mehr so, dass erst die Ehe geschlossen wird und die Liebe anschließend praktiziert werden soll."
    Neben dem im 19.Jahrhundert entstandenen romantischen Konzept entwickelte sich in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts ein weiteres, …
    "… das heutzutage in der Gesellschaft und auch in allen medialen Repräsentationen von Liebe sehr relevant ist, das ist das sachliche oder partnerschaftliche Liebeskonzept."
    … sagt Dr. Elke Reinhard-Becker, Germanistin und Literaturwissenschaftlerin an der Universität Duisburg-Essen.
    "Das ist sehr viel kühler. Da geht es nicht darum, den anderen in seiner Gänze wahrzunehmen, sondern man teilt den Alltag und die Freuden der Freizeit miteinander, man sportelt zusammen, man fährt zusammen in den Urlaub, man besucht vielleicht gemeinsam Museen, das Kino, Konzerte, aber der Lebenspartner ist ein Teil des eigenen Lebens. Dann hab ich aber auch noch Karriere, dann hab ich einen großen Freundeskreis, und es ist auch alles sehr viel kühler und nicht auf Ewigkeit angelegt."
    Dieses Konzept ist eng verknüpft mit der Emanzipation der Frau, die sich über eine andere Rolle definiert als die der fürsorglichen Ehegattin.
    "Das ist natürlich ein Konzept, das einhergeht mit der Entwicklung der neuen Frau in den Texten der 20er und 30er Jahre und natürlich auch in der Wirklichkeit der 20er und 30er Jahre. Das war die Frau, die für sich selber steht, die beruflich unabhängig ist, die studiert, die kurze Röcke anzieht, die Hosen anzieht, die Motorrad und Auto fährt, also die Frau, die sich an die Seite des Mannes stellt. Die beiden Geschlechter stehen jetzt nebeneinander und begegnen sich von gleich zu gleich."
    Auch das sachliche Beziehungsmodell wird heute von modernen Fernsehserien wie "How I met your mother" aufgegriffen:
    "Robin, Journalistin aus Kanada, lebt in New York, die eigentlich ihre Karriere verfolgen möchte, und Männer stören sie dabei eher. Sobald die Männer ihr im Wege stehen, werden sie auch wieder mehr oder minder entsorgt."
    Bis sie nach Irrungen und Wirrungen den nicht unkomplizierten Frauenhelden Barney trifft. Doch die Skepsis der Beiden vor der Eheschließung bleibt.
    Vergleich der Befunde aus der Serienanalyse mit der Realität
    Prof. Chiara Piazzesi, Soziologin an der Universität Québec in Montréal, Kanada, untersuchte mit ihrem Team die Paarbeziehungen der vier Protagonistinnen in der Serie La Galère.
    Die Wissenschaftlerin vermutete, dass entsprechend dem emanzipierten Rollenmodell moderne, gleichberechtigte Paare gezeigt werden würden. Stattdessen fanden sie bei den vier Protagonistinnen der Serie den Versuch, das romantische Beziehungsmodell mit dem gleichberechtigten zu verbinden.
    Um beides leben zu können und vor die Entscheidung gestellt, im Zweifel wählen zu müssen, opferten die Frauen in der Serie ihre eigenen Ambitionen.
    Jetzt sollen in einem großen Forschungsprojekt die Befunde aus der Serienanalyse mit der Realität verglichen werden, das heißt, inwiefern die Serie die Realität widerspiegelt.
    Dabei ist für Dr. Elke Reinhardt-Becker ein Aspekt auch für die Zukunft wichtig. So müsse man
    "… die Identitätskonzepte unserer Gesellschaft in den Blick nehmen. Wenn ich jetzt weiter an einem Identitätskonzept festhalte, dass eher eins ist, das sich um 1800 gebildet hat, dann suche ich vielleicht auch einen Partner, der eher romantisch tickt und sozusagen mich selbst bestätigt und so weiter und so fort. Wenn ich aber jetzt ein modernes oder postmodernes Identitätskonzept habe, dass ich sage, ich will ganz viele sein, und ich will mich ständig wandeln können, dann würde ich jetzt vielleicht eher ein Partnerschaftsmodell suchen, das nur seriell ist, wie die sachliche Liebe oder das partnerschaftliche Modell. Also ich denke, wir sollten das Problem der Identität in den Blick nehmen."