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Der Weg der Pille

Medizinphysik - Wie sich Tabletten in Speiseröhre, Magen und Darm bewegen, und wann sie dort wie viel ihres Wirkstoffes freisetzen, ist bisher nur sehr schwer messbar. Forscher an der in Berlin haben sich eine neue Methode ausgedacht, die Reise der tablettenförmigen Arznei durch den Körper sichtbar zu machen: Sie machen die Tabletten zu kleinen Minimagneten.

Von Björn Schwentker | 20.07.2005
    Augen zu und runter mit der bitteren Pille. Wo normalerweise die bewusste Begegnung mit der Tablette aufhört, fängt sie für die Forscher der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Berlin, erst an: Im Körper, den die Tablette nun langsam durchwandert.

    " Wir können den Ort verfolgen, und wir können dabei auch verfolgen, wie sich diese Tablette auflöst."

    Die Reise der Pille durch Speiseröhre und Magen-Darm-Trakt interessiert vor allem die Pharmaindustrie. Sie will wissen, wie schnell und wo eine Tablette ihren Wirkstoff freisetzt, um ihn optimal zu dosieren. Den Weg einer Pille zu verfolgen, sagt Lutz Trahms von der PTB, sei im Prinzip denkbar einfach:

    " Die Tablette wird mit magnetischen Partikeln versehen, wie sie auch als Farbstoff in Lebensmitteln verwendet werden, die werden aufmagnetisiert und damit hat die Tablette ein magnetisches Moment, wie wir sagen, ist also ein kleiner Magnet, wenn Sie so wollen. "

    Das Magnetfeld der Tablette können die Messgeräte der PTB im Körper millimetergenau orten. Je schwächer der Magnet dabei wird, desto weiter hat sich die Tablette schon aufgelöst. Im Prinzip ganz einfach. Wäre da nicht ein Problem: Damit sich die Pillen im Körper normal verhalten, dürfen nur kleinste Mengen des magnetischen Farbstoffs darin sein. Das Magnetfeld der Tabletten ist darum winzig, viel kleiner als das Erdmagnetfeld.

    " Das hat die Größe von 40 Mikrotesla. Wir sprechen hier von Picotesla und Femtotesla, das sind also eine Million bis eine Milliarde mal schwächere Felder. "

    Lutz Trahms betritt eine Art Kabine. Ein Raum im Raum, wie ein wuchtiger Würfel, jede Kante etwa fünf Meter lang. Die Wände bestehen aus speziellem Weichmetall und sind gut einen halben Meter dick. Ein solcher Aufwand ist nötig, um magnetische Störfelder fernzuhalten, die von Stromleitungen, Autos oder Handys ständig in der Luft liegen.

    " Und deshalb befinden wir uns jetzt hier in einer abgeschirmten Kabine. So, jetzt ist die Tablette runtergefallen. So, gut. "

    Olaf Kosch, der die Tabletten-Messungen betreut, macht vor, wie das geht – diesmal allerdings ohne menschlichen Probanden. Auf einer Bahre, wo sonst die Testperson liegt, platziert er eine Magnettablette. Darüber schwenkt er einen wuchtigen Apparat, mit weißen Zylindern dran. Lutz Trahms zeigt auf einen davon.

    " Das ist also hier ein Squid-Sensor, Squids sind die empfindlichsten Magnetfeldsensoren, die es gibt. Sie müssen aber, damit sie funktionieren, supraleitend werden, das heißt, sie müssen stark gekühlt werden. "

    Trahms Kollege Kosch drückt einen Knopf und die Liege mit der Tablette beginnt hin und her zu wackeln – nur zur Demonstration. Normalerweise ist es allein die Tablette, die sich bewegt, und zwar durch einen ruhenden Probanden. Draußen, außerhalb der abgeschirmten Kabine, schaltet Olaf Kosch den Computer ein.

    " Wir sehen jetzt die Darstellung des gemessenen Magnetfeldes, und wenn ich jetzt hier die Lokalisation dazuschalte sehe ich die Bewegung anhand dieses grünen Pfeils, der die Tablette darstellen soll. "

    500 Bilder pro Sekunde können die Sensoren von den verschluckten Pillen machen. Das reicht, um selbst den rasanten Rutsch durch die Speiseröhre zu verfolgen.

    " So was macht man auch mit radioaktiv markierten Tabletten, aber das ist ja erst mal ohnehin schon problematisch und da können Sie ja immer nur einen einzigen Schluckvorgang verfolgen, dann ist ja die Radioaktivität immer noch im Magen und der nächste Schluckvorgang kann schon gar nicht mehr aufgezeichnet werden. "

    Der Magnetismus der Tablette hingegen löst sich mit dieser im Körper auf. Darum lassen sich viele Pillen nacheinander schlucken und messen. Das heißt mehr und verlässlichere Daten für die Pharmazeuten. Doch nicht nur deswegen könnten sie demnächst bei den Berlinern Schlange stehen. Die radioaktive Standardmethode ist seit kurzem europaweit verboten – und das Magnetverfahren damit konkurrenzlos.