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Dercks: Nicht nach weiteren Mitteln zur Behebung der Finanzkrise rufen

Die Beteiligung der EZB an der Eurokrise helfe nur sehr kurzfristig, bis sich "bestenfalls" die Märkte beruhigt haben, sagt Achim Dercks. Der stellvertretende Chef des Deutschen Industrie- und Handelskammertags ergänzt, dass Länder mit hoher Verschuldung nun "im Zeitraffer" Reformen durchführen sollten.

Achim Dercks im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: In der Euroschuldenkrise geht es nicht ausschließlich um politische Konzepte und ein geeintes Europa, es geht dabei auch – und das wird manchmal aus dem Auge verloren – um unser Geld, um das, was wir im Portemonnaie haben, auf dem Spar- und Girokonto oder auch in der Unternehmensbilanz. Vor allem in der deutschen Wirtschaft, in den großen Unternehmen macht man sich deshalb seine eigenen Gedanken über diese Krise und über die politischen Konzepte, die zur Diskussion stehen. Wir können darüber jetzt sprechen mit dem stellvertretenden Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags, mit Achim Dercks. Schönen guten Morgen, Herr Dercks!

    Achim Dercks: Guten Morgen, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Dercks, lassen Sie uns erst mal kurz bei der Rhetorik bleiben. Wir haben gehört, da ist von Exempeln die Rede, die statuiert werden müssen, vom Schuldensozialismus und auch von einem Deutschland, das die Eurozone nur noch als Filiale behandelt. Wenn die Politiker in Europa so über ihre Währung und die Währungsunion reden, wie kommt das in der deutschen Industrie an?

    Dercks: Das kommt überhaupt nicht gut an, es ist nicht hilfreich, es ist nicht sachgerecht, und es verunsichert zudem die Menschen und letztlich auch die Leute und Menschen in den Unternehmen zusätzlich, vor allen Dingen aber haben wir die große Sorge, dass der Ruf nach einfachen Lösungen eher zu den größeren Katastrophen führt und nicht wirklich zu einer positiven Entwicklung.

    Armbrüster: Ist das eine Kritik auch an einigen Mitgliedern der Bundesregierung, die Sie damit verbinden?

    Dercks: Ja, ich will jetzt gar keinen Einzelnen herausgreifen. Wir haben im Moment eine Situation, die ja auch wieder als Sommerloch tituliert werden kann, und dann gehen manche in eine Pause und erholen sich und andere reden. Das muss nicht immer zur Sache besonders hilfreich sein. Wir haben vor allen Dingen die Befürchtung, dass sich das gegenseitig aufschaukelt, das führt in ganz Europa zu einer eher emotionalen Debatte. Und das Thema ist so kompliziert, dass genau das eben gerade auch den Unternehmen und der Wirtschaft nicht hilft.

    Armbrüster: Es schwirren ja nun einige sehr unterschiedliche Konzepte herum, wie diese Krise möglichst bald beendet werden kann: Die einen fordern da eine Vergemeinschaftung von Schulden, die anderen fordern strikte Sparprogramme. Welche Lösung will Ihr Verband?

    Dercks: Nun, auch hier gilt: Einfache Lösungen wird es nicht geben. Wir haben den Spagat hinzubekommen zwischen kurzfristiger Krisenhilfe durch den europäischen Stabilitätsmechanismus zum Beispiel auf der einen Seite, und natürlich den Bedarf, in den einzelnen Ländern Reformen durchzuführen. Es geht also im Moment darum, dass wir kurzfristig helfen, um Zeit zu kaufen – Zeit, die dann für Reformen genutzt wird. Das ist wie in anderen Politikfeldern, es geht um Hilfe zur Selbsthilfe, und da haben wir immer die Schwierigkeit, wie verhindern wir, dass kurzfristige Hilfe dazu führt, dass Engagement im Bereich Reformen nachlässt. Das ist so ähnlich wie in der Entwicklungspolitik, in der Sozialpolitik oder auch bei der Förderung von Unternehmen, die müssen immer schauen, dass das eine zum anderen passt. Deshalb geht es nicht darum, nur zu stabilisieren oder nur zu vergemeinschaften, sondern auf den richtigen Mix kommt es im Moment an.

    Armbrüster: Reichen Ihnen denn die kurzfristigen Hilfen, die es zurzeit gibt, reichen die Ihnen aus?

    Dercks: Nun, die kurzfristigen Hilfen haben ja bereits die Reformen ermöglicht in vielen Ländern. Irland zum Beispiel ist bereits in einer recht guten Situation, hat wieder Wachstum, hat seine Verschuldung drastisch reduziert, und auch in den anderen Ländern – das geht manchmal ein bisschen unter – ist ja viel passiert. Die Lohnstückkosten sinken, die Haushaltsdefizite gehen zurück, die Leistungsbilanzen gehen zurück, Exporte steigen, das gilt insbesondere auch für Spanien. Aber wir sind nicht über den Berg, und im Moment sieht es so aus, dass die Mittel im ESM zum Beispiel oder im Vorläuferfonds ja noch reichen, und wir sollten jetzt nicht voreilig hier nach weiteren Mitteln rufen, das wäre politisch auch in Deutschland den Bürgern sicherlich kaum zu vermitteln.

    Armbrüster: Das heißt, dass sich die EZB noch weiter einmischt, das würden Sie nicht favorisieren.

    Dercks: Nein, es hilft auch nur sehr, sehr kurzfristig. Das ist dann eine Frage von Wochen bestenfalls, bis auch die Märkte wieder unruhig werden. Letztlich müssen die Länder mit hoher Verschuldung jetzt im Zeitraffer das nachholen, was in Deutschland auch ja vor einer geraumen Zeit unter der Überschrift Agenda 2010 passiert ist. Das sind genau dieselben Themen: Reform des Steuersystems, Renteneintrittsalter hochsetzen, Lohnkosten moderat weiterentwickeln lassen, genau diese Themen stehen auf der Agenda, und da führt kein Weg dran vorbei. Wir sehen auch in Spanien, wir haben hier eine durchschnittliche Verzinsung der Gesamtschulden von viereinhalb Prozent, also wir haben hier noch keine riesendramatische Situation. Das ist der Grund, warum wir hier nicht unbedingt nach mehr Eingriffen der EZB rufen.

    Armbrüster: Aber Herr Dercks, Spanien und auch Italien stecken in einer Rezession. Die Leute, die Unternehmen dort können weniger kaufen – das kann doch auch die deutsche Industrie und den deutschen Handel nicht kalt lassen.

    Dercks: Nein, das lässt hier niemanden kalt, und schön ist das auf keinen Fall. Wir sind in der glücklichen Situation, dass im Moment die Konjunktur in Deutschland ja noch einigermaßen trägt, aber auch hier wird es sicherlich kleinere Dämpfer zumindest geben. Aber wir müssen auch der Tatsache ins Auge schauen, dass eine immense Verschuldung in den vergangenen Jahren dann irgendwann bedeutet, dass wir die Zeche zurückzahlen müssen, oder aber dann auch die einzelnen Länder die Zeche zurückzahlen müssen. Das bedeutet eben, es ist weniger Geld da für Konsum, und das schlägt sich dann auch in den Wachstumszahlen nieder. Da führt kein Weg dran vorbei, auch in Deutschland hatten wir zu den Reformzeiten mal ein Minus vor dem Komma, oder zumindest nur sehr, sehr, sehr bescheidene Wachstumszahlen.

    Armbrüster: Dann wollen Sie den Arbeitnehmern in Italien und auch den Konsumenten in Italien und Spanien sagen, Leute, ihr müsst noch ein paar Krisenjahre durchleben, aber danach, da bin ich mir ganz sicher, geht es wieder aufwärts?

    Dercks: Ja, wie gesagt, es gibt jetzt schon erste Anzeichen, dass es sozusagen bei den Exporten und bei den Haushaltsdefiziten ja durchaus Lichtblicke gibt, aber wir müssen, glaube ich, der Tatsache ins Auge sehen, dass eine Staatsverschuldung, die sich im Euroraum über zehn Jahre entwickelt hat, und mangelnde Reformen während der gleichen Zeit, eben nicht von heute auf morgen zurückzudrehen sind, und wir in der Tat mehrere Jahre brauchen. Das ist jetzt die Zeche, die wir alle gemeinsam dafür zahlen, dass wir den europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht ernst genommen haben.

    Armbrüster: Welche Tipps geben Sie denn Ihren Mitgliedsunternehmen? Wie kommen Sie durch diese Durststrecke hindurch?

    Dercks: Ja, Deutschland hat einen großen Vorteil: Wir sind nicht abhängig von einzelnen Ländern. Wir haben eine sehr diversifizierte Außenwirtschaft, also Handel mit vielen Ländern der Welt, und auch innerhalb der Eurozone ist das sehr ausgewogen. Das ist ein großer Vorteil, sodass sich Unternehmen hier immer auch umorientieren können und auf Entwicklung reagieren können. Wir haben zudem im Moment den Vorteil, dass wir die beste Situation, Beschäftigungssituation im Prinzip seit kurz nach der Wiedervereinigung haben, dadurch stabilisiert der Binnenmarkt uns auch etwas. Von daher ist die Empfehlung, nicht zu sehr auf die aktuellen hektischen Debatten zu hören, sondern stärker auf sozusagen die eigenen Zahlen zu schauen, und die sind in vielen Unternehmen noch nicht so schlecht, wie die öffentliche Debatte manchmal den Anschein macht.

    Armbrüster: Das heißt, für Sie besteht jetzt nicht die Gefahr, dass wenn um Deutschland herum die Staaten reihenweise in die Rezession rutschen, dass wir dann automatisch auch in diese Lage kommen?

    Dercks: Ja, die Gefahr besteht immer, aber wenn man die Gefahr nur allzu sehr nach oben zieht und immer wieder drüber redet, dann setzt sich das in den Köpfen fest, und das hilft keinem, sondern man muss einfach schauen, in China sozusagen läuft es auch nicht so heiß wie vielleicht in den Vorjahren mal, aber doch recht gut, auch in den BRICS-Staaten ist sozusagen ja keine Rezession in Sicht. Also wir sind in einer wackeligen Situation, aber es muss nicht zwangsläufig auf ein Drama zulaufen.

    Armbrüster: Ich will noch mal kurz abschließend über die Rhetorik der Politiker sprechen: Reden Sie da ab und zu mit Abgeordneten drüber, dass sie sich möglicherweise etwas zurückhalten sollten?

    Dercks: Ja, wir sind natürlich im Gespräch mit vielen Politikern, sowohl Abgeordneten als auch aus der Regierung, und werben hier für einen differenzierten Blick, wie wir das auch innerhalb der eigenen Organisation tun, weil natürlich das Thema überall die Emotionen hochbringt, und jeder hat auch Verständnis für die Emotionen und auch den Frust darüber, dass man hier Ländern helfen muss, die sicherlich zur Hauptsache selber Fehler gemacht haben. Nur das hilft uns jetzt alles nicht, wir müssen ja nach vorne schauen – und einem Kranken zu sagen, er ist selbst schuld an der Krankheit, das macht ihn auch nicht wieder gesund, sondern wir werben auch in diesen Gesprächen immer dafür, konstruktive Lösungen zu finden, die eben nicht so einfach in einem Satz zu erklären leider sind.

    Armbrüster: Achim Dercks war das, der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des deutschen Industrie- und Handelskammertages. Vielen Dank, Herr Dercks, für das Gespräch!

    Dercks: Gern geschehen!


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