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Detektivarbeit zwischen den Sternen

Raumfahrt. - Seit langem gibt ein Phänomen Ingenieuren und Physikern Rätsel auf: denn die Sonden Pioneer 10 und 11 werden messbar langsamer, scheinbar ohne Grund. Jetzt vermuten Fachleute eine Ursache dafür in schlichter Wärmestrahlung.

Von Jan Lublinski | 17.04.2008
    Slava Turyshev hat einen ungewöhnlichen Job am Jet Propulsion Laboratory der NASA in Pasadena: Er leitet ein kleines Team von Experten, das klären soll, was mit Pioneer 10 und 11 los ist - jenen Raumsonden, die in den 70er Jahren an Jupiter und Saturn vorbei flogen, um danach unser Sonnensystem zu verlassen.

    "Wir versuchen, so viel Information wie möglich zu sammeln und daraus ein theoretisches Modell der Sonden und ihres Fluges zu entwickeln. Wenn wir die Ergebnisse dann publizieren, hoffen wir, die aktuelle "Pioneer Anomalie" deutlich besser zu verstehen als zuvor."

    Bereits 1980 war Experten bei der NASA aufgefallen, dass die Pioneer-Sonden leicht von ihrem Kurs abwichen und langsamer wurden. 1995 und 1998 bestätigten zwei unabhängige Untersuchungskommissionen den Effekt. Seither haben Wissenschaftler diese "Anomalie" auch bei anderen Raumsonden entdeckt, und es stellt sich die Frage, ob die Wissenschaftler hier einem konventionellen Effekt aufsitzen, weil sie etwas übersehen haben. Oder ob sie es tatsächlich mit neuen physikalischen Gesetzmäßigkeiten zu tun haben, die in den Tiefen des Alls wirksam werden. Turyshev und seine Kollegen haben in den vergangenen sechs Jahren alte Konstruktionszeichnungen ausgewertet, und Hunderte alter Magnetbänder übertragen. Insgesamt ist so eine gewaltige Pioneer-Datenbank entstanden.

    "Das Interesse aus der Community hat uns sehr geholfen, so viele Informationen wie möglich zusammenzutragen. Sie wären um ein Haar zerstört worden, weil das Geld fehlte, die Pioneer-Archive zu erhalten. Als wir dort hin kamen, standen die Mülllaster bereits vor der Tür. Wir konnten das Schlimmste gerade noch verhindern. Unsere Arbeit ist ein wenig wie in der Krimireihe CSI. Wir können jetzt in der Zeit zurückreisen und an jedem Punkt der Reise wissen, wie sich das System währen des Fluges verhalten hat."

    Turyshev und Kollegen verfügen jetzt erstmals sowohl über die Bahndaten als auch über die Entfernungsmessungen der Sonde. Und sie haben ein aufwändiges Computer-Modell entwickelt, das die Temperatur auf den Sonden während des Fluges simuliert. Dabei stellt sich nun heraus: Die Ursache für die Ablenkung der Sonden könnte eine ungleichmäßige Temperaturverteilung auf ihren Oberflächen sein. Strahlt nun eine Sonde auf einer Seite etwas mehr Wärme ab, könnte ihr dies bereits einen kleinen Schub in die andere Richtung verpassen. Noch laufen die entsprechenden Analysen. Aber für einen Punkt des Fluges hat Turyshev bereits Daten: Bei einer Entfernung von 3800 Millionen Kilometern von der Erde kann er zwischen 28 und 36 Prozent der "Pioneer Anomalie" durch thermische Effekte erklären.

    "Intuitiv würde man erwarten, dass die Anomalie langfristig abnimmt. Das radioaktive Plutonium, das die Sonde mit Strom versorgt, wird immer weniger, und somit kann sich auch immer weniger Wärme über die Sonde verteilen. Aber es ist nicht einfach, dabei die statistischen Fehler unserer Abschätzungen zu ermitteln. Wir wissen nicht genau, wie sich die Oberflächen der Sonde in den 34 Jahren verändert haben: Während des Fluges sind sie mit Protonen aber auch mit anderen hochenergetischen Partikeln bombardiert worden. Dennoch haben wir mit den thermischen und elektrischen Daten jetzt die einzigartige Möglichkeit zu quantifizieren, wie viel die On-Board Systeme zur Anomalie beitragen."

    Turyshev wird in den nächsten Monaten den Flug von Pioneer noch einmal komplett wiederholen – als Simulation auf dem Computer. Er wird sich genau anschauen, wann welche die Geräte eingeschaltet wurden und wie die Sonde zur Sonne hin orientiert war. Am Ende wird er dann sagen können, in welchem Teil der Reise wie viel Prozent der Anomalie sich durch herkömmliche Wissenschaft erklären lässt. Raum für Spekulationen wird dann vermutlich deutlich weniger bleiben.

    "Bis diese neue Untersuchung fertig gestellt ist, betrachte ich keinerlei Erklärung, die mit neuer Physik zusammen hängen. Ich sehe meine Aufgabe darin, zunächst einmal nach konventionellen Erklärungen zu suchen. Wenn danach die Anomalie immer noch da ist, sehen wir weiter."