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Dettling: In der CSU herrschen vordemokratische Traditionen

Angesichts des Streits in der CSU um eine Mitgliederbefragung zur Nominierung des Ministerpräsidenten-Kandidaten hat der Publizist Warnfried Dettling die christsoziale Partei als vordemokratisch bezeichnet. Erlaubt sei "ein Granteln, ein Grummeln an denen da oben", offene Kritik an den Regierenden sei dagegen jedoch tabu. Die CSU-Landrätin Gabriele Pauli habe mit ihrer Forderung nach einer Mitgliederbefragung genau gegen dieses Tabu verstoßen, sagte Dettling.

Moderation: Doris Simon |
    Doris Simon: Herr Dettling, zuletzt hat es von der Basis immer mal wieder ein bisschen Protest gegen Edmund Stoiber und die CSU-Führung gegeben, der wurde aber jedes Mal erstickt. Wird es auch dieses Mal der Fall sein?

    Warnfried Dettling: Ja, ich denke, Sie erinnern zurecht daran, dass der Niedergang Stoibers ja nicht mit der Kritik von Frau Pauli angefangen hat. Also es war zunächst mal die verlorene Bundestagswahl 2002, als Stoiber als Kanzlerkandidat ganz knapp das Ziel verfehlt hat, und dann eben vor allem 2005, als Stoiber hin- und herschwankte, soll er nach Berlin gehen als Superminister, soll er in München bleiben. Das hat sehr viele in der CSU, übrigens auch in der CDU natürlich massiv verärgert, und jetzt kommt die Kritik von Frau Pauli. Diese Kritik ist nicht deshalb schlimm, weil eine couragierte Landrätin den Mund aufmacht und sagt, was sie denkt, sondern sie ist deshalb für Stoiber gefährlich, weil Frau Pauli wirklich Strömungen in der CSU auf den Punkt und auf den Begriff bringt, und da ist einmal der Wunsch nach mehr innerparteilicher Demokratie, und da ist eben das Unbehagen an der Person Stoibers und natürlich auch die Kritik an einem selbstherrlichen Regierungsstil in der Münchener Staatskanzlei.

    Simon: Herr Dettling, Sie sagen, Frau Pauli bringt das zum Ausdruck, aber die wirklich Prominenten in der CSU, die trauen sich ja immer noch nicht aus der Deckung. Ist die Angst vor dem Chef so groß?

    Dettling: Ja, das ist ganz richtig, also die Prominenten in der CSU halten sich in der Tat bedeckt. Sie wissen nicht, wie das Rennen ausgeht, es könnte immer noch sein, zwei Jahre sind eine lange Zeit bis zur nächsten Landtagswahl, dass Stoiber noch einmal einen ähnlichen Fehler macht wie jetzt bei der Reaktion auf diese Kritik und dass er dann in der Tat zurücktreten mus, aber wahrscheinlicher ist eben, dass Stoiber Spitzenkandidat bleibt und noch einmal nach der nächsten Landtagswahl zum Ministerpräsident gewählt wird. Also das ist man ja in der CSU gewohnt, dass sie sich an den Ministerpräsidenten gewissermaßen anpassen und offene Kritik, so etwas gab es ja in der CSU bisher nicht. Deshalb ist es umso interessanter, dass sich zwei potentielle Nachfolgekandidaten, nämlich Herr Seehofer und auch der Fraktionsvorsitzende sehr zurückhaltend nur äußern und sich auch nicht auf eine Seite schlagen, also Joachim Herrmann, der Fraktionsvorsitzende im Bayrischen Landtag, kritisiert die Staatskanzlei, meint natürlich Stoiber, wenn er an der Überreaktion vieles auszusetzen hat.

    Simon: Umso erstaunlicher angesichts der Stille, die bei der Prominenz herrscht in der CSU die zunehmenden kritischen Stimmen aus der Provinz, vor allem aus Mittelfranken. Herr Dettling, gibt es da so einen Druck beim Thema innerparteiliche Demokratie, dass die braven Parteisoldaten jetzt doch den Mund aufmachen?

    Dettling: Ja nun, der Bezirk Franken war ja immer eher weit weg von Oberbayern und von München, die haben sich immer etwas vernachlässigt gefühlt. Dieser Bezirk in der CSU hatte dann in den letzten Jahren einen großen Einfluss in der Person des Innenministers Beckstein, und Beckstein war auch derjenige, der Anfang der neunziger Jahre, als es um die Nachfolge von Ministerpräsident Streibl ging, ja auch die Bresche geschlagen für Stoiber im CSU-Vorsitz und dann als Ministerpräsidenten. Also dass von dort Kritik kommt, wundert mich eigentlich nicht, aber es ist interessant, dass es doch jetzt auch stellvertretende Kreisvorsitzende sind, dass es stellvertretende Landräte sind, und die Landrätin Pauli selber und andere, die jetzt von der Basis her vernehmlich Kritik artikulieren. Ich denke, der zentrale Fehler von Stoiber war, dass er den Ruf nach mehr innerparteilicher Demokratie nicht konstruktiv aufgegriffen hat und meinetwegen Frau Pauli dann in die Staatskanzlei eingeladen hat, eine Kommission eingesetzt hat, wie man den Einfluss der Mitglieder auf die politische Willensbildung verstärken kann, denn der Ruf, mehr Mitsprache, Teilhabe, Einfluss auf Parteien und in Parteien, das ist ein machtvoller Trend und es ist ein sehr populärer Wunsch, den Frau Pauli da artikuliert, und hier hat Stoiber nicht nur einen politischen, sondern auch einen handwerklichen Fehler gemacht.

    Simon: Zum Stichwort Mitsprache der Basis: In Baden-Württemberg wollten die CDU-Spitzenkräfte Anette Schavan und Günter Oettinger beide Nachfolger von Erwin Teufel werden, da gab es auch innerparteiliche Auseinandersetzungen vor dieser Mitgliederbefragung, aber seit der Wahl von Günter Oettinger herrscht auch in der Partei, in der CDU doch wieder Eintracht. Wieso traut sich die bayrische CSU dieses Verfahren nicht zu, wieso sagt zum Beispiel der bayrische Generalsekretär Söder, das sei doch ein Witz, eine Mitgliederbefragung?

    Dettling: Ja gut, ich meine, Baden-Württemberg ist in der Tat ein gutes Beispiel, dass eine Partei, die CDU, sich integrieren kann, gerade indem sie eine Urabstimmung über zwei Kandidaten durchführt, in Baden-Württemberg war es ganz ähnlich, da kam aus der Partei Kritik an Herrn Teufel, der ist dann zurückgetreten, das ist anders als in Bayern, aber dann, zwischen zwei starken Kandidaten eine Auswahl, das hat der CDU genützt. In Bayern ist das völlig unvorstellbar, es sind obrigkeitsstaatliche Traditionen, es sind im Grunde fast vordemokratische Traditionen, die in der CSU herrschen. Es ist erlaubt, ein Granteln, ein Grummeln an denen da oben, aber es ist nicht erlaubt eine offene Kritik an den Regierenden, an den Vorsitzenden, an dem Ministerpräsidenten, und dieses Tabu hat jetzt Frau Pauli durchbrochen, das ist eine Angehörige einer neuen Frauengeneration, die Gesellschaft hat sich geändert, die Männer können nicht mehr öffentlich sagen, was sie am liebsten sagen wollten, und dann eben die neuen Medien, dass nun über das Internetforum plötzlich eine kritische Öffentlichkeit herstellen kann. Also die Herrschaft der CSU, auch demokratische Herrschaft wird gewissermaßen unterwandert durch eine kritische Öffentlichkeit über die neuen Medien, und wenn dann eine Frau dazukommt, die jetzt relativ unerschrocken sagt, was sie denkt, was ganz und gar ungewöhnlich ist, die CSU-Frauen waren ja eher brav, angepasst, weniger aufmüpfig, dann kann so etwas passieren. Ich denke, das hat Langzeitwirkung auf jeden Fall.

    Simon: Das heißt, das lässt sich auch nicht in den nächsten Wochen aus dem Weg räumen?

    Dettling: Das lässt sich nicht mehr in den nächsten Wochen gewissermaßen einfangen. Es kann sein, dass es irgendwann in den nächsten zwei Jahren den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit betritt, wenn, aber nur wenn Stoiber keine weiteren Fehler mehr passieren, und dann wird die CSU, das ist meine Prognose, in knapp zwei Jahren ein schlechteres Ergebnis einfahren, möglicherweise mit einem Spitzenkandidaten Stoiber, und danach wird dann die Diskussion ihr endgültiges Stadium erreichen über die Nachfolge, mit den Personen und Argumenten, die Frau Pauli jetzt genannt hat.