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Deutsch-amerikanische Beziehungen

Heuer: Die Frage, wie sich Deutschland im Falle eines US-Angriffs verhalten soll, ist in der Bundesrepublik längst zum Wahlkampfthema geworden. Das kompromisslose Nein der Bundesregierung zu einer deutschen Beteiligung mit oder ohne UN-Mandat bringt Rot-Grün Stimmen im linken Lager. Aber es schadet den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die sind in den vergangenen Wochen merklich abgekühlt; es herrscht geradezu offener Streit zwischen beiden Regierungen. Die Schuld daran trägt Rot-Grün. Das jedenfalls sagt die Opposition. Der frühere Außenminister und Freidemokrat Klaus Kinkel beispielsweise wirft der Bundesregierung kurz vor der Wahl vor, außenpolitisch einen Scherbenhaufen zu hinterlassen. Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit dem Ehrenvorsitzenden der FDP und ausgewiesenen Kenner der Vereinigten Staaten, Otto Graf Lambsdorff. Guten Morgen Graf Lambsdorff.

    Graf Lambsdorff: Guten Morgen Frau Heuer.

    Heuer: Dan Coats - so ist inzwischen bekannt geworden - ist vorgestern vom auswärtigen Amt einbestellt beziehungsweise geladen worden. Das ist unüblich, besonders zwischen befreundeten Staaten. Hat es so etwas schon einmal gegeben?

    Graf Lambsdorff: Ich kann mich daran nicht erinnern. Ich bin sehr besorgt und sehr beunruhigt über den Stand der deutsch-amerikanischen Beziehungen, wie er sich aus diesen jüngsten öffentlichen Debatten entwickelt hat. Der amerikanische Botschafter hat sich ungewöhnlich deutlich zur Haltung zur Bundesregierung in dieser Frage geäußert, aber natürlich erst nachdem die Bundesregierung und vor allem der Bundeskanzler, aber auch der Außenminister hier Stellung bezogen haben. Wir müssen wissen, dass wir mit Dan Coats einen politischen Botschafter in Deutschland haben, keinen Karrierebotschafter der Vereinigten Staaten. Das haben wir uns übrigens meistens gewünscht. Das heißt ganz klar, dass der ehemalige republikanische Senator Dan Coats einen unmittelbaren Draht ins weiße Haus hat. Das bedeutet, er hat einen ganz engen Kontakt zum Präsidenten und was er sagt ist ja auch von Außenminister Colin Powell sofort unterstützt worden. Er hatte keinen Auftrag zu diesen Äußerungen, hat Colin Powell gesagt, aber er hat die volle Rückendeckung des State Department. Ich kann mich nicht entsinnen, dass wir eine solche öffentliche unerfreuliche Diskussion zwischen den Amerikanern und uns in den vergangenen Jahren, in den vergangenen Jahrzehnten gehabt haben.

    Heuer: Wie groß schätzen Sie denn den Schaden am deutsch-amerikanischen Verhältnis ein? Ist das Verhältnis in absehbarer Zeit zu kitten?

    Graf Lambsdorff: Das denke ich schon, aber dann müssen wir uns, sprich die Bundesregierung, entweder diese oder eine neue Bundesregierung, sicherlich anders verhalten. Die Reaktion - das ist ja auch gestern klar geworden: Der Präsident der Vereinigten Staaten hat angekündigt, er werde jedenfalls mit den Franzosen und mit den Briten, mit Herrn Chirac und den Engländern Gespräche aufnehmen und konsultieren, wie deren Haltung zu einem möglichen militärischen Einsatz gegen den Irak aussieht. Deutschland hat er gar nicht mehr einbezogen. Auch das ist völlig neu, dass Konsultationen zwischen den Deutschen und den Amerikanern in solchen Fragen nicht mehr stattfinden, während sie mit anderen Ländern gepflogen werden. Aber man muss das wahrscheinlich verstehen. Deutschland hat seine Position derartig klar gemacht, dass man sich im Weißen Haus sagen wird, was sollen wir hier noch konsultieren, wir kriegen ja öffentlich mitgeteilt, dass überhaupt kein Gedanke an irgendeine Unterstützung ist, wobei es im übrigen, Frau Heuer, natürlich ganz ausgeschlossen sein wird und bleiben wird, dass wir nichts unterstützen. Wir werden ja gar nicht gefragt werden. Ich würde jedenfalls nicht damit rechnen.

    Heuer: Nicht einmal nach logistischer Unterstützung?

    Graf Lambsdorff: Ja natürlich. Wir werden doch nicht gefragt werden, deutsche Truppen einzusetzen. Das glaube ich jedenfalls nicht. Das spielt gar keine Rolle. Aber wir werden die Flugplätze zur Verfügung stellen, wir werden den Luftraum zur Verfügung stellen, und das wird geschehen, trotz aller dieser massiven Ankündigungen und starken Reden, die jetzt gehalten werden. Kein Mensch, keine Bundesregierung, auch diese nicht, wird es riskieren, internationale Abkommen, die wir ja auch haben, zu verletzen und den Amerikanern diese Unterstützung zu verweigern, wenn sie sie fordern, wenn sie sie brauchen.

    Heuer: Nun fühlt sich ja nicht nur die US-Regierung durch die deutsche Regierung gekränkt, sondern das gilt auch umgekehrt. Muss ein souveräner Staat wie die Bundesrepublik nicht gerade auf Konsultationen vor einer Entscheidung zur Kriegsführung bestehen? Und Sie sagen ja selber, inzwischen wird Deutschland nicht mehr einbezogen. Das war, sagt Gerhard Schröder, aber auch in der Vergangenheit nicht der Fall.

    Graf Lambsdorff: Selbstverständlich muss die Bundesregierung darauf bestehen, dass konsultiert wird. Das haben wir selbstverständlich immer getan. Es hat auch früher Situationen gegeben, die ich so formuliert habe, dass die Amerikaner bitte nicht Konsultation mit nachträglicher Information verwechseln möchten. Diese Neigung in Washington, im Weißen Haus hat immer bestanden, auch zu unserer Zeit. Wir haben auch früher viele Kontroversen mit den Amerikanern gehabt, Freu Heuer. Denken Sie mal alleine an die Verhandlungen zu Besatzungskosten, um es mal mit einem simplen Wort zu bezeichnen, wo wir massive Meinungsverschiedenheiten hatten. Denken Sie daran, dass zur Zeit der Regierung Helmut Schmidt Herr Reagan das Pipeline-Embargo, also ein Lieferembargo gegen Russland für den Bau von Gasleitungen verhängt hat.

    Heuer: Wenn wir jetzt mal bei der Irak-Debatte bleiben, Graf Lambsdorff. Hat der US-Präsident die Bundesregierung in den vergangenen Monaten ausreichend in seine Überlegungen einbezogen oder nicht?

    Graf Lambsdorff: Das kann ich nicht im einzelnen sagen. Ich denke schon, dass das geschehen ist. Man kann ja nicht darüber reden, was alles passieren sollte und passieren könnte, wenn man nicht eine Ahnung davon hat und man nicht informiert worden ist. Ich kann nicht im einzelnen sagen, Frau Heuer, ob hier ausreichend informiert worden ist. Das müsste die Bundesregierung dann aber mitteilen und erklären, wenn das nicht genügend ist. Sollte das nicht geschehen sein, so hat die Bundesregierung Möglichkeiten und Mittel durch den deutschen Botschafter, durch unmittelbare Kontakte mit der amerikanischen Regierung, durch den unmittelbaren Kontakt zwischen dem Bundeskanzler und dem Präsidenten. Man kann das Telefon in die Hand nehmen und anrufen oder auf Konsultationen bestehen. Aber wenn man dann in die Öffentlichkeit geht und seine feste Meinung bereits verkündet, und zwar aus Wahlkampfrücksichten - die Amerikaner sind ja nicht auf den Kopf gefallen; natürlich merken die, dass hier Wahlkampf geführt wird, wie Sie ja einleitend richtig gesagt haben, und dass dieser Wahlkampf geführt wird zu Lasten der deutsch-amerikanischen Beziehungen. Das wäre uns wirklich früher, wäre den damaligen Bundeskanzlern - nehmen Sie die Regierung Schmidt oder Genscher -, das wäre weder dem Bundeskanzler Schmidt noch dem Außenminister Genscher jemals eingefallen.

    Heuer: In einem Interview mit der "New York Times" hat Gerhard Schröder gestern von den USA "echte Konsultationen" gefordert und nicht bloß eine kurzfristige Information und er hat gesagt, er habe bisher keine neuen Beweise erhalten, dass vom Irak eine größere Gefahr ausgehe als früher. Das sind Sätze, aus denen man Bedingungen für ein eventuelles Einlenken der Bundesregierung herauslesen kann, wenn man das unbedingt möchte.

    Graf Lambsdorff: Dann muss man es wirklich unbedingt mögen, Frau Heuer!

    Heuer: Sie halten es also nicht für wahrscheinlich, dass die Regierung ihre Position noch ändert?

    Graf Lambsdorff: Das halte ich für wenig wahrscheinlich, aber es gibt ja Nachrichten aus Australien - aber ob die schon bestätigt sind weiß man nicht -, die gestern kamen, dass Saddam Hussein über Massenvernichtungswaffen verfügen soll. Dann ist die ernsthafte Frage zu stellen, wie lange wollen wir eigentlich warten und wollen wir warten, bis dieser Herr wirklich die Atom-bombe hat. Haben wir vergessen, dass er den Krieg Iran-Irak ausgelöst hat, völlig sinnlos? Eine Millionen Menschen hat das gekostet. Haben wir vergessen, dass er seine eigenen Leute, die Kurden, mit Gas, mit chemischen Waffen, mit Biowaffen behandelt hat? Haben wir vergessen, dass er seine Gegner höchst persönlich mit dem Finger am Abzug des Revolvers, auch Familienmitglieder, umgebracht hat? Soll der wirklich in den Besitz einer Atombombe kommen, von nuklearen Waffen kommen, oder wollen wir das verhindern? Was verstehen wir, auch der deutsche Au-ßenminister, unter präventiver Politik, von der er gesprochen hat? Ich habe ihn danach gefragt, was er damit meint. Ich habe ihm vor Monaten einen Brief geschrieben, aber keine Antwort bekommen.

    Heuer: Otto Graf Lambsdorff war das, der Ehrenvorsitzende der FDP. Vielen Dank für das Gespräch!

    Link: Interview als RealAudio