Samstag, 20. April 2024

Archiv

Deutsch-amerikanische Beziehungen
"Neue Dynamik in der transatlantischen Zusammenarbeit"

Das sich verschlechternde Verhältnis zwischen Deutschland und den USA sieht der Transatlantik-Koordinator der Bundesregierung in "teilweise widersprüchlichen" Verlautbarungen von US-Präsident Trump begründet. Dieser orientiere sich fast ausschließlich an dem, was seine Wähler in Amerika hören wollten, sagte Jürgen Hardt im Dlf. Das sei bei der Kanzlerin nicht der Fall gewesen, als sie Trump in ihrer Bierzelt-Rede kritisierte.

Jürgen Hardt im Gespräch mit Peter Kapern | 31.05.2017
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Hardt
    Der CDU-Bundestagsabgeordnete Jürgen Hardt (dpa/picture alliance)
    Peter Kapern: Sie sind also ein Stück weit vorbei, die Zeiten, in denen man sich auf andere völlig verlassen konnte. So die Bundeskanzlerin am Sonntag. Selten dürfte ein Bierzelt so sehr gejubelt haben über einen Satz, der so sehr ins Ungefähre weist. Denn wer hat sich denn schon mal völlig auf andere verlassen? Und was heißt ein Stück weit? – Sei es drum. Jubel im Bierzelt, Jubel in Europa und viel Zustimmung in den USA bei den Gegnern Donald Trumps, denn auf den zielte diese Spitze der Kanzlerin.
    Auf Trump kann man sich also nicht mehr völlig verlassen, weshalb Europa jetzt sein Schicksal in die eigene Hand nehmen müsse. Zwei Reaktionen waren zu registrieren: Die SPD rüstete in ihrer Trump-Kritik mächtig auf, weil die Kanzlerin ihr ein Wahlkampfthema zu rauben scheint, und der Kritisierte selbst feuerte per Twitter zurück. Kurz darauf versuchte dann sein Sprecher die Wogen zu glätten.
    Am Telefon ist Jürgen Hardt von der CDU, der Koordinator für die transatlantischen Beziehungen. Guten Morgen, Herr Hardt.
    Jürgen Hardt: Guten Morgen, Herr Kapern.
    "Trumps Verlautbarungen sorgen für Unruhe"
    Kapern: Herr Hardt, Europa muss jetzt sein Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Brauchen wir dann künftig noch so etwas, einen Koordinator für transatlantische Beziehungen?
    Hardt: Ich glaube, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Amerika und Europa und Amerika eine Einzigartigkeit haben, die auch in der Zukunft eine zentrale Rolle spielen wird. Sie ist auch nicht ersetzbar durch engere Beziehungen etwa nach Indien oder China oder gar nach Russland, sondern sie sind und bleiben ein ganz festes Fundament unserer Außenpolitik. Aber wir erleben im Augenblick leider eine Phase der Unsicherheit. Der Präsident gibt Verlautbarungen ab, die teilweise widersprüchlich sind, die auch an einem Tag im Widerspruch zu dem stehen, was er am Tag zuvor gesagt hat, und das sorgt für Unruhe. Das sorgt für Unsicherheit und da ist es eine gute Idee, einfach zu sagen, man versucht, sich unter den Freunden im Team – das ist für uns die Europäische Union – auch ein Stück enger zusammenzufinden, besser abzustimmen und zu überlegen, wie wir möglicherweise auch das eine oder andere als eigenen Beitrag zu der gemeinsamen Sicherheit beitragen können, wo wir bisher möglicherweise etwas nachlässig waren mit unseren eigenen Verantwortlichkeiten und uns zu sehr und zu bedingungslos auf Amerika verlassen haben. Ich glaube, das 21. Jahrhundert erfordert überhaupt mehr Europa und das war der Weckruf, den die Bundeskanzlerin am vergangenen Wochenende losgelassen hat.
    "Prozess der stärkeren Einigung Europas seit längerem im Gange"
    Kapern: Dann hat ja Donald Trump mit dem, was er da gefordert hat, Recht, wenn die Europäer jetzt auf diese, nun sagen wir mal, verbalen Angriffe und das Verhalten Donald Trumps damit reagieren, dass die Europäer das tun, was Trump verlangt.
    Hardt: Wir haben vor drei Jahren auf dem Gipfel von Wales der NATO beschlossen, dass wir mehr für Verteidigung tun, und wir haben letztes Jahr im Sommer beschlossen, dass wir in der Europäischen Union stärker in der Außen- und Sicherheitspolitik zusammenarbeiten wollen, beides zu Zeitpunkten, wo entweder der Name Trump noch überhaupt nicht auf der Tagesordnung war, oder es als sehr unwahrscheinlich galt, dass er Präsident wird. Dieser Prozess der stärkeren Einigung Europas in der Außen- und Sicherheitspolitik, den die Bundeskanzlerin am Wochenende auch angemahnt hat, dieser Prozess ist seit längerem im Gange.
    "Reflexartig als kleiner Bruder des großen Amerika verstanden"
    Kapern: Warum dann die ganze Aufregung, Herr Hardt?
    Hardt: Die Aufregung kommt daher, dass wir tatsächlich bisher möglicherweise reflexartig immer uns als kleiner Bruder des großen Amerika verstanden haben in der Außen- und Sicherheitspolitik und vielleicht jetzt ein Stück weit auch eine Chance haben, den Menschen in Europa klarzumachen, dass die Europäische Union als Partnerschaft auch ein Wert an sich ist, wo mehr drin ist für die Sicherheit, für den Wohlstand der Menschen, als wir das bisher ausnutzen, und dass jetzt der Zeitpunkt gekommen ist, diese Karte auch auszuspielen. Ich glaube, dass Amerika selbst davon in enormem Maße profitieren wird. Wenn wir darüber sprechen, dass Europa zu wenig zur Verteidigung beiträgt, dann heißt das ja nicht zwingend, dass wir unbedingt viel mehr für Verteidigung ausgeben müssen in unseren eigenen Staaten, sondern wenn wir die Kapazitäten, die wir haben, besser miteinander nutzen, effizienter miteinander nutzen, würden wir auch mehr erreichen können, ohne dass das automatisch gleich bedeutet, dass die Haushalte extrem ansteigen.
    "Verteidigungsbudget als europäische NATO-Partner effizienter einsetzen"
    Kapern: Da bin ich mal gespannt, ob Donald Trump damit zufrieden ist, wenn die Europäer als Forderung auf die Einhaltung des Zwei-Prozent-Zieles jetzt sagen, na ja, wir müssen vielleicht gar nicht unbedingt mehr ausgeben.
    Hardt: Wir machen mehr in Deutschland. Das bedeutet ja nicht, dass wir uns da zurückziehen. Vor drei Jahren in Wales haben wir uns verpflichtet, uns dem Zwei-Prozent-Ziel bis 2024 weiter anzunähern. Wir tun das mit einer gegenwärtigen Haushaltssteigerung von rund acht Prozent und mit einem Investitionsprogramm, das Ursula von der Leyen aufgelegt hat für die Bundeswehr. Und wer in der Bundeswehr dient und wer die Bundeswehr kennt, weiß, dass wir tatsächlich Nachholbedarf gerade bei Investitionen haben. Aber ich glaube, dass die stärkere Kraft in Europa darin liegt, dass wir vermeiden, Parallelstrukturen aufzubauen, dass wir auf neue Herausforderungen auch gemeinsam reagieren. Wenn wir unser gesamtes europäisches Verteidigungsbudget als europäische NATO-Partner effizienter einsetzen würden, könnten wir eine noch deutlich höhere Schlagkraft erreichen und damit mehr zum gemeinsamen Werk Sicherheit beitragen. Und der amerikanische Präsident steht auch in der Tradition seines Vorgängers, der vor drei Jahren in Wales diesen Beschluss aller 28 NATO-Mitglieder ja mitgetragen hat.
    Problem mit Trumps Wahlkampf-Rhetorik
    Kapern: Wenn man sich die Ereignisse beim NATO-Gipfel in der vergangenen Woche noch mal in Erinnerung ruft, Herr Hardt, dann hat man nicht den Eindruck, das sei alles jetzt mit mehr Geld oder dem klügeren Ausgeben von Geld erledigt. Immerhin ist doch in Erinnerung geblieben, dass Donald Trump sich nicht zur NATO-Beistandsgarantie bekannt hat. Das ist doch ein tiefer Einschnitt für das Bündnis. Ist da der transatlantische Graben nicht ohnehin schon breiter geworden, als er noch ein paar Tage vorher war?
    Hardt: Wenn Sie in die Dokumente der Gipfel gucken, sowohl NATO-Gipfel als auch G7-Gipfel, stellen Sie fest, dass das, was dort wirklich schriftlich und verbindlich vereinbart wurde, durchaus in der Linie dessen ist, was erwartet war und was auch in der Linie früherer Gipfel steht. Es gibt zum Beispiel beim G7-Gipfel ein Bekenntnis, dass Protektionismus keine Antwort auf die Globalisierung sein kann.
    Kapern: Aber es gab nichts zum Klimaschutz. Es gab nichts zur Bekämpfung der Flüchtlingskrise.
    Hardt: Es gab in diesen Bereichen nicht die erwünschten Fortschritte, aber es gab durchaus Schritte auf beiden Gipfeln, die deutlicher nach vorne weisen, als das die Rhetorik des Präsidenten zu glauben lässt. Der Punkt ist, dass wir ein Problem damit haben, dass der amerikanische Präsident bei seinen öffentlichen Aussagen nach wie vor sich weit überwiegend oder fast ausschließlich an dem orientiert, was er glaubt, was seine Wähler in Amerika hören wollen, dass jedoch die übrige Welt natürlich den amerikanischen Präsidenten als Führer einer der wichtigsten Nationen der westlichen Welt sieht und von ihm erwartet, dass er sich mit seinen Äußerungen ganz konkret auch an den Herausforderungen der Globalisierung und der Weltordnung orientiert.
    Merkels Kritik nicht mit Blick auf eigene Wähler
    Kapern: Herr Hardt, was Sie da gerade gesagt haben, bringt mich auf eine Idee. Könnte es eigentlich sein, dass die Kanzlerin das, was sie gesagt hat da in dem bayerischen Bierzelt, auch ausschließlich gesagt hat mit Blick auf ihre eigenen Wähler?
    Hardt: Mit Sicherheit nicht. Es war ein Beitrag, in dem sie die Bedeutung einer weiteren Einigung Europas gerade auch in der Außen- und Sicherheitspolitik betont hat, und ein weiteres Argument dafür ist, dass sich die Welt verändert und dass mit diesem amerikanischen Präsidenten wir auch ein Stück weit Unsicherheit haben über den weiteren Gang der transatlantischen Beziehungen, und dass der beste Beitrag, diese transatlantischen Beziehungen zu festigen, doch aus deutscher Sicht und aus europäischer Sicht darin liegt, dass wir uns stärker zusammenschließen, dass wir mehr unsererseits zu dieser Partnerschaft beitragen und damit im Zweifel auch für alle Hindernisse der Zukunft gut gewappnet sind.
    "Keine Zeitenwende im negativen Sinne"
    Kapern: Das heißt, das was wir da kommen sehen werden in den nächsten Monaten und Jahren, wird darauf hinauslaufen, dass die Beziehungen zu den Vereinigten Staaten mit dem Präsidenten Donald Trump eher noch enger werden als sie es bisher waren. Ist das die große Zeitenwende, die wir seit Sonntag da haben kommen sehen?
    Hardt: Die transatlantischen Beziehungen werden sich verändern, weil die Europäische Union sich enger zusammenschließen wird und ein selbständiger und eigenständigerer Partner in dieser Partnerschaft werden wird. Die neue Generation junger europäischer Menschen und junger amerikanischer Menschen blickt darüber hinaus auch jeweils auf die andere Seite ihres Kontinents, also Richtung Pazifik beziehungsweise wir auch Richtung Asien. Das sind Dinge, die die Globalisierung mit sich bringt, und wenn wir gemeinsam in einer sich weiterentwickelnden transatlantischen Partnerschaft die Dinge annehmen, dann werden wir eine gute Zukunft haben. Und dieser amerikanische Präsident steht in der Tradition seiner Vorgänger. Er steht in der Tradition der amerikanischen Demokratie mit einem starken Kongress, der seinerseits auch keinen Zweifel daran lässt, dass er für freien Welthandel steht, dass er für die Verantwortung Amerikas in der Welt steht und dass er für die Beistandsverpflichtung der NATO steht, und insofern bin ich zuversichtlich, dass wir keine Zeitenwende erleben im negativen Sinne, sondern dass wir eine neue Dynamik in der transatlantischen Zusammenarbeit haben, die uns auch zu einem guten und besseren Zusammenleben in der Zukunft führen kann.
    "Ein starkes Deutschland in einem starken Europa"
    Kapern: Sie haben das eben, Herr Hardt, so leicht zurückgewiesen, meine Frage, ob Angela Merkel mit ihrer Bierzeltrede vielleicht doch eher auf den Wahlkampf und auf ihre Wähler geblickt hat als auf die Realität der transatlantischen Beziehungen. So ganz aus der Luft gegriffen ist diese Frage ja nicht, weil so ein bisschen Amerika-Kritik oder gar Amerika-Feindlichkeit, Antiamerikanismus war in deutschen Wahlkämpfen eigentlich doch regelmäßig präsent.
    Hardt: Wer den amerikanischen Präsidenten für die eine oder andere Äußerung kritisiert, kritisiert ja nicht automatisch Amerika. Es gibt in Amerika ja ganz viele Menschen, die das auch so empfinden wie wir, dass diese Unsicherheit ein Nachteil ist.
    Kapern: Aber man kann ja wenigstens mit diesem Gefühl spielen im Wahlkampf.
    Hardt: Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee wäre, das zu tun. Ich glaube, dass die Kanzlerin das genau deshalb getan hat, weil sie diesen Weckruf an uns alle richten möchte, dass wir die Idee Europas, der europäischen Einigung nicht aufgeben sollen, auch nicht in Phasen, wo wir Schwierigkeiten haben mit dem Euro und mit dem Brexit, sondern dass das gerade auch eine Chance für uns ist, uns enger zusammenzuführen. Und ich glaube, dass das Thema, wie geht es weiter mit Europa und wie kann es weitergehen mit einem starken Deutschland in einem starken Europa, dass das das zentrale Thema des Wahlkampfs sein wird. Ich glaube, in dieser Hinsicht war der Beitrag ein guter und wichtiger Beitrag, und ich würde gerne im Wahlkampf über die Zukunft Europas diskutieren, was automatisch bedeutet, dass wir uns auch über die Frage unterhalten, wie steht es mit unserem Verhältnis zu unseren sonstigen Freunden außerhalb des Kontinents.
    Kapern: … sagt Jürgen Hardt, der Koordinator für die transatlantischen Beziehungen, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Hardt, danke für das Gespräch. Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.
    Hardt: Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.