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Deutsch-russischer Dialog
"Die Beziehungen sind mehr als abgekühlt"

Die Zeiten von Partnerschaft oder gar Freundschaft zwischen Deutschland und Russland sind nach Ansicht des SPD-Politikers Matthias Platzeck vorbei. Im Dlf sagte der Vorsitzende des deutsch-russischen Forums, nun müsse es darum gehen, wenigstens wieder mehr Berechenbarkeit hinzubekommen.

Matthias Platzeck im Gespräch mit Dirk Müller | 08.10.2018
    Matthias Platzeck, Vorstandsvorsitzender des deutsch-russsichen Forums, am rednerpult bei einer Veranstaltung in Krasnodar.
    Matthias Platzeck ist Vorstandsvorsitzender des deutsch-russsichen Forums. (imago stock&people)
    Dirk Müller: Mit der Besetzung der Krim vor gut vier Jahren hat das Ganze wieder angefangen, die Spannungen mit Russland. Dann kommt der Krieg in Syrien dazu, der Fall Skripal in Großbritannien, die angeblichen Cyber-Attacken auf die USA, auch auf Deutschland, auf den Bundestag. Der Westen antwortet mit weit reichenden Sanktionen. Einige Vertreter aus Deutschland und Russland versuchen nun, im Gespräch zu bleiben, zu diskutieren, die Standpunkte auszutauschen. Sie treffen sich im Rahmen des Petersburger Dialogs, der diesmal in Moskau stattfindet.
    Trotz dieses Petersburger Dialogs – Thielko Grieß hat das gerade beschrieben: Vorbei sind die Zeiten, als ein deutscher Kanzler Wladimir Putin zum Freund erklärt hat. Jetzt sind wir inmitten eines kalten, eines heißen, eines virtuellen Krieges, argumentieren jedenfalls viele Beobachter. Noch einmal die Stichworte: Ostukraine, Syrien, Skripal, die Cyber-Attacken. Der frühere Ministerpräsident von Brandenburg setzt sich als Chef des Deutsch-Russischen Forums dafür ein, dass beide Seiten aufeinander zugehen, Matthias Platzeck. Wir erreichen Matthias Platzeck an diesem Morgen in Moskau. Guten Morgen!
    Matthias Platzeck: Ich grüße Sie! – Guten Morgen, Herr Müller.
    "Begonnen, seine Interessen deutlich zu formulieren"
    Müller: Herr Platzeck, warum ist Russland so aggressiv?
    Platzeck: Ich glaube, dass hier dem Ganzen eine längere Geschichte unterliegt. Die schaffen wir jetzt auch in der Zeit nicht aufzuarbeiten. Was man sehr deutlich wahrnimmt ist, dass Russland begonnen hat, das schon einige Jahre, sehr klar und deutlich seine eigenen Interessen zu formulieren und auch relativ robust zu vertreten. Wir hatten uns abgewöhnt - das war insbesondere in den 90er-Jahren, als Russland am Boden lag, aber auch noch in den Nuller-Jahren -, dass so was wiederkommt, hätten es aber mit etwas Weitsicht im Kalkül behalten können, denn es ist nun mal das größte Land der Erde und da werden eigene Interessen, die uns übrigens durchaus nicht gefallen müssen, früher oder später auch wieder hochkommen, und das ist jetzt der Fall. Und um es mal etwas salopp zu formulieren: Ein hochrangiger russischer Vertreter, mit dem wir sehr lange schon uns austauschen, hat gesagt: Weißt Du, wir haben immer darauf geachtet, lange Zeit darauf geachtet, was für Noten ihr uns gebt, in Westeuropa insbesondere, für das, was wir tun. Die Zeiten sind jetzt vorbei. Wir machen, was wir für richtig halten. Welche Noten ihr dann gebt, das ist eure Sache, aber es interessiert uns nicht. Es hat sich wirklich verhärtet und trotzdem bleibt der eine Satz von Egon Bahr wahr: Russland liegt unverrückbar mit uns auf einem Kontinent. Heißt auf Deutsch: Wir können es uns gar nicht aussuchen. Wir müssen immer und immer wieder versuchen, vernünftige Nachbarschaft wenigstens zu organisieren.
    Müller: Aber ist das so, Herr Platzeck, wie Sie es gerade formuliert haben? Wenn die Russen wieder beginnen, ihre eigenen Interessen zu formulieren und ihre eigenen Interessen durchzusetzen, dann ist das schlecht für Deutschland und für Europa?
    Platzeck: Noch mal: Ich halte es nicht für unnormal, dass Interessen formuliert und auch der Versuch gemacht wird, sie durchzusetzen. Es gibt ja den alten Spruch, die drei Triebfedern der Politik sind Interessen, Interessen und Interessen. Das ist ja nicht nur bei den Russen so; das können wir ja auch anderswo beobachten. Auch unsere amerikanischen Partner sind ja weltweit dafür bekannt, dass sie durchaus auch eigene Interessen relativ robust vertreten. Das ist so!
    Wir müssen jetzt sehen, wo wir Schnittmengen finden – ich sage es noch mal -, um wenigstens... ich rede nicht mehr über Partnerschaft, Freundschaft oder solche Dinge. Tut mir zwar weh, aber die Zeiten sind vorbei. Aber wir müssen - früher nannte man so was friedliche Koexistenz - wenigstens wieder mehr Berechenbarkeit hinkriegen, und da – es war ja im Bericht schon deutlich angeklungen – gibt es im Moment ein Schlüsselprojekt und das hat man gestern den ganzen Abend bis in die Nacht hinein bei den Debatten gemerkt, von dem viel abhängt, von dem ausgehend aber auch einiges danach möglich sein wird, und das ist die Frage Northstream II. Da ist mehr als nur ein wirtschaftlicher Gehalt drin. Für die Russen ist es wie gesagt eine Schlüsselfrage geworden und ich könnte mir durchaus vorstellen, wenn man das einigermaßen gut bewerkstelligt kriegt, auch in Absprache mit der Ukraine, dann sind vielleicht auch andere Deeskalationsschritte danach durchaus denkbar.
    Engagierte Reden von Altmaier und Schwydkoj
    Müller: Das heißt, Deutschland akzeptiert das alles - ich habe das eben noch mal aufgezählt: Ukraine, Syrien, Skripal, Cyber und so weiter -, weil wir brauchen das Gas aus Russland?
    Platzeck: Ich glaube, so kann man es eigentlich nicht beschreiben, sondern Realpolitik hat ja immer damit zu tun, das anzustreben, was in irgendeiner Form vielleicht auch erreichbar ist, was möglich ist und was den Menschen auf beiden Seiten dient. Ich glaube, in diesem Zusammenhang bleibt uns letztlich nichts weiter übrig, als zu sagen, wir betonen unsere Interessen ja auch, wir sagen auch, wo wir anderer Meinung sind. Das ist gestern in übrigens sehr engagierten Reden von Peter Altmaier und auch dem russischen Redner Schwydkoj passiert. Dieser engagierte Stil der Redner hat sich auch in der Debatte dann bis in die Nacht fortgesetzt. Aber wir müssen dabei auch versuchen, die andere Seite, ohne eigene Werte und Ansichten aufzugeben, wenigstens zu verstehen. Schwydkoj hat gestern in seiner Rede sehr klar und deutlich – und ich glaube, das ist eine gute Basis, um miteinander auch Klartext zu reden und dann auch vielleicht Lösungen zu finden – gesagt, ja, sie leben anders in Russland, ein anderes Wertesystem, ein konservativeres Gesellschaftsgefüge. Das ist nicht unbedingt vergleichbar mit unseren westlich-liberalen Werten und wir sollen uns auf Deutsch daran gewöhnen, dass da erhebliche Unterschiede sind, und auf der Basis dann den Versuch machen, Gemeinsamkeiten herauszufiltern.
    Peter Altmaier (CDU), Wirtschaftsminister, spricht zum Auftakt des Petersburger Dialogs.
    Sehr engagierte Rede in Moskau: Peter Altmaier (Christian Thiele/dpa)
    Wir haben vor wenigen Tagen gerade eine große Veranstaltung mit dem russischen Außenminister Lawrow in Berlin gehabt, mit 800 Menschen, die engagiert – es ging gerade das Städtepartner-Jahr zu Ende – in Russland und Deutschland auf der zivilgesellschaftlichen Ebene zum Beispiel bei Städtepartnerschaften versuchen, genau diese Gemeinsamkeiten zu leben. Wir werden uns auch in Zukunft brauchen. Wir verschwinden, weder die Europäische Union, noch Russland, ja nicht aus dieser Welt. Deshalb ist dieser andauernde Dialogversuch die einzige Variante, wie wir zu der vorhin schon erwähnten größeren Berechenbarkeit und Vorhersehbarkeit kommen können. Und wir dürfen auch nicht aufhören dabei, den anderen verstehen zu wollen, wenigstens zu begreifen, warum tut er das, was er tut, was uns in Teilen nicht gefällt, aber was sind die Triebkräfte und was sind die Ausgangspositionen.
    Müller: Das tun Sie ja seit vielen Jahren, Matthias Platzeck. Auch hier im Deutschlandfunk haben wir häufig darüber geredet. Aber ich möchte noch mal das Stichwort aufgreifen, was Sie eben genannt haben: Es ist nicht mehr die Rede von Partnerschaft, sagen Sie. Es ist nicht mehr die Rede von Freundschaft. Das hat sich bei unseren Gesprächen auch hier an dieser Stelle in den "Informationen am Morgen" dann offenbar in den vergangenen Jahren auch bei Ihnen ja doch sehr massiv verändert. Vor zwei, drei Jahren haben Sie noch ganz klar gesagt, Russland ist nach wie vor ein wichtiger relevanter Partner. Ist Russland inzwischen fast wieder zu einem Feind geworden?
    Platzeck: Nein, das ist es nicht. Aber ich meine jetzt, dieser positive Anklang, den wir ja jahrelang hatten, das ging ja von Partnerschaft schon fast in Freundschaft über. Das hat sich deutlich gedreht. Die Beziehungen sind mehr als abgekühlt. Das kann man überhaupt nicht anders beschreiben.
    Müller: Also brauchen wir nicht mehr auf Gerhard Schröder hören?
    Platzeck: Deshalb ist es heute noch wichtiger, wirklich noch wichtiger, dass möglichst viele Brücken erhalten werden - es sind nicht mehr so übermäßig zahlreiche – und dass vielleicht ein paar neue dazukommen. Denn es geht auch, Herr Müller, und immer wieder – und das sollten wir nicht vergessen – um den Erhalt des Friedens - man kann es nicht kleiner sagen – auf unserem Kontinent für die Zukunft, und dazu gehört ein Mindestmaß an Miteinander, ein Mindestmaß an Vertrauen, was sehr schwer beschädigt ist, und ein Mindestmaß an Teilmengen, die man gemeinsam bearbeiten kann. Und da, noch mal gesagt, kann Northstream II ein echtes Schlüsselprojekt für unsere Beziehungen werden und ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass, wenn das gelingt, wir eventuell auch in der Ostukraine einen Schritt vorankommen (hat übrigens Altmaier gestern auch sehr deutlich formuliert) und auf der Basis dann vielleicht wieder ein Stück näher zusammenkommen.
    Es geht um gegenseitige Interessenlagen
    Müller: Wie passt das denn zusammen? Ich verstehe das noch nicht ganz. Wir erlassen Wirtschaftssanktionen, ganz Europa, die Amerikaner tun das auch, und dann reden wir über diese Gaslieferungen, über diese Gas-Pipeline. Wie inkonsequent ist das?
    Platzeck: Ich glaube nicht, dass das inkonsequent ist, sondern hier geht es wirklich um gegenseitige Interessenlagen, die sich hier treffen. Es war gestern auch eine putzige Erkenntnis, dass drei Co-Vorsitzende der Kommission, die im Moment ja im Bund daran arbeitet, wie es mit dem Kohleausstieg vorangeht, nämlich Pofalla, Tillich und Platzeck, mit dem Wirtschaftsminister zusammen waren, und das traf sich von daher, weil natürlich auch unsere energiepolitischen Vorstellungen in Deutschland, zum Beispiel, dass die Kohle nicht mehr unendlich lange zur Verfügung steht, natürlich auch sehr deutlich andere Erfordernisse dann generieren. Zu den Erfordernissen gehört dann auch für eine lange Übergangszeit eine vernünftige und stabile Gasversorgung.
    Und, Herr Müller, eines sollten wir nicht vergessen, wenn wir vorhin über Interessen gesprochen haben. Da ist ja keiner jungfräulich. Wenn unsere amerikanischen Kollegen sehr heftig dafür werben, kein russisches Gas zu nehmen, dann hat das wenig mit Menschenrechten oder anderen Dingen zu tun, sondern einfach ganz klare wirtschaftliche Gründe, weil sie ihr Gas gerne an uns verkaufen würden.
    Müller: Aber es gibt ja auch das Argument der politischen Abhängigkeit dadurch – nicht ganz von der Hand zu weisen.
    Platzeck: Ja! Aber wir sind doch, wenn man sich mal ganz nüchtern jetzt anschaut, wie die Welt sich in Kürze entwickeln wird - Teile der Bundesregierung waren gerade in Israel; Israel hat riesen Gasvorkommen bei Zypern entdeckt und schon erschlossen, hat ein großes Interesse, das auch Richtung Europa, auch an uns zu verkaufen. Wir haben die amerikanischen Angebote. Was kann einer Volkswirtschaft Besseres passieren, als mehrere Angebote zu haben, Northstream II, das russische Angebot, und daraus einen vernünftigen Preis zu generieren. Ich möchte auch einfach dafür plädieren, nüchtern zu bleiben und zu sagen, wo ist da, mal etwas profan, aber deutlich gesagt, unser Vorteil. Ich sehe da keinen Nachteil, keine Abhängigkeit, sondern eine zusätzliche Entwicklungschance auch für unsere Volkswirtschaften in Europa.
    Müller: Herr Platzeck, gehen wir beide vielleicht jetzt an dieser Stelle auch noch mal nüchtern in den Bauch, nüchtern in den Magen. So früh am Morgen haben wir beide vielleicht noch nicht so viel gegessen. Ihr Bauchgefühl, das war immer eine Antriebskraft, eine Antriebsfeder für Sie, haben Sie auch gesagt. Man muss auch ein bisschen Politik mit dem Bauch machen. Wenn wir jetzt nach zehn Minuten Gespräch ein Resümee ziehen, dann kommt mir der Eindruck, dass Sie das anders argumentieren als noch vor zwei, drei Jahren. Das habe ich schon erwähnt. Sind Sie frustriert?
    Platzeck: Ich neige nicht zu Frustration, Herr Müller. Dazu war ich auch viel zu lange in der Politik. Ich versuche, immer wieder Emotionen nur soweit zuzulassen, wie es sinnvoll und angemessen ist. Und wenn Sie mich nach meinen Emotionen fragen, nach meinen Bauchgefühlen: Ich mache es aus innerem Antrieb, wegen dem vorhin genannten Friedenserhalt und weil wir, wie Schwydkoj gestern sagte, eine tausendjährige Geschichte haben, unsere beiden Völker. Es gibt keine zwei Völker auf dieser Welt, die so eng und so lange und so vielfältig verwoben sind, mit unheimlichen Höhen und unsagbaren Tiefen. Und ich möchte nicht, dass dieses abreißt. Wir sind im Moment in einer Episode, historisch gesehen ist das eine verschwindend kurze Zeit, und ich möchte meinen kleinen Beitrag leisten – jeder Mensch kann ja nur ein kleines Mosaiksteinchen dazufügen -, dass hier nicht noch mehr kaputt geht. So erfolglos das im ersten Moment jetzt vielleicht auch scheinen mag, aber wenn Sie mich eben schon gefragt haben, ich bleibe da positiv gestimmt und lasse mich da auch nicht irritieren oder frustrieren.
    Müller: Matthias Platzeck (SPD), Chef des Deutsch-Russischen Forums. Vielen Dank für dieses Gespräch. Danke nach Moskau und Ihnen noch gute Gespräche.
    Platzeck: Danke Ihnen auch. Einen schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.