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Deutsch-türkische Gesellschaft erhofft positive EU-Beitrittssignale aus Deutschland

Der Vorsitzende der deutsch-türkischen Gesellschaft, Vural Öger, erhofft sich von der deutschen EU-Ratspräsidentschaft positive Signale für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei. In der Europäischen Union werde derzeit versucht, die Türkei mit allen Mitteln von einer Aufnahme in die EU abzuhalten, sagte Öger. So führe der französische Gesetzentwurf zur Armenienfrage dazu, die Reformbereitschaft in der Türkei herabzusetzen.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Gestern machte die französische Nationalversammlung von sich reden. Sie billigte mehrheitlich ein Gesetz, das die oppositionellen Sozialisten eingebracht hatten. Es stellt die Leugnung des Völkermordes an den Armeniern vor 90 Jahren im damaligen osmanischen Reich unter Strafe. Die heutige türkische Regierung erkennt diese von vielen Völkerrechtlern bekundeten Massaker nicht als Genozid an. Sie drohte im Vorfeld mit Wirtschaftssanktionen gegen Paris. - Am Telefon ist nun der türkischstämmige deutsche Unternehmer Vural Öger. Er sitzt für die SPD im Europaparlament und ist Vorsitzender der Deutsch-Türkischen Stiftung. Guten Morgen Herr Öger!

    Vural Öger: Guten Morgen!

    Engels: Wie bewerten Sie das gestern in Frankreich auf den Weg gebrachte Gesetzesvorhaben?

    Öger: Das ist eine sehr unglückliche Entscheidung mit weitgehenden Folgen. Ich verurteile, dass Frankreich des Descartes und Voltaire so eine Entscheidung gegen die Meinungsfreiheit zunächst einmal getroffen hat. Sie ist sehr populistisch und orientiert sich innenpolitisch.

    Engels: Gestern wurde ja auch der Literatur-Nobelpreis an den türkischen Schriftsteller Pamuk verliehen, einen Literaten, der die türkische Führung dafür kritisiert, die Massaker an Armeniern während des osmanischen Reiches zu negieren. Wie beurteilen Sie das? Wie kommt das in der Türkei an?

    Öger: Ich bewundere seinen Mut. Das hat er auch zu Recht gesagt. Ich bin auch, wie Sie gerade sagten, als türkischstämmiger Deutscher sehr stolz, dass zum ersten Mal in der Geschichte ein Türke einen Nobelpreis bekommen hat. Meine Anerkennung gilt ihm und ich werde heute auch meinen Dank zum Ausdruck bringen. Ich finde es hervorragend. Ich finde es auch eine richtige Zeit, denn es gibt genügend Kräfte in der Türkei, die hinter ihm standen und die sich auch in der armenischen Frage in der Vergangenheit auch ähnlich geäußert haben. Daher finde ich das eine sehr richtige und sehr weise Entscheidung.

    Engels: Weshalb tut sich denn die türkische Regierung so schwer damit, die Massaker an den Armeniern als Völkermord anzuerkennen? Von internationalen Institutionen wird das ja als solches bewertet.

    Öger: Die Türkei bestreitet, dass es sich um einen Völkermord handelt. Viele Historiker wie zum Beispiel der weltberühmte Historiker Werner Trillmich und viele andere auch meinen, es war kein Völkermord, es war ein Verbrechen. Ich glaube ohne die armenische Diaspora, die ständig mit diesem Thema kommt und in der Vergangenheit sehr viele türkische Diplomaten im Ausland getötet hat, umgebracht hat, ohne die Zuspitzung dieses Themas wäre die türkische Regierung auch in der Vergangenheit sehr bereit gewesen, sich zu diesem Thema zu äußern im Sinne des Geschehens. Die Türken meinen, ohne den historischen Kontext kann man das nicht so sehen. Die Türken meinen, die Armenier in Istanbul, im westlichen Anatolien sind ihrer Arbeit nachgegangen, da passierte nichts und es waren eben die Armenier, die sich im Krieg gegen Russland an die Seite der Russen geschlagen haben, dass die Türken im Ersten Weltkrieg, die Osmanen, die Armenier vertreiben mussten, um im Krieg gegen die Russen sozusagen nicht hinter der Front die armenische Guerilla zu haben. Dass das sehr hart war, das ist völlig klar. Ich glaube die Türken, auch die Regierung, hätten sich besonnener verhalten, wenn nicht solche Entscheidungen und überhaupt solche Bewegungen der armenischen Diaspora weltweit erfolgt wären.

    Engels: Die Diaspora ist das eine, aber in der Tat wird von vielen Völkerrechtlern und den internationalen Institutionen dieser Völkermord an den Armeniern als solcher gewertet. Aber wie ist denn jetzt auf dieses französische Vorhaben zu reagieren? Da wurden ja im Vorfeld von Ankara Wirtschaftssanktionen gegen Paris angedroht. Ist das angemessen?

    Öger: Ja gut, ich hoffe, dass die Türken besonnener reagieren. Sie sollten eigentlich wirklich in einem rechtlichen Rahmen reagieren und so reagieren, dass man nicht wieder über die Türkei herfällt. Das muss ich offen sagen. Zunächst mal ist das ein Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. Die Meinungen darüber sind wie gesagt sehr umstritten. Diese Entscheidung dient aber nicht dazu, dass die Türken und Armenier zusammenkommen, sich zu der Geschichte bekennen und zukunftsgerichtete Politik gemeinsam betreiben können. Das ist keine Ermutigung: weder an die türkische Seite noch an die andere Seite. Es ist auch nicht zukunftsträchtig. Ein englischer Diplomat hat gesagt, wenn jedes EU-Land sich der Vergangenheit stellen müsste und sich erst mal für die Verbrechen der Vergangenheit entschuldigen müsste, dann würde sich das Europäische Parlament auflösen. Letzten Endes wissen wir, was die Franzosen in ihren Kolonien in der Vergangenheit getan haben, und das war nicht ein Thema. Im Falle der Türkei versuchen die Türkei-Gegner, die die Türkei nicht in der EU haben wollen, immer in der Weltgeschichte herumzurühren. Das ist kontraproduktiv und diese Entscheidung ist in jeder Hinsicht auch gegen die Interessen Frankreichs, gegen die Interessen der EU. Es ist überhaupt ein weiterer Schritt in Richtung Clash of civilization, denn die türkische Bevölkerung - ich habe gestern sehr viele Anrufe bekommen -, die bürgerlichen elitären Türken geben nationalistische Töne von sich, während die Landbevölkerung immer Richtung Islam läuft. Das kann nicht in unserem Interesse sein. Diese Entscheidung ist kontraproduktiv gegen uns.

    Engels: Herr Öger, wird die Armenien-Frage auch in Sachen EU-Beitritt - da laufen ja die Verhandlungen, sollen zumindest dann konkreter werden - beeinflussen und was erwarten Sie in dieser Hinsicht von Deutschland, was ja die EU-Ratspräsidentschaft im Januar übernimmt?

    Öger: Die Armenien-Frage direkt sicher nicht, denn im Europäischen Parlament, dessen Mitglied ich bin, wurde eigentlich abgelehnt, dass man neue politische Kriterien in die Verhandlung einführt. Aber was es bringen wird sind die Konsequenzen. Ich weiß, dass es heftige Konsequenzen in der Türkei geben wird. Das wird den Reformprozess in der Türkei auf alle Fälle verlangsamen. Die Bereitschaft, sich anstrengen zu müssen, wird geringer. Es werden sicher gegen den Westen generell gewisse Strömungen noch mehr entstehen. Das heißt der Prozess als solcher wird negativ beeinflusst, nicht im primären Sinne, dass die Armenien-Frage als eine Frage noch mal erscheint. Ich hoffe natürlich, dass während der Präsidentschaft Deutschlands von dort besonnene Stimmen kommen, dass gewisse positive Signale in Richtung Türkei geschickt werden, wenn man überhaupt die Türkei in der Europäischen Union haben will. Denn was zurzeit geschieht ist natürlich: Wie vergräme ich eigentlich, was mache ich, damit die Türken von sich aus dann aussteigen. Es sind nur noch negative Signale und man konzentriert sich innerhalb der Europäischen Union derzeit hauptsächlich auf die Schwächen des Landes, auf die Fehler und man macht nicht den Mut zur Veränderung. Das verursacht Unlust in der Türkei, um die Reformen voranzuschreiben, was wiederum gegen unsere Interessen ist.

    Engels: Besten Dank! - Das war Vural Öger. Er sitzt für die SPD im Europaparlament und ist Unternehmer.