Orbáns Paradies
Warum Deutsche nach Ungarn auswandern

Hohe Inflation, Korruption und schlechte Gesundheitsversorgung – trotz dieser Bedingungen entscheiden sich zunehmend mehr Deutsche, nach Ungarn auszuwandern. Auch Viktor Orbáns „illiberale“ Politik schreckt sie nicht.

    Blick auf ein großes Haus in einem Feld, im Hintergrund ist der Plattensee (Balaton) zu sehen.
    Günstig, naturnah und ruhig wohnen - das sind nicht die einzigen und wichtigsten Gründe für Deutsche, nach Ungarn auszuwandern (Imago / Funke Foto Services / RetoxKlar )
    Während viele junge Ungarn das Land verlassen, wandern mehr und mehr Deutsche ein. Viele von ihnen ziehen in die ländliche Region rund um den Balaton, in Dörfer, die die Jungen in Richtung Stadt oder Ausland verlassen haben.
    Bis zu 4.000 Deutsche jährlich melden inzwischen beim ungarischen Meldeamt einen Wohnsitz an. Anfang der Nullerjahre waren es nur einige Hundert im Jahr. Wer sind die Menschen, die aus Deutschland nach Ungarn kommen? Und warum tun sie das?

    Multikulturalität als Zumutung

    Es sind überwiegend ältere Deutsche, die nach Ungarn auswandern. Mehr als 14.000 deutsche Staatsbürger lassen sich ihre Rente auf ein ungarisches Konto auszahlen. Daneben kommen aber auch Familien mit Kindern, die sich im Osten Europas ein neues Leben aufbauen wollen. Nicht wenigen von denen, die in den vergangenen Jahren gekommen sind, ist offenbar eine konservative und migrationskritische Haltung sowie ein christliches Weltbild gemeinsam.
    Im heutigen Deutschland fühlen sich diese Menschen nicht mehr zu Hause. Multikulturalität empfinden sie als Zumutung. Wer mit ihnen spricht, kann Klagen über eine in Deutschland angeblich herrschende „Cancel-Culture“ hören, eine Einschränkung der Meinungsfreiheit.
    Gegenüber dem Deutschlandfunk berichten Auswanderer auch, dass zuletzt immer mehr Reichsbürger, Impfgegner und Verschwörungsgläubige aus Deutschland nach Ungarn gekommen seien. Mehrere Medienberichte bestätigen das.
    Wie hoch der Anteil dieser Menschen an den Zugewanderten ist, lässt sich allerdings nicht sagen.

    Klagen über wachsende Kriminalität und Gewalt

    Im Deutschlandfunk nennen Auswanderer den hohen Anteil an Migranten als einen Grund für ihre Übersiedelung nach Ungarn. Sie beklagen eine Zunahme von Kriminalität und Gewalt, wie Messerattacken oder Vergewaltigungen. Eine Frau, die derartige Vorfälle selbst nicht erlebt hat, berichtet, dass sie sich in Deutschland extrem unsicher gefühlt habe.
    Hinzu kommt Frust über die Politik in Deutschland, insbesondere über die Flüchtlingspolitik. Wer mit den Auswanderern spricht, hört aber auch Klagen über eine als zu „woke“ empfundene Gesellschaft. Ein Mann, der in Deutschland Kabarettist war, kritisiert die seiner Ansicht nach eingeschränkte Meinungsfreiheit. „Hier wird niemand bestraft, weil er den Orbán Schwachkopf nennt“, sagt er.
    Ungarn wird von diesen Auswanderern dagegen als sicheres, freies und friedliches Land beschrieben, in dem man entspannt und sorgenfrei leben könne: Man müsse sich dort nicht vor Überfällen oder Anschlägen fürchten.

    Migrations- und queerfeindliche Regierungspolitik

    Dass die Regierung Orbán seit Jahren demokratische Grundrechte untergräbt, freie Meinungsäußerungen in den Medien einschränkt sowie mit ihrem migrationsfeindlichen Vorgehen gegen EU- und Menschenrechte verstößt, stört die Auswanderer offenbar nicht.
    In jüngster Zeit richtet sich Orbáns Politik nicht mehr nur gegen Migranten, sondern immer stärker gegen Menschen, die sich als schwul, lesbisch, trans oder anders queer identifizieren. Dies geschieht nicht nur durch Gesetze, sondern auch mit Anfeindungen und Negativberichten im staatlich kontrollierten Rundfunk. Inzwischen ist im Land eine Stimmung entstanden, in der sich viele LGBTQ+-Personen nicht mehr sicher fühlen.

    Ungarn ist für deutsche Auswanderer günstig

    Definitiv attraktiv sind für deutsche Auswanderer die wirtschaftlichen Bedingungen. Immobilien rund um den Balaton etwa sind im Vergleich zu den Preisen in Deutschland günstig. Große Grundstücke und Häuser lassen sich zu moderaten Preisen erwerben. So bekommt man etwa für rund 167.000 Euro ein Haus mit fast 200 Quadratmetern Wohnfläche und einem etwa 2.000 Quadratmeter großen Grundstück – naturnah und sehr ruhig.
    Trotz der ländlichen Lage ist die Versorgungsinfrastruktur in der Umgebung gut: In der Kleinstadt Gyenesdiás am Balaton etwa gibt es viele Filialen bekannter deutscher Supermarktketten und Drogeriemärkte.
    Dass sie Abstriche bei der Gesundheitsversorgung machen müssen, scheint Ungarn-Auswanderer generell nicht zu stören. Der Euro Health Consumer Index führt Ungarn nur auf dem drittletzten Platz. Doch bei Bedarf bleibt eine medizinische Behandlung in Deutschland weiter eine Option: Die deutsche Staatsbürgerschaft wollen offenbar viele Auswanderer nicht aufgeben.
    Sehr willkommen ist auch die Rente aus Deutschland, mit der sich Auswanderer mehr leisten können als die einheimische Bevölkerung. Zumal die Kaufkraft der Ungarn in den vergangenen Jahren unter Orbán gesunken ist. Beim Durchschnittslohn wurde das Land inzwischen sogar vom früher deutlich ärmeren Rumänien überholt.

    Deutsche bringen Kapital ins Land

    In den von Abwanderung geprägten ländlichen Regionen rund um den Balaton führt der Zuzug deutscher Auswanderer zum Teil zu einer Wiederbelebung der Dörfer. Deutsche Käufer bringen Kapital ins Land und tragen dazu bei, dass auch die Orte saniert und verschönert werden.
    Auch die lokale Wirtschaft, Firmen wie etwa Auswanderungsagenturen und der Immobilienmarkt profitieren. Laut Barbara Pazeller, einer Immobilienmaklerin, die sich auf deutsche Auswanderer spezialisiert hat, werden die teureren Häuser und Villen rund um den Balaton aber weiterhin fast ausschließlich von reichen Ungarn gekauft.
    Zugleich entwickelt sich durch die deutschen Neuankömmlinge, die weitgehend unter sich bleiben, eine Art kulturelle Parallelgesellschaft. Es gibt Berichte darüber, dass Rechtsextremisten dieses Milieu zu nutzen versuchen, um ihre Agenda zu verbreiten und Unterstützer zu gewinnen.

    Bei Orbán sind Migranten aus dem Westen willkommen

    Offenbar fühlen sich die Ausgewanderten in ihrer Wahlheimat wohl. Und bei der Regierung Orbán sind Migranten aus dem Westen sehr willkommen. Der Ministerpräsident propagiert die Aufnahme wohlhabender Westeuropäer als Gegenbild zu Migration aus dem Süden.
    In einem Interview mit der „Budapester Zeitung“ im Jahr 2022 sagte Orbán: „In den kommenden zehn bis zwanzig Jahren werden immer mehr Westeuropäer zu uns kommen, die lieber bei uns wohnen, weil Ungarn ein sicheres, christliches und traditionsbewusstes Land ist. Das halten wir nicht für schlecht, sondern für ausgesprochen gut und begrüßenswert.“

    ww