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Deutsche Buchhandlung in Istanbul
Türkisch sprechen, Deutsch lesen

Türkisch versteht und spricht er gut, das Lesen und Schreiben überlässt der Istanbuler Buchhändler Thomas Mühlbauer lieber den türkischen Mitarbeitern seiner alteingesessenen deutschen Buchhandlung. Auch wenn er in der Türkei aufgewachsen ist, sieht Mühlbauer sich als Deutscher.

Von Susanne Güsten | 08.08.2019
Blick in die deutsche Buchhandlung in der Istiklal Caddesi im Stadtteil Beyoglu in Istanbul
Seit 1955 gibt es die deutsche Buchhandlung am zentralen Istiklal-Boulevard in Istanbul (picture alliance/dpa/Frank Heuer)
In der deutschen Buchhandlung in Istanbul geht es zu wie im Taubenschlag – statt Bibliotheksruhe herrscht Hochbetrieb. Inhaber Thomas Mühlbauer ist in seinem Element. Ein Deutsch-Lehrbuch möchte die Kundin kaufen, genauer: Aspekte neu B1 plus, Teilband 2, für einen Deutschkurs am Goethe-Institut. Mühlbauer greift routiniert in sein Regal. Schulbücher machen den überwiegenden Teil seines Geschäfts aus, erzählt der Buchhändler. Neuerdings führt er aber auch andere Waren im Sortiment:
"Wir haben also Sesambrötchen, Mohnbrötchen, Kaiserbrötchen und Brezeln, Laugenstangen mit Käse und ohne, Nussecken, Berliner und die Brote…"
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe "Integration in der Türkei - Leben mit der Zuwanderung".

Zum 60-jährigen Bestehen hat die deutsche Buchhandlung vor vier Jahren ausgebaut und ist Buch-Café geworden. Zwischen den Bücherregalen kann man jetzt Kaffee trinken und dazu deutsches Gebäck essen. Hausgemacht, betont Mühlbauer:
"Der Bienenstich kommt zum Beispiel von meiner Schwägerin, dann gibt es Schwarzwälder Kirsch, Apfelkuchen, Käsekuchen, Streusel…"
In Istanbul hängengeblieben
Ein Familienbetrieb ist der deutsche Buchladen in Istanbul, seit er 1955 von Mühlbauers Vater gegründet wurde. Der wollte nach der Entlassung aus russischer Kriegsgefangenschaft eigentlich in den Iran, um sich ein neues Leben aufzubauen, blieb unterwegs aber in Istanbul hängen, weil es ihm dort gefiel.
Nach ein paar Jahren als Angestellter einer Buchhandlung gründete er seinen eigenen Laden und suchte per Anzeige in Deutschland nach einer Mitarbeiterin – sie wurde dann seine Frau. Ihre Kinder, also Thomas Mühlbauer und seine Brüder, wuchsen in der Wohnung über dem Buchladen mitten in Istanbul auf. Perfekt integriert also? So einfach sei das nicht gewesen, erklärt Mühlbauer:
"Leider haben wir in der Schule nie Türkischunterricht gehabt. Also, wir haben zu Hause immer Deutsch gesprochen, in der Schule immer Deutsch."
Türkisch nur nach Gehör gelernt
Die deutsche Schule von Istanbul war das, sie liegt um die Ecke vom Buchladen und hat heute immerhin zwei Wochenstunden Türkisch im Stundenplan. Thomas Mühlbauer musste sich die Landessprache noch von Kindern aus der Nachbarschaft und aus Radio und Fernsehen aneignen – rein nach Gehör.
"Deswegen habe ich auch meine Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben des Türkischen. Wenn man vom Sprachniveau ausgeht: Hören und Sprechen ist annähernd C1, Lesen und Schreiben geht über A2 nicht hinaus."
C1, das bedeutet fortgeschrittene Kenntnisse, A2 heißt lediglich Grundkenntnisse. Das Lesen und Schreiben besorgen daher die Angestellten, mit den Kunden spricht der Chef selbst - ob auf Türkisch oder auf Deutsch.
Türkische Gastfreundschaft
Natürlich hat die Buchhandlung auch deutsche Kunden – so wie die Ärztin Ilay Topuz aus Baden-Baden, die bei jedem Besuch am Bosporus in der Buchhandlung vorbeikommt. Als Deutsche mit türkischen Wurzeln kennt Topuz beide Seiten:
"Ich denke, dass ein Gemüsehändler in Köln es gelegentlich schwerer hat als ein Deutscher hier, weil die Gastfreundschaft und auch der Stellenwert des Gastes in der türkischen Kultur ein ganz anderer ist als in Deutschland. Also das, was uns Angela Merkel mitgeteilt hat mit der Willkommenskultur, dass man die auch leben muss, das ist hier ein Teil der Gesellschaft, schon immer gewesen."
Mühlbauer kann das bestätigen. Seit 27 Jahren führt er den deutschen Laden an der zentralen Bummelmeile von Istanbul, und noch nie habe er ein abfälliges Wort oder einen ablehnenden Spruch gehört, erzählt der Buchhändler.
Menschenmenge auf der Istanbuler Einkaufsmeile Istiklal-Boulevard
Die deutsche Buchhandlung liegt an der zentralen Einkaufsmeile Istiklal-Boulevard in Istanbul (picture alliance/Design Pics/Alexander Macfarlane)
Beliebter Treffpunkt
Seit der Expansion zum Buch-Café ist der Laden sogar ein richtiger Hit geworden - einer der angesagtesten Treffpunkte für türkische Studenten in ganz Istanbul. Viele jungen Türken schätzen das Buch-Café explizit wegen des deutschen Umfeldes, so eine Gruppe von jungen Frauen mit Kopftuch, die um einen Cafétisch gedrängt an einem Bühnenskript feilen:
"Das ist so ein schöner Ort mit dieser kulturellen Atmosphäre. Manchmal begegnet man hier einem Deutschen, oder man blättert in einem deutschen Buch. Wir mögen es, an so einem multikulturellen Ort zu arbeiten."
Am nächsten Tisch büffeln aserbaidschanische Studenten über ihren Lehrbüchern für Erdöl- und Gasgewinnung - und über Tellern, auf denen nur ein paar Krümel übrig sind:
"Ich habe schon einige der deutschen Speisen hier probiert. Ich kann mir nicht merken, wie sie heißen, aber sie schmecken gut, und wir mögen die Atmosphäre hier."
Frankfurter Würstchen ohne Schweinefleisch
Gulaschsuppe steht auf der Speisekarte, wirft Mühlbauer ein, außerdem gibt es Frankfurter Würstchen. "Da ist aber kein Schweinefleisch drin. Das können wir uns nicht leisten." Verboten wäre das zwar nicht, fügt der Buchhändler hinzu, doch er fände das unpassend:
"Es ist in dem Bewusstsein, dass man hier ja Gast ist. Das sollte man respektieren und sich entsprechend verhalten. Das heißt nicht, dass man sich duckt, aber respektvoll."
Weißbier und Glühwein gibt es dagegen, denn Alkohol ist in der Türkei nicht so verpönt wie Schweinefleisch, und das Buch-Café hat eine Schank-Lizenz.
Hat Mühlbauer sich auch mit den politischen Grundwerten der Türkei so auseinandergesetzt, wie das von Zuwanderern in Deutschland erwartet wird?
"Das kann ich nicht behaupten, weil ich fühle mich hier immer noch als Deutscher. Von der Denkungsart hat man sich schon voll integriert, aber nicht vom Nationalbewusstsein."