Freitag, 19. April 2024

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Deutsche Firmen in China
"Nicht in Abhängigkeit von einem autoritären Regime geraten"

Angesichts der massiven Menschenrechtsverstöße in China müsse sich Deutschland andere Märkte in Asien stärker erschließen, sagte der FDP-Politiker Johannes Vogel im DLF. Deutsche Unternehmen dürften nicht von dem Unrechtssystem profitieren und müssten in der Lage sein, sich aus China zurückzuziehen.

Johannes Vogel im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 27.11.2019
13.09.2019, Berlin: Johannes Vogel (FDP) spricht bei der 113. Sitzung des Bundestages. Hauptthema der Sitzung der 19. Legislaturperiode sind die Beratungen der Einzeletats der Ministerien für Arbeit und Soziales und Gesundheit. Foto: Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Johannes Vogel (FDP), Vize-Vorsitzender der Deutsch-Chinesischen Parlamentariergruppe, plädiert für eine „Beyond China“-Strategie (ZB)
Tobias Armbrüster: China steht gerade international unter Beobachtung. Grund dafür sind die sogenannten "China Cables", die detaillierten Berichte über Menschenrechtsverletzungen in der Region Xinjiang. Unterdrückt werden dort vor allem die Uiguren. Mehr als eine Million von ihnen werden offenbar in Internierungslagern festgehalten. Jetzt ist diese Region im Nordwesten Chinas nicht irgendeine Region. Viele deutsche Unternehmen haben dort Werke oder Niederlassungen. Ganz vorne mit dabei auch der Volkswagen-Konzern mit einer eigenen Fabrik. Da fragen sich viele: Passt das zusammen, deutsche Firmen und ein solches Unrechtsregime?
Dokumente über Uiguren-Verfolgung - China unterdrückt systematisch
Schon länger vermuten Menschenrechtsorganisationen, dass in der chinesischen Provinz Xinjiang bis zu einer Million Uiguren in Umerziehungslagern leben müssen. Dokumente eines Journalisten-Konsortiums belegen das nun.
Wir wollen das besprechen mit dem FDP-Politiker Johannes Vogel. Er ist stellvertretender Vorsitzender der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen!
Johannes Vogel: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
"Auch Unternehmen haben eine ethische Verantwortung"
Armbrüster: Herr Vogel, passt das zusammen, deutsche Konzerne in so einer Region, in der offenbar Millionen Menschen drangsaliert, regelrecht interniert werden?
Vogel: Ja, es unterstreicht vor allem noch mal, wie tief und grundlegend der Systemkonflikt ist, in dem wir mit China stehen. Wir haben ganz unterschiedliche Blicke auf grundlegende Fragen. Aber Menschenrechte gelten universell. Davon sind wir im Westen fest überzeugt und deshalb können wir das in der Tat nicht einfach hinnehmen. Auch Unternehmen haben eine ethische Verantwortung und müssen sich dieser stellen.
Man muss natürlich ein bisschen fair sein. Zum Beispiel Volkswagen hat das Werk dort gebaut, als das chinesische Regime noch ein anderes war, bevor Xi Jinping, oder in der Anfangsphase von Xi Jinping. Und am Anfang hat VW auch vieles richtig gemacht, nämlich zum Beispiel gesagt, wir wollen dort auch explizit viele Uiguren beschäftigen, um denen auch Perspektiven zu geben und wirtschaftlicher Unterdrückung dieser Volksgruppe entgegenzuwirken. Aber klar sein muss: Kein deutsches Unternehmen darf direkt oder indirekt von diesem Unterdrückungssystem profitieren.
Arbeiter in einer Fertigunsstraße im VW-FAW-Werk in Changchun im Norden Chinas. 
Deutsche Unternehmen in China - Moralische Pflicht zum Rückzug?
Deutsche Unternehmen machen in China gute Geschäfte – auch in den Regionen, in denen muslimische Uiguren systematisch von der chinesischen Regierung unterdrückt werden. Ihr Engagement ist umstritten.
Armbrüster: Was erwarten Sie denn jetzt von Volkswagen?
Vogel: Erstens, dass die Unternehmen klipp und klar hier Transparenz schaffen, deutlich machen, ob das so ist, alles offenlegen. Und falls in irgendeiner Form direkte oder indirekte Profitierung stattfindet – die deutschen Unternehmen sagen, das ist nicht der Fall -, falls sich das doch anders herausstellt, muss man auch wirtschaftliche Konsequenzen ziehen. Adidas zum Beispiel hat ja gerade auch eine Zusammenarbeit mit einem Zulieferer beendet. Bei Siemens stellt sich die Frage mit Blick auf ein chinesisches Partnerunternehmen, was möglicherweise an Überwachungstechnik beteiligt ist. Da muss es eine klare rote Linie geben.
Unternehmen müssen notfalls Konsequenzen ziehen
Armbrüster: So was ist natürlich ein vergleichsweise einfacher Schritt, die Arbeit mit einem Zulieferer zu überdenken oder abzubrechen, oder auch Geschäftskontakte abzubrechen. Aber was passiert mit einem Unternehmen so wie VW, das eine komplette Fabrik hat? Würden Sie sagen, notfalls muss die dann auch dichtgemacht werden?
Vogel: Im Notfall ja, wenn es eine irgendwie direkte oder indirekte Beteiligung oder auch nur indirekte Profitierung an einem solchen Lagersystem oder an Zwangsarbeit gibt oder geben sollte. VW bestreitet das; ich habe keinen Grund, daran zu zweifeln. Aber sollte sich da irgendwas entwickeln auch in der Zukunft, dann muss man diese Konsequenz ziehen.
Ich glaube, generell ist es natürlich so: Es ist ein echter neuer Systemwettbewerb mit China, und das ist komplex. Ich glaube nicht, dass weniger wirtschaftliche Verflechtung hier grundsätzlich der Welt hilft. Ich glaube schon, dass Wandel durch Handel weiter ein Konzept ist, was man verfolgen sollte. Aber es muss rote Linien geben, das ist das eine. Und das zweite ist: Wir müssen auch ehrlich darüber reden, dass wir als Bundesrepublik und die deutsche Wirtschaft auch eine Art "Beyond China"-Strategie braucht, weil insgesamt ist China ja nicht nur in Xinjiang, sondern insgesamt ein autoritäres System. Die bauen auch im Rest des Landes zum Beispiel Verhaltenssteuerungsinstrumente mit einem Social Credit System auf.
Der Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer (Bündnis 90/Die Grünen) Sauer/dpa-Zentralbild/dpa | Verwendung weltweit
Bütikofer (Grüne): "Unakzeptabel, wenn Unternehmen aus dem Elend Profite ziehen"
Die systematische Unterdrückung der Uiguren in China, sei eine neue Qualität, sagte der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer im Dlf. Deutsche Unternehmen müssten Konsequenzen ziehen.
Klug ist es, sich davon nicht abhängig zu machen, von einem solchen Markt, und deshalb geht es darum, wie können wir auch andere Märkte erschließen, wie können wir dafür sorgen, dass kein deutsches Unternehmen vollständig abhängig ist vom deutschen Markt, wie können wir zum Beispiel den Handel und Investitionen mit anderen asiatischen Staaten, Malaysia und andere, weiter fördern. Da ist sehr viel Luft nach oben noch und das ist notwendig, weil von einem solchen autoritären Regime dürfen wir nie in eine Abhängigkeitsposition geraten. Jetzt haben wir aber nur über die Wirtschaft gesprochen. Wir sollten auch über die politischen Aufgaben reden.
Politischer Druck muss erhöht werden
Armbrüster: Können wir gleich. – Herr Vogel, vielleicht noch diese kurze Frage: Ist nicht die Botschaft, die bei der Führung in Peking zurzeit ankommt, noch die, zumindest von den Unternehmen: Solange wir bei euch Profite machen können, solange die wirtschaftliche Zusammenarbeit gut läuft, halten wir, ausländische Unternehmen, deutsche Unternehmen, gerne auch den Mund?
Vogel: Ja, das darf nicht die Botschaft sein. Das erleben wir ja nicht nur mit Blick auf Xinjiang, sondern das haben wir zum Beispiel gerade auch in den letzten Monaten mit Blick auf Hongkong diskutiert, wo der Siemens-Chef Kaeser sich sehr klar eingelassen hat, es dürfe für Beschäftigte von Siemens zum Beispiel in Hongkong keine Maulkörbe geben, keine Einschränkung von dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Das ist auch etwas, was richtig ist, so zu konzertieren gegenüber Peking, aber was man auch durchhalten muss.
Aber insgesamt glaube ich, was wir jetzt hier erlebt haben durch die Entwicklung in dieser Woche ist, dass China nach meiner Einschätzung nicht mehr wird langfristig bestreiten können, was dort in Xinjiang passiert. Wir haben ja eine Entwicklung gesehen: Am Anfang haben sie abgestritten, dass es die Lager überhaupt gibt. Dann gab es die Aussage der chinesischen Regierung, das seien Lager für die berufliche Bildung. Und jetzt gibt es Dokumente, die offensichtlich aus dem inneren Machtapparat der Kommunistischen Partei selber geleakt wurden. Das zeigt ja, dass es in China auch eine interne Debatte darüber gibt, und ich glaube, da muss der Westen rein. Da müssen wir auch politisch rein.
Ich habe Außenminister Maas eben im O-Ton mit einer klaren Aussage erlebt, klarer als in den letzten Wochen und Monaten zu Hongkong von ihm übrigens. Die Bundeskanzlerin muss das auch zum Thema machen und vor allem Europa wird hier mit einer Stimme sprechen müssen und das Thema gegenüber China deutlich ansprechen müssen. Wir erleben ja, dass die chinesische Führung, die KP, sich durchaus für ihre internationale Reputation interessiert, und deswegen muss jetzt auch politisch der Druck erhöht werden.
Armbrüster: Herr Vogel, Sie sind jetzt ja stellvertretender Vorsitzender der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe. Was ist da der Rücklauf bei Ihnen? Was hören Sie von Ihren Kontakten in China, wie diese Enthüllungen dort ankommen?
Vogel: Das ist eine gute Frage. China ist ja eine Blackbox und es ist extrem schwierig, dort überhaupt Quellen zu haben und mit denen regelmäßig sicher zu kommunizieren. Aber wir haben zum Beispiel diese Woche ein Treffen mit einem Hongkonger Abgeordneten und ich bin gespannt, was er uns berichten wird. Und ja, wir müssen jetzt sehen, wie das weitergeht. Wie ich eben schon sagte: Interessant an dieser neuen Entwicklung ist ja - es gibt keine andere Erklärung für das Leaken dieser Dokumente, als dass sie aus dem inneren Machtapparat der KP heraus kommen. Das zeigt, auch in China ist unter der Oberfläche bei dem Thema was in Bewegung. Und das ist ein Hebel, den der Westen nach meiner festen Überzeugung nutzen muss.
Keine Kooperation mit China ist keine Lösung
Armbrüster: Was raten Sie denn eigentlich Unternehmen so wie Volkswagen, die jetzt in so einem Land tätig sind, die dort Mitarbeiter haben? Sie haben das angesprochen. Auch wenn diese Mitarbeiter vielleicht nicht unbedingt direkt drangsaliert werden, so bekommen sie doch sicher in ihrem engsten Familienkreis mit, dass dort Leute verschleppt werden, vielleicht in diesen Internierungslagern landen. Was raten Sie deutschen Unternehmen, die über ihre Mitarbeiter von solchen Praktiken erfahren?
Vogel: Erstens das Thema auch ansprechen. Herbert Diess wurde ja letztens auf das Thema angesprochen …
Armbrüster: Und hatte keine Ahnung.
Vogel: Konnte sich dort nicht deutlich äußern, drücken wir es mal so aus. In der Tat: Das ist natürlich was, was sich nicht wird durchhalten lassen. Ich verstehe die Schwierigkeit. Wie gesagt, Volkswagen ist da mit guten Absichten nach Xinjiang gegangen, hat auch mit Blick auf die Uiguren alles richtig gemacht in der damaligen Lage. Aber China hat sich unter Xi Jinping verändert und deswegen muss man in meinen Augen jetzt genau schauen, wo sind die roten Linien, was ist man bereit mitzumachen und was nicht.
Was genau indirektes oder direktes Profitieren angeht, glaube ich, dafür sind wir einige Tage zu früh, um das beurteilen zu können. Es kann natürlich wirklich einen Punkt geben, wo ein Unternehmen sagt, wir können nicht ausschließen, dass wir hier Teil eines Systems sind, das wir nicht sein wollen, und dann muss man auch Konsequenzen zu ziehen bereit sein, zum Beispiel wie Adidas Geschäftskontakte abzubrechen, oder sich umzuorientieren.
Entscheidend ist in meinen Augen, dass wir in der Position der Stärke sind, das zu tun. Deshalb war mir der "Beyond China"-Aspekt so wichtig, weil wir in den letzten Jahren sicherlich zu einer Abhängigkeit teilweise vom chinesischen Markt gekommen sind, von einzelnen Unternehmen. Und die Lösung kann nicht sein, mit China gar nicht mehr wirtschaftlich zu kooperieren. Wir können im 21. Jahrhundert überhaupt nicht mehr mit China nicht kooperieren. Viele Aufgaben der Menschheit, Klimawandel und andere, werden wir nur gemeinsam lösen können. Das ist ja die Schwierigkeit an einem solchen Systemwettbewerb. Aber kein Unternehmen darf in der Abhängigkeit sein, etwas zu tun, was mit seinen ethischen Standards nicht vereinbar ist, und ethische Standards gelten auch für Unternehmen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.