Donnerstag, 28. März 2024

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China-Expertin zur Hongkong-Wahl
"Das ist eine klare Niederlage für Peking"

Die Demokratiebewegung in Hongkong hat bei den Bezirkswahlen einen klaren Sieg errungen. Das sei ein Schock für Chinas Regierung gewesen, sagte Kristin Shi-Kupfer von der Mercator-Stiftung im Dlf. Peking werde weiter versuchen, die Demonstrationsbewegung abzuschrecken - auch mit massivem Gewalteinsatz.

Kristin Shi-Kupfer im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 26.11.2019
Pro-demokratische Unterstützer feiern den Sieg eines ihrer Kandidaten und recken die Fäuste in die Höhe.
In vielen Bezirken Hongkongs feiern pro-demokratische Kandidaten und ihre Unterstützer den Sieg (AFP/Philip FONG )
Jürgen Zurheide: Das Wahlergebnis in Hongkong bei den Kommunalwahlen war so eindeutig, dass es wirklich aufhorchen lässt. Man hatte sicherlich auf Zugewinne bei denjenigen gehofft, die nicht auf Peking-Linie sind. Aber so eindeutig, wie es jetzt gekommen ist, das lässt dann doch wirklich aufhorchen.
Über all das wollen wir jetzt reden mit Kristin Shi-Kupfer von MERICS. Das ist die Organisation innerhalb der Mercator-Stiftung, die sich besonders um China kümmert. Erst mal einen schönen guten Morgen, Frau Shi-Kupfer!
Kristin Shi-Kupfer: Schönen guten Morgen.
Zurheide: Ist denn die Interpretation, die unsereiner und die ich auch gerade hier gegeben habe, so richtig, das ist eine Ohrfeige für Peking? Oder überinterpretieren wir da etwas? Wie sehen Sie das, wenn sie darauf schauen?
Shi-Kupfer: Nein, absolut! Es ist in der Tat wirklich eine klare Niederlage für Peking. Gerade die Zahl der absoluten Bezirksvorsitzenden hat sich ja doch drastisch verändert. Und warum das so herauszuhören ist für Peking, das zeigen auch die offiziellen Reaktionen, die ja sehr, sehr verhalten sind. Offensichtlich tun sich die parteistaatlichen Medien, tut sich die chinesische Führung sehr, sehr schwer. Das Resultat ist bislang nach meinem Wissen überhaupt nicht berichtet worden. Die Nachrichtenagentur Xinhua hat nur kurz berichtet, dass diese Wahlen stattgefunden haben. Der Außenminister Wang Yi hat am Rande einer Veranstaltung in Tokio nur gesagt, na ja, lasst uns noch abwarten. Unabhängig wie die Wahlen dann ausgehen - das hat er vor dem offiziellen Wahlergebnis gesagt – ist auf jeden Fall Hongkong ein Teil Chinas. Das allein, die offizielle Reaktion zeigt, dass das ganz offensichtlich ein Schock für die chinesische Regierung ist.
"Carrie Lam ist sehr angeschlagen"
Zurheide: Dann lassen Sie uns das genau auseinanderhalten, dass wir zunächst nach Hongkong schauen und dann in der zweiten Hälfte wir uns mit den chinesischen Reaktion beschäftigen oder Reaktionsmöglichkeiten. Carrie Lam, haben wir gerade schon gehört, versucht das auch: Unzufriedenheit ja, aber keine Zugeständnisse. Wie angeschlagen ist sie denn?
Shi-Kupfer: Sie ist in der Tat sehr angeschlagen. Das ist ja zunächst mal eine direkte Abstrafung der Hongkonger Regierung, die ja auch von Peking nach wie vor als sichtbares Gesicht, als Akteur verwendet wird, um zu versuchen, vor Ort mit der Situation umzugehen. In der Tat bestätigt das noch einmal auch ihre Wahrnehmung, die Wahrnehmung der Regierungspolitik als nicht in der Lage zu sein, wirklich einzugehen auf die Forderungen der Demonstranten. Und sie ist ja auch diejenige, die letztlich offiziell zumindest die Polizei befehligt. Und nach all dem, was wir gehört, gelesen haben aus Hongkong, ist ja auch gerade die Polizei in den letzten Wochen zunehmend zu einem Akteur geworden, der in der Bevölkerung nicht nur mehr ernst genommen wird, sondern zunehmend auch gehasst wird. Es wird gefragt, ob die Polizei denn überhaupt noch im Sinne der Bevölkerung handelt und nicht völlig zur Marionette von Peking beziehungsweise auch von Carrie Lam indirekt geworden ist.
Zurheide: Was heißt das jetzt für die Proteste? Wir haben es gerade schon mit der Kollegin Kirchner besprochen. Es gibt die zwei Varianten. Die einen, die können sagen – und das tun sie ja offensichtlich -, wir müssen verhandeln und wir werden das versuchen, und die anderen, die vielleicht doch eher auf Gewalt setzen. Was erwarten Sie?
Shi-Kupfer: In der Tat. Das macht es ja so schwierig mit dieser Demonstrationsbewegung, dass sie offensichtlich aus unterschiedlichen Strömungen besteht. Im Vorfeld gab es ja auch Aufrufe, an den Wahlen teilzunehmen, das als legitimes Mittel zu nutzen, um auch Protest zum Ausdruck zu bringen. Ich denke, man muss abwarten. Natürlich wird die Demonstrationsbewegung aber schon darauf schauen, wie reagiert Carrie Lam, wird sie möglicherweise weitere Zugeständnisse machen, beispielsweise im Bezug auf diese unabhängige Kommission, die die Polizeigewalt untersuchen soll, dass das dann wirklich stattfindet. Aber es ist auch davon auszugehen, dass es zumindest Teile innerhalb der Protestbewegung geben wird, denen auch das möglicherweise nicht reichen wird, und die generell versuchen werden, die Proteste unabhängig davon anzufachen und möglicherweise auch den Rückenwind zu nutzen, den man jetzt durchaus auch hat, die Unterstützung der Bevölkerung für einen Pro-Hongkong-Kurs, für mehr Forderungen, das zu nutzen, um die Proteste noch einmal anzufachen.
"Bilder der Gewalt spielen in gewisser Weise Peking in die Hände"
Zurheide: Was wäre denn für Peking schwieriger? Schwieriger wäre es doch vermutlich, wenn man eher auf diesen Dialog setzen würde. Je mehr Gewalt in Hongkong ist, umso eher kann Peking ja seine Polizisten von der Kette lassen, wenn ich das mal so formulieren darf. Herr Bütikofer hat heute Morgen in der Sendung bezogen auf die Uiguren gesagt, China ist der schlimmste Polizeistaat, den wir im Moment auf der Welt haben. Wie sehen Sie das?
Shi-Kupfer: In der Tat. Natürlich spielen die Bilder der Gewalt in gewisser Art und Weise Peking in die Hände. Man kann dadurch das Narrativ zunehmend rechtfertigen, das sind Verbrecher, das sind Unruhestifter, gegen die man mit allen Mitteln vorgehen muss, um die Stabilität Hongkongs zu gewährleisten. Aber natürlich ist auch das eine Herausforderung für die Pekinger Regierung, Gewalt vor Ort dann wirklich zu kontrollieren, auch den Druck auf die Polizei damit zu erhöhen, mit dieser Lage fertig zu werden. Das ist möglicherweise das kleinere Übel in der Tat für die chinesische Regierung, aber natürlich auch das stellt durchaus eine Herausforderung und auch eine zunehmende Herausforderung für Peking dar.
Zurheide: Auf der anderen Seite: Wo sehen Sie, dass Peking möglicherweise umswitchen muss, wenn die Proteste überhaupt nicht aufhören? So was wie das Massaker auf dem Tian’anmen-Platz, das kann sich Peking heute nicht mehr leisten, oder?
Shi-Kupfer: Ich denke, in der Tat versucht die chinesische Führung, so lange wie möglich Bilder von sichtbarer Gewalt, von Panzern in den Straßen zu vermeiden. Hongkong ist nach wie vor ein sehr wichtiger Finanz- und Wirtschaftsstandort. Aber sicherlich wird die chinesische Regierung versuchen, auch mit dem Mittel der Polizei, der Hongkonger Polizei vor Ort mit allen Mitteln – auch das wird ja jetzt zunehmend sichtbar -, auch mit Mitteln der Gewalt diese Demonstrationsbewegung weiter zu beschränken, auch abzuschrecken, um ihr möglicherweise die Speerspitze zu nehmen, auch die moderaten Kräfte möglicherweise dadurch indirekt zu stärken, indem man auf Abschreckung setzt durch massiven Gewalteinsatz. Das scheint nach wie vor die Strategie aus Peking zu sein.
Zurheide: Wie reagiert Peking auf all das, was möglicherweise von außen kommt? Ist das hilfreich oder eher nicht?
Shi-Kupfer: Peking nutzt ja in der Tat das als Narrativ, um zu sagen, es ist eine sichtbare Einmischung von amerikanischer Seite, von westlicher Seite. Aber damit ist vor allen Dingen Washington gemeint. Aber natürlich sind Signale der Unterstützung, dass ausländische Akteure diese Bewegung ernst nehmen, dass wirklich die Autonomie, auch die Unbeschädigtheit des Hongkonger Rechtssystems, der Hongkonger Demokratie, dass das wichtig ist für westliche Länder, denke ich, ein ganz wichtiges Signal an Peking, um da auch eine klare Grenze zu setzen, was man aus internationaler Sicht bereit ist, in Kauf zu nehmen an Einflussnahme und auch an Gewalt in Bezug auf die Hongkonger Bevölkerung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.