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Deutsche Kunstsammlungen könnten heimkehren

Das russische Parlament hat die Regierung aufgefordert, ein neues Gesetz zur Beutekunst zu erlassen. Kunstsammlungen, die die Rote Armee nach Kriegsende in die Sowjetunion mitgebracht hatte, könnten dadurch an die Eigentümer zurückgehen, sagt der Historiker Wolfgang Eichwede.

Wolfgang Eichwede im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 27.03.2013
    Stefan Koldehoff: Dass Russland – nahezu unbemerkt von der Öffentlichkeit – die österreichische Sammlung Esterházy an die Erben einer Stiftung zurückgegeben hat, das ist allein schon eine Sensation: 977 wertvolle Bücher aus dem 16. bis 18. Jahrhundert, die Soldaten der Roten Armee bei Kriegsende in die Sowjetunion gebracht hatten und über die seit 1955 verhandelt wurde.

    Fast noch sensationeller aber klingt der Auftrag, den das Parlament, die Duma, damit an die Regierung erteilt hat: Man solle rechtliche Grundlagen dafür prüfen, dass auch weitere Beutekunstbestände an ihre ehemaligen Eigentümer restituiert werden könnten – jene nämlich, die nach dem Duma-Gesetz von 1998 ausdrücklich nicht für alle Zeiten zu russischem Eigentum erklärt worden waren. Das würde beispielsweise kirchliche Sammlungen oder Archive von Nazi-Gegnern umfassen – aber auch private Kunstsammlungen, die sich bis heute im Puschkin-Museum in Moskau oder in der Eremitage in St. Petersburg befinden. Die Verhandlungen zwischen beiden Staaten sind seit Jahren ergebnislos eingefroren.

    Professor Wolfgang Eichwede, Gründungsdirektor des Osteuropa-Instituts an der Uni Bremen und Berater verschiedener Bundesregierungen seit bald zwei Jahrzehnten, kennt das Thema Beutekunst wie kaum ein Zweiter in Deutschland. Ihn habe ich vor der Sendung gefragt, wie sich diese neue Entwicklung denn nun auf das Verstaatlichungsgesetz von 1998 auswirken könnte.

    Wolfgang Eichwede: Dieses Gesetz bezieht sich auf die Gegenstände, Bücher, Archive oder Kunstgegenstände, die von den sogenannten Trophäen-Kommissionen offiziell in Deutschland beschlagnahmt worden sind. Das Gesetz hat damals nicht mit einbezogen die Güter, die von sowjetischen Soldaten einfach so mitgenommen worden sind, und das Gesetz sieht vor eine eigene Behandlung von Kulturgütern, die Widerstandsfamilien gehört haben oder Kirchen gehört haben. Das Gesetz hat, wenn Sie so wollen, auch kleine Fenster offen gelassen, die aber bislang nur sehr punktuell genutzt worden sind. Der Duma-Beschluss von 1998, bestätigt noch mal über das Verfassungsgericht 1999, bezieht sich auf deutsche Kulturgüter, also nicht auf Kulturgüter anderer Staaten, die es nach Russland verschlagen haben könnte, sondern auf Kulturgüter jenes Landes, das 1941 den Krieg gegen die UDSSR eröffnet hat.

    Koldehoff: Öffnet sich denn auch für deutsche private Sammlungen oder kirchliche Sammlungen oder Besitztümer von Widerstandskämpfern jetzt ein Fenster, oder bezieht sich auch die neue Regelung, die es nun eventuell geben soll, nur aufs Ausland?

    Eichwede: Das ist keine neue Regelung, sondern das alte Gesetz bleibt in vollem Umfang in Kraft. Die Duma hat am 15. März diesen Jahres, also jetzt vor wenigen Tagen, der Regierung empfohlen, ein Gesetz auszuarbeiten, das den Status und die Bedingungen einer möglichen Über- oder Rückgabe von Kulturgütern regelt, die nicht unter jenes Beutekunst-Gesetz von Ende der 90er-Jahre fallen, und schlägt von dorther vor, man möge deren Rechtsstatus, das Verfahren, wie man mit diesen Dingen umgeht, und dann auch – das ist die Formulierung, an die sich eine kleine Hoffnung knüpfen könnte – Bedingungen einer Übergabe an Drittstaaten, also an ausländische Staaten, regeln.

    Koldehoff: Schließt das Ihrer Interpretation nach – und Sie kennen die Verhandlungen so gut wie in Deutschland wahrscheinlich kein Zweiter -, schließt das Deutschland mit ein, oder schließt das Deutschland aus?

    Eichwede: Diese Formulierung jetzt schließt Deutschland mit ein. Jedenfalls wird umgekehrt Deutschland nicht ausgeschlossen, ausdrücklich nicht ausgeschlossen.

    Koldehoff: Das heißt also, wenn es noch private Sammlungen gibt – und die gibt es ja: die Sammlung Otto Krebs, fantastische Impressionisten, Bilder von van Gogh, die Sammlung Gerstenberg, die Sammlung Siemens -, dann können sich die Erben Hoffnung machen, dass es zumindest Verhandlungen geben könnte, wie diese Werke einen neuen Status bekommen?

    Eichwede: Ich würde eine Idee vorsichtiger formulieren. Man muss jetzt ausloten, was die Bedingungen der Über- oder Rückgabe sein könnten nach den russischen Vorstellungen. Das muss man eben probieren. Die Sammlung Esterházy ist eine österreichische Sammlung, der Rückgabebeschluss an Österreich beruft sich ausdrücklich auf den österreichischen Staatsvertrag von 1955. Also wenn man sich Hoffnungen macht, dann muss man auch da in Rechnung stellen, das können sehr, sehr lange Zeiträume sein, in denen dann solche Duma-Empfehlungen umgesetzt werden, zumal im Augenblick ja zunächst nur das Gesetz ausgearbeitet werden muss. Aber es ist trotzdem ein Akzent, den man sehen muss und den man vonseiten der privaten Sammler, oder derjenigen, die eben als Privatsammlungen Verluste zu beklagen haben, ausloten muss und auch unsere Regierung dazu anregen soll zu klären, ob sich hier ein kleines "Window of Opportunity" auftut.

    Koldehoff: Die Verhältnisse zwischen Russland und Deutschland, Herr Eichwede, sind gerade in diesen Tagen nicht ungetrübt. Gestern hat der deutsche Außenminister dagegen protestiert, dass Unterlagen deutscher Stiftungen in Moskau durchsucht worden sind, bestimmte Dokumente vorgelegt werden mussten. Hat das eine mit dem anderen zu tun? Erleben wir da gerade Zuckerbrot und Peitsche: auf der einen Seite politisch hart und im kulturellen Bereich versucht man dann, Dinge aufzuweichen?

    Eichwede: Ich habe mir diese Frage auch überlegt, ob, wenn sich tatsächlich in der Frage der Kulturgüter ein solches Window öffnen würde, dahinter die Kalkulation oder das Kalkül von russischer Seite steht, sein Image in Deutschland oder in Europa zu verbessern. Aber das kann im Augenblick noch nicht vernünftig gesagt werden. Die russische Innenpolitik ist gegenwärtig nicht nur sehr hart; vor allen Dingen sie wird immer härter, und das ist das Dramatische daran. Wir können nicht sagen, dass Russland noch nicht bei demokratischen Verhältnissen angelangt ist, sondern Russland entfernt sich immer weiter von solchen Möglichkeiten. Vor diesem Hintergrund sind die vorsichtigen Formulierungen, die in diesen Duma-Entschlüssen zu den Kulturgütern enthalten sind, naturgemäß mit Skepsis zu sehen. Dennoch: Man muss sie ausloten und man soll sie ausloten.

    Koldehoff: …, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. - Der Historiker und Beutekunstexperte Wolfgang Eichwede war das über neue Entwicklungen in der deutsch-russischen Beutekunstfrage.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.