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"Deutsche Politiker meinen, sie wüssten was von der Wirtschaft"

Hans-Olaf Henkel, Präsident der Leibniz Wissenschaftsgemeinschaft, glaubt, dass durch die Berufung von Heinrich von Pierer in eine unionsgeführte Regierung mehr Praxisbezug in die Politik Einzug halten würde. Ratschläge aus der Wirtschaft würden seit Jahren ignoriert. Einer Kanzlerin Merkel traue er den Mut zu, das Parteiprogramm an den Ratschlägen aus der Wirtschaft auszurichten, sagte Henkel.

    Durak: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel will also Heinrich von Pierer zum wirtschaftspolitischen Berater machen und ihm einen Rat für Innovation und Wachstum anvertrauen, wenn die Union die Bundestagswahlen am 18. September gewinnt.
    Da werden ihm viele folgen hier in Deutschland, wenn er das hier umsetzen kann. Ungeduldig, wie er sich selbst beschreibt, Heinrich von Pierer. Er will Entwicklungen schnell erkennen, Schlussfolgerungen schnell umsetzen. Daran ist schon mancher gescheitert. – Schönen guten Morgen Hans-Olaf Henkel!


    Henkel: Guten Morgen!

    Durak: Sie sind Präsident der Leibnitz Wissenschaftsgemeinschaft, waren lange Jahre BDI-Präsident und selbst IBM-Manager. Herr Henkel, hat die Politik Männer wie Heinrich von Pierer nötig?

    Henkel: Ja, vor allen Dingen die deutsche, denn ich habe mal gesagt: Wenn jemand Zahnschmerzen hat, dann geht er zum Zahnarzt und nicht zum Klempner und wenn jemand ein Auto hat, was kaputt ist, dann bringt er es in die Werkstatt und nicht zum Bäcker. Bei uns meinen die Politiker, sie würden von der Wirtschaft alles verstehen. Es gibt im deutschen Kabinett nicht einen einzigen, der in der Wirtschaft im Wettbewerb richtig gearbeitet hat. Das ist in anderen Ländern ganz anders. Nehmen Sie mal Frankreich. Dort ist der Wirtschafts- und Finanzminister Breton, ein Mann, den ich sehr gut kenne, ein Mann, der jahrelang ähnlich wie Herr von Pierer große Unternehmen geführt hat und das ist ganz selbstverständlich, überall nur bei uns nicht. Deshalb ist es nötig, daß solche Leute wie Herr von Pierer die jeweilige Regierung auch beraten.

    Durak: Wenn denn schon Parlamentarier, Politiker, Minister – ich übersetze Sie jetzt mal – keine Ahnung haben von der Wirtschaft, weshalb gehen dann Wirtschaftslenker nicht in die Politik?

    Henkel: Es haben ja viele versucht, aber das deutsche Parteiensystem lässt das eigentlich nicht zu, denn die typische deutsche Politikerkarriere ist nun mal eine, die muss man als Juso oder als Juli oder als junger Mann in der CDU oder junge Frau beginnen. Das heißt man muss sehr viel Zeit haben. Das haben die Leute in der Wirtschaft nicht. Deshalb haben wir so viele Lehrer im deutschen Parlament und so viele Beamte. Also es liegt im politischen System vor allen Dingen, was es einfach in Deutschland sehr schwer macht, dass Leute mit beruflicher langjähriger Erfahrung im Parlament sitzen oder im Kabinett. Aber das muss ja nicht so sein. Es hat ja auch schon früher mal den einen oder anderen Quereinsteiger gegeben. Oft war das nicht erfolgreich. Ich schätze Herrn von Pierer persönlich, den ich seit vielen Jahren kenne, genauso gut ein wie Herrn Schröder und Frau Merkel, aber Herr von Pierer wird sich auch fragen, warum er denn nun sieben Jahre lang den Herrn Schröder beraten konnte und trotzdem die rot/grüne Politik in vielen Dingen, was die Innovationsfähigkeit betrifft, eigentlich nicht stark beeinflussen konnte.

    Wir haben praktisch das Verbot der grünen Gen-Technik durch die Frau Künast. Wir haben die Kerntechnik abgeschafft. Siemens ist natürlich ein hervorragender, kompetenter Industriepartner für Kerntechnik gewesen und ist es auch immer noch. Er konnte aber nicht verhindern, daß Deutschland den Ausstieg machte.

    Übrigens war er auch schon Berater von Herrn Kohl und hier ist meine große Hoffnung. Es ist nicht nur der Herr von Pierer, der mir große Hoffnung macht, sondern es ist eben die Kombination, Herr von Pierer und Frau Merkel. Frau Merkel traue ich zu, daß sie nicht nur jemandem mit einem klingenden Namen mit irgendeinem Posten sozusagen zu Wahlkampfzeiten beauftragt und ihn dann nicht mehr anhört oder seine Ratschläge nicht befolgt, sondern ich traue ihr zu, daß sie das, was Herr von Pierer ihr vorschlägt, auch in die Tat umsetzt. Das wäre mal etwas Neues!

    Durak: Das hätte ja aber auch schon unter Kohl geschehen können?

    Henkel: Ja natürlich! Ich habe das ja gesagt. Herr von Pierer hat – das hat Ihr Beitrag eben glatt überschlagen oder die wussten das gar nicht mehr – auch Herrn Bundeskanzler Kohl in einer ähnlichen Funktion oder in einer ähnlichen Technologierunde, damals noch unter Vorsitz von Zukunftsminister Rüttgers, beraten. Trotzdem gingen die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung in der Ära Kohl am Schluss ziemlich herunter.

    Durak: Ja und bei der gegenwärtigen Bundesregierung sehen Sie auch nur schwarz, obwohl es eine rot/grüne ist. Also werden Berater der Politik dann am Ende nicht doch überschätzt, was ihren Einfluss betrifft? Schauen wir Herrn Kirchhof an. Er stellt ein großes Programm auf und selbst CDU-Ministerpräsidenten sagen "stopp".

    Henkel: Richtig. Hier hoffe ich eben auf Frau Merkel. Wir haben es mit einer Frau zu tun, die Mut hat, die zuhört, die aber auch nicht nur aus taktischen Gründen zuhört, sondern die ihr Parteiprogramm auch ausrichtet an den Ratschlägen der Experten. Ich sage das deshalb ganz unverkrampft, weil ich Bundeskanzler Kohl genauso kritisiert habe wie rot/grün bei vielen Themen, und ich habe hier das Gefühl, daß wir eine Chance haben, daß wir endlich mal weiter kommen.

    Und wenn Sie Kirchhof nehmen, dann haben Sie ein weiteres Beispiel. Hier haben wir einen international hoch angesehenen Finanz- und Steuerfachmann, der eine gute Chance hat, Minister zu werden, und trotzdem gibt es gleich Kritik. Sein Vorgänger war Deutsch-Lehrer. Also ich glaube es ist gut, daß die Leute, die ein wichtiges Ressort übernehmen, auch von Anfang an gleich etwas davon verstehen. Das halte ich deshalb auch für gut – im Falle Kirchhof und gerade auch im Falle von Pierer -, daß wir zwei Leute vielleicht in der neuen Regierung haben oder an der Regierung und dass wir dann eine Kanzlerin haben, die auch diese Ratschläge mal befolgt. Sonst kommen wir nicht weiter!

    Durak: Herr Henkel, auch Deutsch-Lehrer qualifizieren sich weiter. Sprechen Sie allgemein den deutschen Politikern einfach die Qualifikation für ihr Geschäft ab?

    Henkel: Nein, das nicht, aber wie ich schon sagte: die deutschen Politiker sind die einzigen, die egal was sie gemacht haben alle meinen, sie wüssten etwas von der Wirtschaft. Sie ignorieren seit Jahrzehnten die Ratschläge der Wirtschaftswissenschaftler und sie kümmern sich eigentlich auch nicht um die Ratschläge aus der Wirtschaft. Das unterscheidet die deutschen Politiker von vielen in anderen Ländern. Gucken Sie sich mal die Kabinette in Großbritannien oder in den USA, in Irland oder in Polen oder neuerdings selbst in Ungarn an. Dort sitzen Leute mit wirtschaftlicher Erfahrung, die im Wettbewerb sich durchsetzen mussten, im Kabinett. Bei uns gibt es so etwas nicht. Bei uns sitzen praktisch nur – mit kleinen Ausnahmen – Beamte im Kabinett.

    Durak: Von Pierer könnte wahrscheinlich auch Minister werden?

    Henkel: Das weiß ich nicht. Das wird kolportiert. Das muss nicht stimmen. Wenn er es geworden wäre, wäre das sicherlich mindestens genauso gut wie die Annahme dieses Beirates, den Frau Merkel jetzt gründen will. Entscheidend ist – und deshalb ist die Sache auch offen -, dass die Politik dann auch auf die Berater hört. Das ist glaube ich der Knackpunkt.

    Durak: Und wie können sie Überzeugungen sozusagen an den Mann bringen, daß sie es tun? Bisher tun sie es ja dann weniger.

    Henkel: Da gibt es zwei Wege. Der eine ist natürlich – und das hat der Herr von Pierer immer gemacht und ich in meinen verschiedenen Funktionen ja auch und viele andere ebenso -, daß man in vielen auch Vier-Augen-Gesprächen sozusagen die Realität denjenigen nahe bringt, die ein bisschen weiter davon weg sind. Der zweite Weg – und das sieht man gerade am Thema Kirchhof -, wenn man gleichzeitig dann die Öffentlichkeit bewegt, das heißt den Wähler hinter seine eigenen Ideen bringt, dann macht man der Politik auch gleichzeitig Beine. Deshalb ist es wichtig, daß Wirtschaftsleute oder andere Fachleute wie zum Beispiel Herr Kirchhof eben nicht nur im stillen Kämmerlein oder in Gruppen zu zehn etwas sagen, sondern sie müssen auch in die Medien. Sie müssen die Bevölkerung mit helfen aufzuklären. Eine aufgeklärte Bevölkerung macht es dann auch den deutschen Politikern einfacher, das richtige zu machen. Deshalb brauchen wir beides. Wir brauchen also Aufklärung über wirtschafts-, sozial- und finanzpolitische Verhältnisse. Die ist in Deutschland sehr schwach ausgeprägt. Und wir brauchen natürlich gleichzeitig die Aufklärung der Politiker und natürlich auch überzeugende Rezepte, die immer wieder verschrieben werden - wir kennen die ja alle -, aber die von der Politik nicht in die Tat umgesetzt werden, weil die Angst vor dem Wähler haben. Deshalb müssen diese Berater auch mithelfen, die Bevölkerung aufzuklären.

    Durak: Hans-Olaf Henkel, Präsident der Leibnitz Wissenschaftsgemeinschaft. Besten Dank für das Gespräch!

    Henkel: Bitte schön!