Es nieselte bei Temperaturen um die 14 Grad Celsius, grau hingen Wolken über dem Congress Center Rosengarten, auf dessen dritter Ebene das Institut für Deutsche Sprache Mannheim zur 54. Jahrestagung geladen hatte. Vorträge über "verschiedene Aspekte des gesprochenen Deutsch" bot man den Besuchern, "die neue Sagbarkeit im World Wide Web" war Thema, "das Zusammenspiel von Text und Interaktion in digitalen Medien", eine quantitative Analyse des Wortschatzes des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" und so weiter.
Die Bombe platzt in Karlsruhe
Nur eines fehlte: Ein Aufregerthema, eine linguistische Bombe, die auch Nicht-Germanisten im tiefsten Innern ihres Sprachverständnisses berührte. Am Dienstag kurz vor der Mittagspause platzte schließlich eine solche Bombe, abgeworfen vom 70 Kilometer entfernten Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Eine Frau wollte ihre Sparkasse durch den BGH zwingen lassen, sie in Formularen als "Kundin" anzusprechen, und nicht als "Kunde". Nichts da, urteilten fünf Richter - drei Männer, zwei Frauen - "Kunde" reicht! So viel linguistische Ignoranz hatte in Mannheim niemand für möglich gehalten.
"Es ist mittlerweile längst erwiesen über ein Dutzend etwa empirischer, psycholinguistischer Untersuchungen, dass Frauen im sogenannten generischen Maskulinum nicht - oder wenn - dann nur in sehr geringem Ausmaß mit gemeint sind."
Damaris Nübling, Professorin für Historische Sprachwissenschaft des Deutschen an der Johannes Gutenberg Universität Mainz.
"Stehen die im Singular, dann sind sie praktisch nicht mitgemeint, stehen sie im Plural, also so was wie "die Studenten", dann werden sie manchmal mit vorgestellt, aber sie können nicht sicher sein, ob sie mit gemeint sind."
"Ein typisches Relikt aus patriarchalen Zeiten"
Ein frauenfeindliches Urteil, wie es heute nicht mehr möglich sein sollte. Kopfschütteln bei der ersten Lektüre der Urteilsbegründung.
"Das habe ja schon seit einigen Jahrtausenden so funktioniert, dann wird es auch noch weiter funktionieren. Wir können nur sagen, nein, es hat nicht funktioniert, es ist ein typisches Relikt aus patriarchalen Zeiten. Man könnte ja mit dem gleichen Argument auch sagen, warum brauchten die Frauen 1918 das Wahlrecht, es hat ja vorher auch funktioniert, dann lassen wir es einfach. Also, es ist ein sehr schlechtes Argument, ein linguistisches Argument schon gar nicht!"
Hohe Klickraten - hohe Popularität
So also kam die 54. Jahrestagung des Instituts für Deutsche Sprache doch noch zu ihrem Aufregerthema. Was nun nicht bedeutet, dass die anderen Themen schwach und unbedeutend waren. Zum Beispiel von Professor Konstanze Marx, Sprachwissenschaftlerin am Institut für Deutsche Sprache. Sie beschäftigt sich mit der Deutschen Sprache in Sozialen Medien wie Facebook, Twitter und so weiter.
Zunächst einmal widerspricht sie der Vorstellung, Soziale Medien seien grundsätzlich voller negativer Emotionen, natürlich geben es im Netz auch Bereiche, in denen ruhig und kultiviert kommuniziert wird. Richtig sei aber auch, dass hate speeches, also Hassreden, mit einem dadurch ausgelösten Shitstorm mehr Aufmerksamkeit erregen.
"Dann steigt einfach die Klickrate! Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn man sich Emotionsausdrücke im Netz anschaut, und sich auch anschaut, wieso sind jetzt so Sachen drastisch ausgedrückt, zum Beispiel auch, weil Soziale Netzwerke auch Werbeflächen sind und wenn man hohe Klickraten hat, hat man auch eine hohe Popularität."
Wo Shitstorm drüber steht, muss nicht hate speech drin sein
Manche aggressive, sexistische oder rassistische Äußerung soll Aufmerksamkeit produzieren, die Klickraten und damit den Werbepreis nach oben treiben. Hinzu kommt, dass ein Shitstorm keineswegs nur aus negativen Äußerungen besteht.
"Wenn man sich das genauer anschaut, dann sieht man, dass das durchaus ein sehr disparates Kommunikationsereignis ist, das heißt, da gibt es sowohl Leute, die Hasssprache verbreiten, die negativ kommentieren, aber es gibt genauso viele Leute, manchmal sogar mehr, die dagegen argumentieren, die sagen, so kann man mit Menschen nicht umgehen, das stimmt nicht, bleib sachlich, bleib höflich, und so weiter. Nur weil da jetzt Shitstorm drüber steht, heißt es nicht, dass hate speech drin ist."
"Hinter die Wortfläche schauen"
Anders sieht es aus bei zunächst vergleichsweise unverfänglichen Hashtags. Hashtags - das zur Erklärung - sind mit Doppelkreuzen versehene Schlagworte, die dazu dienen, Nachrichten bestimmter Inhalte oder Themen in sozialen Netzwerken auffindbar zu machen. Ein nur auf den ersten Blick harmloses Hashtag ist für Konstanze Marx der Begriff "Wahrheit".
"Da haben wir einen ganzen Diskurs dahinter, wo im Prinzip gemeint ist, dass man die Wahrheit heute nicht mehr sagen darf. Da ist eine ganze Gruppe von Leuten, die genauso argumentiert, aber auch ein Signal dafür ist, dass sich hate speech dahinter verbergen kann."
Man müsse hinter die Wortfläche schauen, so Konstanze Marx, um zu erkennen, wer Begriffe wie Freiheit, Wahrheit und so weiter wie interpretiert.
Kompletten Wortschatz des "Spiegel" untersucht
Um Begriffe geht es auch den Linguisten und Sprachwissenschaftlern Carolin Müller-Spitzer und Sascha Wolfer - beide Mitarbeiter am Institut für Deutsche Sprache - allerdings zielt ihre Forschung in eine andere Richtig. Sie haben den kompletten Wortschatz des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" untersucht.
"Im Spiegelkorpus selbst sind 4,5 Millionen Wörter zu finden, das sind also unterschiedliche Zeichenketten zwischen zwei Leerzeichen."
Hapax legomena - Dinge, die nur einmal vorkommen
Interessant ist in diesem Zusammenhang die Verteilung der einzelnen Wortformen über die Jahrzehnte. Grundsätzlich gilt: Wenige Worte kommen sehr häufig vor, die allermeisten aber nur sehr selten.
"Es ist so bei der Verteilung sprachlicher Daten, dass die Hälfte der Wörter immer nur einmal vorkommt, man nennt das in der Sprachwissenschaft Hapax legomena, also die Dinge, die nur einmal vorkommen, das ist ne typische Verteilung in sprachlichen Daten - und wenn man sich die anguckt, die häufiger vorkommen, dann sind es oft Sachen, die nur in einer Ausgabe vorkommen, also zum Beispiel "Krebsstammzelle" kommt im "Spiegel" zwar zwanzig Mal vor, aber nur in einem Artikel. Das Wort "Malvenblütentee" zum Beispiel kommt 14 Mal vor, zählt damit auch zu den oberen zehn Prozent, kommt aber nur in einem Artikel vor, und zwar im Jahre 1961."
Von den 4,5 Millionen Wortformen des "Spiegel" kommt die Hälfte nur ein einziges Mal vor. Wer möchte kann übrigens im riesigen "Spiegel"-Wortarchiv selbstständig recherchieren und schauen, welche Begriffe wann besonders häufig vorkamen und dann einfach wieder verschwanden. Die Website heißt www.owid.de/plus.