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Deutscher Arzt unterstütze Fluchtaktion aus Nordkorea

    Remme: Vergangene Woche in Peking eine spektakuläre Fluchtaktion von 25 Flüchtlingen aus Nordkorea. Die Gruppe stürmt in die spanische Botschaft der chinesischen Hauptstadt. Nach kurzen Verhandlungen wir den Menschen die Ausreise nach Südkorea erlaubt. Organisiert wurde diese Aktion von einem Aktivisten, der den Machthabern in Nordkorea kein Unbekannter ist, hat Norbert Vollertsen als Arzt doch selbst längere Zeit in Nordkorea humanitäre Hilfe geleistet. Er ist jetzt am Telefon in Südkorea, in einem Hotel in einer Lobby. Guten Tag Herr Vollertsen!

    Vollertsen: Einen schönen guten Tag!

    Remme: Herr Vollertsen, Sie haben mir gerade gesagt, aus Sicherheitsgründen müssen Sie sich praktisch in der Lobby aufhalten; deshalb der Hintergrundlärm. Was heißt das?

    Vollertsen: Das heißt, dass ich hier eigentlich immer unterwegs bin mit irgendwelchen internationalen Journalisten. Ich sitze hier gerade mit einem Team von CBNC und "Financial Times" zusammen und habe schon in Nordkorea die Erfahrung gemacht, dass ich eigentlich immer dann am geschütztesten bin, wenn ich mich in der Öffentlichkeit mit Journalisten präsentiere und nicht in irgendwelchen zurückgezogenen Ecken von Seoul.

    Remme: Vor wem müssen Sie sich schützen?

    Vollertsen: Das ist eine gute Frage. Ich werde das so oft gefragt, bin auch noch nie in irgendeiner Form bedroht worden, meine aber, das liegt an diesem Exponieren. Ich habe in der Anfangszeit hier in Seoul einige merkwürdige Anrufe bekommen, ob ich nicht Angst um meine Familie in Deutschland hätte, um meine sogenannten Journalistenfreunde hier und ähnliches. Dem wollte ich einfach dadurch aus dem Weg gehen, dass ich kein Telefon mehr habe, kein Mobiltelefon, auch keine offizielle Adresse mehr, keiner so richtig weiß, wo ich überhaupt bin, und das scheint zu schützen.

    Remme: Ich habe es erwähnt: Sie haben in Nordkorea damals unter anderem für die Hilfsorganisation Cap Anamur gearbeitet und seinerzeit diesem Sender aus Nordkorea heraus erzählt, wie Sie nach humanitärer Hilfe vom Regime in Pjöngjang mit sagen wir mal für Leute aus dem Westen sehr seltenen Privilegien ausgestattet wurden. Sie konnten sich damals weitgehend frei im Land bewegen. Warum arbeiten Sie inzwischen offen gegen die Machthaber in Nordkorea?

    Vollertsen: Ich habe damals für eine Hautspende eine sogenannte Freundschaftsmedaille bekommen und habe mich immer als Freund der einfachen Bevölkerung in Nordkorea empfunden, aber nicht unbedingt als Freund der Regierung, denn ich meine, diese Regierung lässt systematisch ihre Opposition verhungern, foltert eigene Menschen. Das sind in der Regel nur Gerüchte, aber ich möchte als Deutscher gerne diesen Gerüchten nachgehen. Darum habe ich mich schon in Nordkorea entschieden, immer mehr mit internationalen Journalisten zusammen zu arbeiten und diesen Gerüchten hier auf die Spur zu kommen und versucht, jetzt an der nordkoreanisch-chinesischen Grenze so viel wie möglich Flüchtlinge aus dieser Region zu sprechen und zu hören, was die mir denn zu sagen haben. Die berichten von Ungeheuerlichkeiten: von Folter, Massenhinrichtungen, von Vergewaltigung, von biologisch-medizinischen Experimenten an Menschen, schlimmer als man das je aus deutschen Konzentrationslagern gehört hat. Ich meine es ist meine moralische Pflicht, gerade als Deutscher nicht den Mund zu halten, sondern auszusprechen, auch wenn es nur Gerüchte sind. Wir Deutsche wurden damals angeklagt, dass wir auch bei Gerüchten über Konzentrationslager nicht gehandelt hätten, dass wir versagt hätten. Da meine ich, man muss aus der Geschichte lernen. Man darf denselben Fehler nicht zweimal machen. Darum habe ich mich sozusagen jetzt zu einem Feind der Regierung exponiert, aber das ist die Regierung. Ich meine damit nicht die Menschen. Die Menschen in Nordkorea habe ich sehr gerne. Die mag ich sehr gerne. Ich möchte auch gerne irgendwann mal nach Nordkorea zurück und darum mache ich das hier alles.

    Remme: Herr Vollertsen, ich habe die Aktion der vergangenen Woche erwähnt. Das war ja sicherlich keine spontane Angelegenheit. So etwas muss von relativ langer Hand vorbereitet werden. Arbeiten Sie allein oder innerhalb einer Organisation?

    Vollertsen: Nein, das möchte ich auch betonen. So etwas kann man gar nicht alleine machen. Das ist ein informelles Netzwerk von jetzt würde ich fast sagen mehreren hundert Personen auf der ganzen Welt verteilt, vor allem Menschenrechtsaktivisten, aber auch Journalisten sind beteiligt, einige Politiker sind informell beteiligt, es gibt einen Hintergrunddienst, der intelligente Sicherheit vermittelt. Wir werden nicht finanziert von irgendeiner Organisation. Die meisten dieser Mitglieder finanzieren das wie auch ich selbst aus eigener Tasche, auch alle Flugtickets. Im konkreten wurde ungefähr vier Monate vorausgeplant. Im November letzten Jahres auf einem Flug nach London zu einer Menschenrechtskommission kam uns zum ersten Mal die Idee, lasst uns doch eine Botschaft mit Nordkoreanern besetzen, die diese erstürmen und eine ähnliche Flutbewegung vielleicht in Gang setzen wie damals in der Prager Botschaft mit den ostdeutschen Flüchtlingen. Darum, um irgendwie auch Geschichte zu wiederholen, hatten wir uns als ursprüngliches Ziel die deutsche Botschaft in Peking auserkoren, um damit einen historischen Appell zu liefern.

    Remme: Warum dann die spanische?

    Vollertsen: Das hat sich wohl dadurch ergeben, dass wir mit dieser Aktion auch Journalisten einbezogen haben. Uns war von Anfang an klar, dass das auch eine Sicherheitslücke sein könnte, und es scheint so, dass japanische Medien wohl irgend etwas haben verlautbaren lassen. Jedenfalls am Tag vor der Aktion war doch die europäische Kommission und vor allem die deutsche Botschaft mehrfach abgesichert und weit mehr gesichert als sonst. Wir haben uns dann kurzfristig umentschieden und wegen der netten Situation, dass die Spanier gerade die EU-Präsidentschaft inne haben, in Barcelona ein EU-Gipfel ansteht, haben wir gedacht nun gut, das Medieninteresse für Spanien wird ähnlich spektakulär sein. Die höchste Priorität hatte aber vor allem die Sicherheit der Flüchtlinge. Die wollten wir auf jeden Fall sicher nach Seoul bringen. Da war es das einfachste: ein offenes Tor, nur ein Soldat, ein chinesischer Polizist davor und die Holztür unverschlossen, keine Videokameras. Da die Sicherheit vor allem ging haben wir uns entschieden, lasst uns da reingehen.

    Remme: Herr Vollertsen, Nordkorea ist in den vergangenen Wochen vor allem deshalb wieder in die Schlagzeilen geraten, weil das Land von US-Präsident George Bush als Bestandteil der sogenannten Achse des Bösen aufgezählt wird, ein Begriff, der für viel Kritik gesorgt hat. Würden Sie diesen Ausdruck verteidigen?

    Vollertsen: Auf jeden Fall, und zwar deshalb verteidigen, weil er für viel Kritik gesorgt hat, weil er eine Diskussion angeregt hat. Das ist das beste, was den nordkoreanischen Menschen passieren kann: Aufmerksamkeit und sei es auch noch durch eine noch so schwachsinnige Äußerung, durch eine noch so Ärger erzeugende Äußerung wie die von Präsident Bush oder was auch immer. Es hat eine Diskussion angefacht und das ist das wichtigste von allem. Zum ersten Mal wird in den Medien über Nordkorea berichtet, wird gefragt, warum sind die denn böse, was geschieht denn da, was ist denn das für ein Land. In Amerika bei meinen zahlreichen Besuchen in Washington ist mir bewusst geworden, dass die meisten Amerikaner noch nicht mal wissen, wo Nordkorea eigentlich liegt. Das gilt es jetzt zu beweisen oder zu machen, dass sich dort wirklich etwas Böses abspielt. Wenn man die ganzen nordkoreanischen Flüchtlinge hört, die jetzt aus der Botschaft gekommen sind, oder wenn man die hört, die noch in der nordkoreanisch-chinesischen Grenzregion leben, von Folterungen erzählen, von Massenhinrichtungen und von Konzentrationslagern, dann glaube ich mal muss man diesen Menschen einfach abnehmen, dass sie auch von etwas Bösem sprechen würden, wenn sie über Nordkorea sprechen.

    Remme: Herr Vollertsen, was ist das politische Ziel Ihrer Arbeit? Ist es ein Sturz des Regimes wie auch immer, ist es eine Wiedervereinigung von Nord- und Südkorea? Was ist es?

    Vollertsen: Ich denke mal mein erster Auftrag, als ich für Cap Anamur in Nordkorea war, war ein rein medizinischer. Meine medizinische Diagnose war aber, dass die meisten Menschen in Nordkorea unter Angst und Depression leiden. Dann denke ich muss man auch als Arzt ein politisches Mandat wahrnehmen. Dann kann man nicht einfach eine Spritze, eine Tablette gegen Depression und Angst geben; dann muss man vielleicht auch mal politisch handeln. Da kam mir die Idee, ich müsste zum allerersten Mal informieren, über die Journalisten, über Sie und Ihre Kollegen die Welt wissen lassen, was dort vorgeht, und dann als nächstes sicherlich das Übel bei der Wurzel packen, das heißt eine andere Regierung für diese Menschen anstreben. Wenn diese Menschen alle unter der Regierung systematisch leiden, gefoltert werden, ihre Gehirne gewaschen werden, schlimmer als im Holocaust-Museum jedes Bild des Leidens dort ausgestellt, dann meine ich muss man als Arzt politisch aktiv werden. Als Deutscher muss ich sicherlich in einem Sinne politisch aktiv werden, der auch in Süd- und Nordkorea zu einer Wiedervereinigung führen würde. Das wäre das oberste Ziel, dass diese Menschen, die ich alle sehr gern habe, im Süden und im Norden friedlich zusammenleben können, wie wir Deutschen es geschafft haben. Da glaube ich einfach an eine Wiedervereinigung in Korea.

    Remme: Noch ganz kurz zum Schluss, Herr

    Vollertsen: In wenigen Wochen wird die Welt auf die koreanische Halbinsel schauen. Dann findet dort die Fußballweltmeisterschaft statt. Sind in dieser Zeit weitere Aktionen von Ihrer Seite zu erwarten?

    Vollertsen: Genau das! Sie können davon ausgehen, dass eigentlich diese ganze Aktion jetzt in Peking nur ein Vorspiel dessen war, was während der Fußballweltmeisterschaft erfolgen wird. Da werden wir nicht so dumm sein, uns wieder irgendeine Botschaft auszusuchen. Nein, es gibt viele, viele Möglichkeiten hier in Südkorea. Die Fußballweltmeisterschaft mit der Teilnahme des amerikanischen Teams, des chinesischen Teams, des südkoreanischen Teams, des deutschen Teams bietet sicherlich zahlreiche Möglichkeiten, vor Hunderten von Fernsehkameras etwas für die nordkoreanischen Menschen zu tun.

    Remme: Vielen Dank! - Das war der Menschenrechtsaktivist Norbert Vollertsen aus Südkorea.

    Link: Interview als RealAudio