Freitag, 29. März 2024

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Deutscher Astronaut Matthias Maurer fliegt zur ISS
"Erst lernen, da oben zu schlafen und zu essen"

Für Matthias Maurer wird ein Traum wahr: Wenn der Start zur ISS nach Plan verläuft, ist er der vierte deutsche Astronaut auf der internationalen Raumstation ISS. Forschen wird er unter anderem dazu, wie sich Keimübertragung zum Beispiel über Türklinken ohne Desinfektion unterbinden lässt.

Matthias Maurer im Gespräch mit Lennart Pyritz | 29.10.2021
Matthias Maurer, deutscher Astronaut, steht vor einer Pressekonferenz im Europäischen Astronautenzentrum (EAC) der ESA vor seinem Start der Mission "cosmic kiss" zur Internationalen Raumstation ISS in der Trainingshalle. Der gebürtige Saarländer wird der erste deutsche Astronaut sein, der an Bord einer SpaceX-Raumkapsel des kommerziellen Nasa-Crew-Programms zur ISS fliegt.
Der nächste Deutsche auf der ISS und der 600. Mensch im All: Matthias Maurer (dpa)
Die NASA hat den Flug mit Matthias Maurer zur Internationalen Raumstation ISS auf den 6. November verschoben. Das Interview wurde vor dieser Entscheidung aufgezeichnet. Ursprünglich sollte der Flug am 31. Oktober starten.

Alltag muss auf der ISS gelernt werden

Es wird ein Traum mit viel harter Arbeit - und vor allem am Anfang wohl auch wenig Schlaf und so mancher anderer Unannehmlichkeit: Matthias Maurer fliegt ins All. Angekommen auf der Internationalen Raumstation ISS wird es für Maurer erst einmal darum, den Alltag auf der ISS zu erlernen. Er ist dann der zwölfte Deutsche und der 600. Mensch insgesamt im All. Im Deutschlandfunk-Interview erzählt der 51-Jährige, was auf ihn zukommt: "Du musst erst mal lernen, dort oben zu schlafen, zu essen, auf Toilette zu gehen." Er profitiere von dem Rotationsmodell auf der ISS: Kollegen, die schon länger dort sind, teilen ihre Erfahrungen mit den Neulingen. Teamfähigkeit sei denn auch das Wichtigste, um in der menschenfeindlichen Umgebung im All bestehen zu können, so Maurer.
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An Bord der ISS wird Maurer an verschiedenen Experimenten beteiligt sein, etwa zu antimikrobiellen Oberflächen. Für einen anderen Einsatz braucht Matthias Maurer seine Russisch-Kenntnisse: Er soll zusammen mit einem russischen Kollegen einen neuen Roboter-Arm an der ISS befestigen. So könnten dann Experimente auf das Äußere der Station transportiert werden, ohne dass dafür Menschen herausgeschickt werden müssen.
Der Alltag auf der ISS ist eng getaktet, auf 100 Quadratmeter Fläche, 400 Kilometer über der Erde. Samstags ist Putztag, Sonntag Freizeit. Und in der verspricht Maurer, wird er sich auch Zeit nehmen, andere Menschen an seinem Traum teilhaben zu lassen. Wie schon sein deutscher Astronautenkollege Alexander Gerst möchte er die Arbeit und alles, was er auf der Raumstation erlebt, dokumentieren und dazu auch immer wieder Fotos und kleine Clips zur Erde zu schicken: "Das ist mir eine Herzensangelegenheit", verspricht Maurer.
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Nauka", der letzte Baustein der ISS
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Das Interview im Wortlaut:
Lennart Pyritz: Vorfreude, Respekt, Demut - in welchem Verhältnis stehen diese Gefühle bei Ihnen kurz vor dem Start?
Matthias Maurer: Das Training war eigentlich so intensiv und so fokussiert, dass ich mich recht sicher fühle, alles, was jetzt auf mich zukommt, genau zu wissen und zu kennen – auch wenn ich in dieser Situation noch nicht drin war. Von daher sind meine Gefühle jetzt eigentlich genauso, als wenn ich nicht in den Weltraum jetzt aufbrechen würde, ich freue mich eigentlich nur. Nach so einer langen Vorbereitungszeit – 2008 hatte ich mich beworben, um Astronaut zu werden –, nach 13 Jahren jetzt mit diesem Traum zu leben, freue ich mich einfach unglaublich, dass es endlich losgeht. Das andere schauen wir dann mal, wenn ich wirklich in der Kapsel sitze und die Rakete angeworfen wird und wenn es wirklich dann auch so in mich einsickert, okay, jetzt geht’s wirklich los.
Pyritz: Sie haben jetzt gerade gesagt, Sie können sich eigentlich ganz gut hineinversetzen in die Situation – lassen Sie denn auch noch gedanklich Raum für Überraschungsmomente sozusagen bei dieser Mission, oder ist da schon minutiös vorgeplant und stellen Sie sich auch schon jetzt alles tatsächlich minutiös vor?
Maurer: Diese minutiöse Planung ist während des Starts natürlich alles vorgegeben, aber sobald wir gestartet sind, nach neuneinhalb Minuten ist die Rakete ausgebrannt, dann sind wir auf 28.000 Kilometer pro Stunde, und dann sind wir schwerelos im All. Und ab diesem Moment ist für mich eigentlich noch so die Ungewissheit, wie werde ich auf die Schwerelosigkeit reagieren, werde ich jetzt reisekrank. Wenn ich den ersten Tag auf der ISS ankomme, hat mir der ESA-Psychologe gesagt, lass dich nicht stressen, du wirst deine ganzen Kollegen, die schon länger oben sind, sehen. Die sind optimal auf die ISS vorbereitet, die kennen alles, die kennen jede Details, und du wirst dich am Anfang erst einmal eingewöhnen müssen. Du musst erst mal lernen, dort oben zu schlafen, zu essen, auf Toilette zu gehen, und du wirst viel, viel langsamer sein als deine Kollegen, die schon diese Vorerfahrung haben. Also da ist noch sehr viel Ungewissheit, und das akzeptiere ich jetzt einfach mal so. Ich flieg dort oben hin, dann schaue ich mir das alles mal an, und dann versuche ich, mein Bestes zu geben.
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"Teamfähigkeit in Extremsituation das Wichtigste"

Pyritz: Sie haben es gerade schon gesagt, Sie bereiten sich schon seit Jahren auf eine Mission im All vor, haben auch schon gemeinsam mit chinesischen Taikonauten an einem Überlebenstraining auf See in China teilgenommen. Wenn wir jetzt noch mal auf die unmittelbare Vorbereitung für die jetzige Mission zurückschauen, was ist da die wichtigste Erfahrung, die Sie aus dieser Phase mitnehmen?
Maurer: Diese Teamfähigkeit ist natürlich das Allerwichtigste. Dort oben zu arbeiten in einer Umgebung, die den Menschen eigentlich sehr ungewohnt ist, vielleicht auch feindlich, weil um das Raumschiff herum ist ja Vakuum, wenn wir dort aussteigen müssen, dann befinden wir uns in einer Umgebung, für die der Mensch eigentlich nicht geschaffen ist. Mit dem menschlichen Körper passiert sehr viel dort oben. Und all dies beeinflusst natürlich, wie wir oben arbeiten, wie wir oben leben. Und dann in einer Extremsituation in einem Team, was aus internationalen Kollegen besteht, die verschiedene Sprachen sprechen, einen unterschiedlichen kulturellen Hintergrund haben, dass dort der Zusammenhalt dann wirklich so bleibt, wie wir es trainiert haben und wir als Kollegen gestartet sind, aber als Freunde zurückkommen, das ist eigentlich das Wichtigste.

"Alle drei Tage eine neue Unterhose"

Pyritz: Welche Bedeutung haben denn auf den ersten Blick profanere Dinge? Sie haben es eben schon erwähnt, Sie durften Essen für die Zeit im All auswählen oder eben das Training, wie man auf der ISS den Toilettengang erledigt, ohne sich danach komplett umziehen zu müssen.
Maurer: Ja, das sind natürlich Dinge, die sind einem hier auf der Erde komplett geläufig, aber oben im All muss man das erst einmal wieder neu lernen. Der Toilettengang ist natürlich etwas Besonderes, in der Schwerelosigkeit fällt ja nicht alles dorthin, wo es hier auf der Erde hinfallen sollte, und zum Glück habe ich erfahrene Kollegen, die dann auch so ein paar Tipps gegeben haben, wie man dort oben genau auf Toilette geht und wie man dann halt die verschiedenen Tricks, was man machen muss, damit man sich da nicht direkt am Anfang zusaut. Ich hab ja nur sechs Hosen dabei für das halbe Jahr, Unterwäsche gibt es dann alle drei Tage eine neue Unterhose, und ja, damit man halt da am Anfang nicht ein paar große Fehler macht, die dort nicht hingehören.
Pyritz: Sie werden ja mithilfe einer gebrauchten Rakete, aber in einer nagelneuen Dragon-Kapsel von Elon Musks Unternehmen SpaceX ins All fliegen. Worin unterscheidet die sich von den russischen Sojus-Kapseln, die da bisher hauptsächlich eingesetzt wurden?
Maurer: Die Dragon-Kapsel ist ganz neu, wird aber nach dieser Mission noch mehrfach wiederverwendet. Diese Kapsel ist neu designt, sie ist groß, sie ist geräumig, sie ist hell. Die Sojus-Kapsel ist mehr von Ingenieuren ausgelegt, also von der Praxis herkommend, von daher ist die auch enger gestaltet. Man hat viele mechanische Elemente, die man bedienen muss, das alles entfällt bei der Dragon-Kapsel, weil die ist ja elektronisch gesteuert über Touchpads fliegen Commander und Pilot die Kapsel. Ich bin mehr oder weniger nur Passagier und muss dort mitfliegen. Für mich gibt’s sehr wenig zu tun, außer in Extremsituationen, wenn wir jetzt eine Notlandung machen müssen. Dann bin ich dafür verantwortlich, jetzt unser Rettungsboot dann aus der Kapsel dann ins Meer zu werfen und zu aktivieren.
Pyritz: Dazu kommt es hoffentlich nicht.
Maurer: Ja, hoffe ich auch nicht, genau.
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Russisch für Außeneinsatz wichtig

Pyritz: Sie sprechen unter anderem Russisch, das werden Sie nach eigener Aussage für einen geplanten Außeneinsatz brauchen. Was steckt da genau dahinter?
Maurer: Wir haben von der europäischen Raumfahrtagentur vor Kurzem einen neuen robotischen Arm hochgeschickt zur internationalen Raumstation. Dieser robotische Arm ist auf der russischen Seite der Station befestigt und erlaubt es dann, von dem Innern der Station Experimente durch eine Luftschleuse nach außen auf das Äußere der Station dann zu transportieren, ohne dass wir dafür Menschen hinausschicken müssen. Dieser robotische Arm muss jetzt installiert werden, und dafür wurde ich ausgebildet in Russland, und ich werde, wenn der Plan so funktionieren wird, im April nächsten Jahres mit einem Kosmonauten zusammen aussteigen, in einem russischen Raumanzug, und dann muss ich auch die ganze Zeit auf Russisch sprechen, weil das Kontrollzentrum in Moskau wird dann diesen Außenbordeinsatz steuern und koordinieren. Also wenn dann etwas schiefgeht, dann würde ich nicht sagen, Huston, we have a problem, sondern ich würde es auf Russisch sagen.
Pyritz: Sie haben eben das Stichwort Ausbildung angesprochen. Sie sind studierter Werkstoffwissenschaftler. In Ihrer Doktorarbeit ging es um Aluminiumschaum-Spritzschichtverbunde für den Leichtbau. Auf der ISS werden Sie auch materialwissenschaftliche Versuche durchführen, aber da sind ja ungefähr hundert Experimente geplant, die Sie dann auch betreuen. Da geht es dann unter anderem auch um Strahlenbelastung, um das Immunsystem, um Biotinte zur Wundbehandlung oder um künstliche Intelligenz. Wie lange hat das gedauert, sich in all diese Projekte aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Richtungen einzuarbeiten?
Maurer: Dieses Experimenttraining, das ist generisch für alle Astronauten. Mit einer Vorausbildung in Werkstoffwissenschaften decke ich eigentlich sehr viel von dem, was wir auf der internationalen Raumstation machen, ab. Zusätzlich war ich ja während meines Zivildienstes Rettungssanitäter und hab später dann in der Medizinforschung gearbeitet. Ich hab vier Jahre lang Blutfilter entwickelt, das deckt also auch die Bereiche Lifesciences noch mal ab. Die konkrete Ausbildung für die Experimente auf der ISS sind so gestrickt, dass man Experimente, die jetzt ein bisschen komplexer aufgebaut sind, dann im Detail übt mit einer Prozedur, und Experimente, die vielleicht nur dazu dienen, dass man ein kleines Kästchen irgendwo verkabeln und anschließen muss, das wird dann sogar gar nicht geübt, sondern das ist ein generischer Ablauf. Die Experimente sind ja standardisiert.

Forschen zu antimikrobiellen Oberflächen

Pyritz: Welche der Experimente, an denen Sie da beteiligt sein werden, könnten denn relativ unmittelbar praktische Folgen hier auf der Erde haben?
Maurer: Da möchte ich ein Experiment hervorheben, das ist die Beschichtung von Metalloberflächen. Da hab ich ein Experiment der Universität in Saarbrücken mit dabei. Mittels Laser wurden hier Metalle an der Oberfläche strukturiert, und zwar so strukturiert, dass sie antimikrobiell sind. Und gerade jetzt in einer Pandemie wissen wir alle, dass die Übertragung von Keimen etwas ist, was wir tunlichst unterbinden sollten. Wenn dieses Experiment funktioniert im All, dann könnte man dieses Know-how direkt übertragen und zum Beispiel Türklinken, Knöpfe in Fahrstühlen, also alles, was man im öffentlichen Raum anfasst, mit diesem neuen Verfahren zu beschichten, sodass man da eine Keimübertragung im öffentlichen Raum dann möglichst unterbinden kann, ohne dass man dafür extra Desinfektionsmittel aufwenden muss.
Pyritz: Ich würde auch noch gern ein Experiment herauspicken, weil wir darüber schon mehrfach in "Forschung aktuell" berichtet haben, das Projekt Icarus – das untersucht ja weltweit Tierwanderungen, das steht auch mit auf der Liste. Was werden Sie da konkret beitragen, wenn Sie auf der ISS sind?
Maurer: Das Projekt Icarus, das wurde ja hochtransportiert und installiert während der letzten Mission von Alexander Gerst. Dieses Projekt ist momentan so weit installiert und in Betrieb genommen, dass es die Wissenschaftler auf dem Boden jetzt leiten werden. Das heißt, für mich als Astronaut würden nur noch Icarus-Aktivitäten auf dem Plan stehen, wenn ein Außenbordeinsatz erforderlich wäre, um diese Antenne noch einmal neu zu justieren oder zu reparieren. Aber ansonsten ist das Projekt Icarus komplett an die Wissenschaftler am Boden übergeben.

Samstags Putztag, sonntags Freizeit

Pyritz: Auf der Raumstation, da werden Sie eine Fünfeinhalb-Tage-Woche haben, am Samstagnachmittag wird geputzt, am Sonntag ist Freizeit. Was macht man da auf 100 Quadratmeter Wohnfläche, 400 Kilometer über der Erde?
Maurer: Also in der Freizeit, da gibt es unendlich viel zu tun. Allein schon der Blick aus dem Fenster ist ja unbezahlbar. Ich fotografiere gerne, ich hab auch mir vorgenommen, kleine Videoclips zu machen, um unsere Arbeit auf der ISS gut zu dokumentieren, schön zu erklären und die Leute mitzunehmen auf diese Reise, weil die Reise ins All ist ja ein Traum, den viele Menschen träumen, und nur ganz wenige Menschen können sich diesen Traum dann realisieren. Von daher ist es mir eine Herzensangelegenheit, meine Emotionen und alles, was ich da oben erleben darf, möglichst gut weiterzugeben an die Menschen, damit auch dann viele Menschen da mit mir mitreisen können.
Pyritz: Herr Maurer, an dieser Stelle schon einmal eine gute, sichere und aufschlussreiche Reise. Wir werden Ihre Mission von hier unten begleiten.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.