Freitag, 19. April 2024

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Deutscher Städtetag zu Corona-Partys
"Was da passiert, das darf es nicht mehr geben"

Unsolidarisches Verhalten wie auf Corona-Partys müsste in der Gesellschaft nahezu "geächtet" werden, sagte Helmut Dedy vom Deutschen Städtetag im Dlf. Ob die Sensibilität in der Bevölkerung ausgeprägt genug sei, um Ausgangsbeschränkungen zu verhindern, oder oder eben nicht, werde sich an diesem Wochenende zeigen.

Helmut Dedy im Gespräch mit Jasper Berenberg | 20.03.2020
Im Park am Weinbergsweg in Berlin sitzen viele Menschen zum Teil dicht nebeneinander
Schüler feiern im Park - in Zeiten des Coronavirus braucht es eine deutliche Kommunikation, dass solches Verhalten unsolidarisch ist, sagt Helmut Dedy vom Deutschen Städtetag. (imago images / Sabine Gudath)
Jasper Barenberg: "Ausgangssperre" – dieses Wort nahm Angela Merkel in ihrer Fernsehansprache nicht in den Mund. Sie deutete allerdings an, dass sie diesen drastischsten aller drastischen Schritte nicht will. Klar machte sie aber auch, dass weitere Beschränkungen kommen könnten, wenn alles andere nicht hilft und wenn sich zu viele nicht an die Grundregel halten: Abstand halten, auf soziale Kontakte, wo immer es möglich ist, verzichten. Am Wochenende wird die Kanzlerin mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten beraten. Freiburg aber erlässt jetzt schon neue Regeln, andere Städte, andere Länder auch.
Am Telefon ist der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages. Guten Tag, Helmut Dedy.
Helmut Dedy: Schönen guten Tag.
Barenberg: Herr Dedy, Freiburg, Leverkusen, Dortmund, Baden-Württemberg, möglicherweise in Bayern noch einschneidendere Maßnahmen. Der Ministerpräsident hat eine Pressekonferenz angekündigt in etwa einer viertel Stunde. Steht für Sie fest, die Bewegung der Menschen wird so oder so noch mehr eingeschränkt werden müssen in den nächsten Tagen?
Dedy: Nein, das steht für mich noch nicht fest. Die Ziele sind klar. Die Ziele sind, Kontakte vermeiden, um Zeit zu gewinnen für das Gesundheitssystem. Das wissen wir, glaube ich, inzwischen alle. Und hier sind ja eine ganze Reihe von Maßnahmen getroffen worden. Wir haben die Schulen geschlossen, die Kitas geschlossen, Veranstaltungen werden untersagt und ganz viele Menschen arbeiten zuhause im Home Office. Da gibt es viel und da gibt es auch viele Sensibilitäten.
Das Problem ist, glaube ich, dass diese Sensibilitäten noch nicht alle erreicht haben, und da könnte es eine Herausforderung in der nächsten Zeit geben.
"Einfach eine unsolidarische Veranstaltung"
Barenberg: Noch nicht alle erreicht, oder muss man umgekehrt sagen, viel zu viele noch nicht erreicht? Viel zu viele halten sich nicht an die wichtigste Regel in diesen Tagen, jedenfalls so, wie es die Verantwortlichen in Politik und Wissenschaft sehen: Abstand halten, auf soziale Kontakte verzichten.
Dedy: Ja, es sind zu viele. Völlig klar! Wir müssen einfach sagen, Corona-Partys zum Beispiel sind überhaupt nicht lustig. Da ist nicht die Spur Witz drin, sondern das ist einfach eine unsolidarische Veranstaltung – unsolidarisch gegenüber den anderen, gegenüber den Älteren, aber natürlich auch in sich unsolidarisch. Wenn wir sagen, wir müssen das Gesundheitssystem stützen, dann geht es ja nicht um eine abstrakte Größe, sondern das heißt, auch zukünftig, wenn jemand einen Autounfall hat, muss der ein Intensivbett bekommen können, wenn jemand einen Herzinfarkt erleidet, dann muss der ein Intensivbett bekommen können. Es geht auch um uns, um unsere Nachbarn, um unsere Freundinnen und Freunde, und ich glaube, das müssen wir noch ein bisschen deutlicher kommunizieren bei denen, die jetzt Schultreffen machen am Rhein oder an der Isar.
"Ihr macht da gerade etwas falsch"
Barenberg: Ansprachen, Appelle, Aufklärung – das sind die Mittel in einer liberalen Demokratie. Warum hat das bisher, trotz der drastischen Worte und der deutlichen Worte zuletzt der Kanzlerin, nicht funktioniert?
Dedy: Wahrscheinlich liegt es einfach daran, dass so ein Virus nicht riecht, nicht schmeckt und nicht sichtbar ist und dass man bisher auch zu wenig Bilder hat. Wenn Sie sich die Bilder aus Italien vor Augen führen, wo Militärfahrzeuge verstorbene Menschen abtransportieren, das hat schon eine andere Dramatik. Ich glaube, dass es daran liegt, dass das Ganze für viele noch nicht richtig spürbar ist, und deshalb müssen wir es vermitteln. Deshalb müssen wir die Übersetzungsarbeit leisten und müssen auch Jugendlichen gegenüber oder Studentinnen und Studenten gegenüber sagen, das ist ein riesen Thema und ihr macht da gerade etwas falsch, und das muss auch in der Gesellschaft, ich sage es mal pathetisch, geächtet werden. Wir müssen in der Gesellschaft eine Debatte darüber haben, das was da passiert, das darf es nicht mehr geben.
"Zuspitzung an diesem Wochenende richtig"
Barenberg: Wie viel Zeit haben wir für diese Debatte noch? Am Sonntag wird es Beratungen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentinnen geben. Dann soll möglicherweise ja entschieden werden, das deutet sich jetzt an. Wie viel Zeit haben wir noch? Nur noch diesen Samstag, um zu gucken, ob es funktioniert?
Dedy: Ich finde diese Zuspitzung an diesem Wochenende richtig. Ich finde es richtig zu sagen, wir gucken auf den Samstag, wir wissen um die Probleme, und wenn das nicht funktioniert, dann wird es Ausgangsbeschränkungen geben müssen. Davon gehe ich aus. Dann darf man nur noch das, was wichtig ist, nicht mehr das, was unwichtig ist, und ich glaube, dass man das dann auch bundesweit regeln muss. Die Idee, wir machen das in einem Stadtviertel und im nächsten nicht, die halte ich für nicht lebensnah, und wir müssen es dann einheitlich handhaben, bundesweit handhaben, und wir müssen natürlich, weil es ja tatsächlich ein sehr schwerwiegender Eingriff ist, das auch mit Fingerspitzengefühl angehen. Ich möchte schon noch, dass Familien zusammen spazieren gehen können, denn Familien hocken ja jetzt sehr viel aufeinander. Da gibt es viel Zeit für Familie, aber viel Zeit für Familie kann immer auch heißen, es gibt eine neue Herausforderung in dem privaten Umfeld, da müssen die Leute raus. Bundesweit, glaube ich, wenn es sie geben muss, und dann mit Fingerspitzengefühl.
"Wer zum Job muss, darf raus"
Barenberg: Und mit Abstufungen, wenn ich Sie richtig verstehe. Was soll noch gehen, was soll nicht mehr gehen?
Dedy: Das ist ja heute schon so. Wenn Sie sich Freiburg und Leverkusen angucken, dann ist da ja relativ klar geregelt, was wichtig ist. Wer zum Job muss, muss zum Job, der darf raus. Wer einkaufen muss, der darf einkaufen. Wer zum Arzt muss, der darf zum Arzt. Aber nicht 30 Leute dürfen sich mit einer Kiste Bier in den Park setzen und dürfen da eine Corona-Party feiern. Das ist auf jeden Fall nicht mehr möglich.
"Ein Signal, das in die Freiheitsrechte eingreift"
Barenberg: Wie der saarländische Ministerpräsident fordern Sie jetzt auch bundesweit abgestimmte und einheitliche Regelungen. Ganz anders ja der Städte- und Gemeindebund. Der sagt, als Notfall könnte man sich vorstellen, regionale Regelungen zu treffen, dort wo die Lage besonders kritisch ist. Warum ist das aus Ihrer Sicht keine Option? Das würde ja immerhin bedeuten, dass dort, wo es kein Problem ist, auch die Leute nicht von solchen drastischen Maßnahmen betroffen sein würden.
Dedy: Einmal glaube ich, wenn man Ausgangssperren verhängt oder Ausgangsbeschränkungen verhängt, dann tut man das, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen, und den Ernst der Lage zu verdeutlichen, das kann ich nicht, indem ich sage, in dem einen Stadtviertel von Dortmund, da ist es untersagt, in dem nächsten ist es erlaubt. Das wird nicht gehen. Dann haben wir natürlich Ballungsgebiete. Stellen Sie sich vor, Sie machen eine Ausgangsbeschränkung in Bochum, in Dortmund nicht, in Essen machen Sie sie wieder. Das ist nicht vermittelbar. Von daher wird das nicht funktionieren. Ich denke, wenn es ein Signal geben muss, ein Signal, das in Freiheitsrechte eingreift, dann muss es das auch bundeseinheitlich geben, und das wird sich an diesem Wochenende zeigen.
Kontrolle ist Aufgabe des Ordnungsamtes
Barenberg: Und es muss es auch dann geben, wenn für alle klar ist, dass solche Beschränkungen in jedem Fall durchzusetzen wahrscheinlich absehbar im Grunde genommen gar nicht möglich sein dürfte.
Dedy: Das ist eine Herausforderung. Das ist völlig klar. Aber die Maßnahmen, die wir jetzt getroffen haben, oder die Bund und Länder getroffen haben, die kontrollieren wir vor Ort natürlich auch. Die Frage, schließt eine Kneipe um 18 Uhr, ist genauso die Aufgabe des Ordnungsamtes wie die Frage, hat das Kleingewerbe geschlossen. Ich würde nicht aus der Tatsache, dass es eine Herausforderung für uns ist, das zu kontrollieren, sagen, wir dürfen auf keinen Fall zu diesem Instrument greifen. Aber eins noch mal: Ich sage hier nicht, wir brauchen sie, sondern ich sage, es wird sich an diesem Wochenende entscheiden, ob die Sensibilität in der Bevölkerung ausgeprägt genug ist, um Ausgangsbeschränkungen zu verhindern, oder ob sie das nicht ist.
Diejenigen, die sagen, "mir ist das alles Schnuppe"
Barenberg: Aber auch aus Ihrer Sicht könnte dieser Schritt am Ende notwendig sein. Die Vorteile liegen ja dann auf der Hand: Die Infektionsketten werden noch einmal viel stärker unterbrochen. Was sind aus Ihrer Sicht die größten Nachteile? Viel gesprochen wird ja jetzt auch über mögliche psychische Folgen, wenn die Menschen für einen längeren Zeitraum quasi eingesperrt sind, was dann passiert.
Dedy: Na ja. Es gibt ja tatsächlich die Situation, dass wir mehr aufeinander hocken in Familien, in den Zusammenhängen, in denen wir leben. Das ist sicherlich auch an der einen oder anderen Stelle eine psychische Herausforderung. Aber ich denke, wenn man das mit Fingerspitzengefühl macht, wenn man sagt, es darf natürlich einzeln spazieren gegangen werden, so wie das Freiburg jetzt gemacht hat, oder auch Paare dürfen zu zweit gehen, Familien dürfen raus, dürfen zusammen sein, einkaufen darf man, zum Job gehen darf man, dann ist es vielleicht nicht ganz so dramatisch. Der Kern, den wir treffen wollen, der Kern sind doch diejenigen, die sagen, mir ist das im Moment alles Schnuppe, sage ich mal böse, oder ich habe es noch nicht so richtig verstanden. Die wollen wir treffen und ich glaube, die müssen wir auch treffen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.